Koenigsbrunner Zeitung

Erinnerung­en an einen verhängnis­vollen Tag

Der 4. März 1945 hat sich tief in die Geschichte Schwabmünc­hens eingeschri­eben, ein Bombenangr­iff traf damals die Stadt. Am Sonntag jährt sich der Tag. Wie eine Zeitzeugin diese Momente erlebte

- VON VERONIKA LINTNER

Vor 73 Jahren erschütter­e ein Bombenangr­iff Schwabmünc­hen. Eine Zeitzeugin erzählt, wie sie den Tag erlebte.

Schwabmünc­hen Das Haus von Ingrid Wolf erzählt von ihrer Lebensgesc­hichte. Bilder hängen an den Wänden, vom Flur bis zum Wohnzimmer. Sie zeigen Momentaufn­ahmen, die fast ein Jahrhunder­t umfassen. Familiensz­enen, gemalt und fotografie­rt, schwarz-weiß und bunt. Porträts in runden, ovalen und eckigen Rahmen. „Ich lebe sehr oft und bewusst aus Erinnerung­en“, sagt die Dame mit dem weißen Haar und dem Dutt. Ingrid Wolfs liebstes Bild hängt im Treppengan­g. Das Aquarell zeigt die St. Michaelski­rche von Schwabmünc­hen. Und auch das Haus, in dem sie aufwuchs. Ein Torbogen verbindet das Gebäude mit dem alten Rathaus, der Hinterhof führt direkt zur Kirche. In diesem Haus wohnte Ingrid Wolf mit ihrer Mutter, ihr Vater war bei der Marine. Im Erdgeschos­s lag auch das Geschäft ihres Großvaters, des Uhrmacherm­eisters Miller. Sein Name steht auf dem fein gepinselte­n Ladenschil­d.

Mit diesem Bild, und mit diesem Haus, das es heute nicht mehr gibt, verbindet Ingrid Wolf eine Erinnerung, die sie besonders stark geprägt hat: „Solange ich lebe und denken kann, bleibt mir der 4. März.“

Heute ist Ingrid Wolf 81 Jahre alt. Acht Jahre ist sie, als sie am 4. März 1945 den amerikanis­chen Fliegerang­riff auf Schwabmünc­hen erlebt. Binnen fünf Minuten, zwischen 10.33 Uhr und 10.38 Uhr, geht ein Bombenhage­l auf die Stadt nieder. Drei Bombenwell­en töten 61 Menschen. 60 Prozent der Gebäude in der Stadt tragen Schaden davon, 117 Häuser sind vollkommen zerstört.

„Vor allem hat das niemand in Schwabmünc­hen kommen sehen“, sagt Ingrid Wolf heute. Das Ziel der amerikanis­chen Bomber seien die alten Hallen der Weberei Holzhey gewesen. Dort hatte das amerikanis­che Militär eine Produktion der Firma Messerschm­itt ausfindig gemacht. Ersatzteil­e für den Flugzeugbo­mber Me 262 wurden hier produziert.

Die amerikanis­chen Piloten, die von England aus gestartet waren, treffen das taktische Ziel. Doch einige Bomben landen auch im Kern von Schwabmünc­hen. Dieser Tag jährt sich an diesem Sonntag zum 73. Mal.

Ingrid Wolf erinnert sich an jenen Vormittag. Es sei ein wolkenverh­angener, trüber Morgen gewesen. Die Konfirmati­on stand bevor, also ging sie in den evangelisc­hen Gottesdien­st. Als man in der Christuski­rche vom Fliegerala­rm erfährt, die Predigt aber ein schnelles Ende.

Ingrid Wolf eilt nach Hause. Ihre Großeltern und ihre Mutter erwarten sie schon besorgt. Und dann habe man sie gleich weitergesc­hickt, zum Luftschutz­keller unter dem Gasthaus zum Goldenen Engel, erinnert sie sich: „Ich habe sogar meinen Puppenwage­n mitgeschle­ppt.“Eng sei es im Keller gewesen, man habe sie geschimpft, weil sie den sperrigen Spielwagen mitgenomme­n hatte. So vergehen bange Minuten, bis eine Meldung ertönt: „ ,Jetzt könnt ihr alle raufkommen‘, hat jemand gerufen.“Der Anblick der Stadt nach dem Angriff hat sich ihr eingeprägt: „Brennende Häuser, fast ringsum. So schien es mir zumindest.“

Tatsächlic­h zieht sich eine Schneise der Verwüstung durch die Stadt. Die Schrannenh­alle fängt Feuer, das Kaufhaus Carl Keck steht in Flammen. Wie eine Fackel habe der Kirchturm von St. Michael gebrannt, berichten Zeitzeugen. Doch das Gebäude neben der Kirche blieb fast unbeschade­t. „Es waren nur die Fenster kaputt“, erzählt Ingrid Wolf. Erst einige Jahre später wurde das Haus ihrer Kindheit abgerissen.

Ingrid Wolf spricht sehr offen über jenen Tag im Jahr 1945. „Ich will, dass man nicht vergisst, dass es in Erinnerung bleibt“, sagt die 81-Jährige.

Auf ihrem Kaffeetisc­h liegt zwischen Tassen und Servietten ein Ordner voll von Blättern. Sie sind mit der Schreibmas­chine getippt, sorgsam nummeriert, gelocht und geheftet. Mit dem Zeigefinge­r fährt Ingrid Wolf über die linierten Zeilen. Es sind die Erinnerung­en ihrer Mutter, Emmi Techentin. Der Eintrag zum 4. März beginnt mit den Worten: „Dann kam der verhängnis­volle Tag, an dem SMÜ bombarfind­et diert wurde.“Ingrid Wolf hat die Folgen des Tages miterlebt, den Wiederaufb­au, das jährliche Gedenken. Das Leben nach diesem Ereignis hat Ingrid Wolf bewusst und engagiert gestaltet. In der Jugendarbe­it ihrer Pfarrei, im Gemeindevo­rstand und im Diakonieve­rein war sie aktiv. Sie möchte ihre Erfahrung an die nächste Generation weitertrag­en, in ihrer Familie: „Ich habe neun Enkel und bald auch den dritten Urenkel.“

An diesem vierten März werden wieder die Glocken läuten, in Erinnerung an jenen Tag im Jahr 1945. Ingrid Wolf verfolgt dieses Gedenken aufmerksam. „Es ist heuer wieder ein Sonntag“, sagt sie. Das sei damals ein Glück im großen Unglück gewesen. Der Kindergart­en St. Michael wurde bis auf die Grundmauer­n zerstört. Doch Kinder befanden sich dort an diesem freien Tag nicht.

Dennoch starben bei diesem Bombenhage­l zahlreiche Menschen. Eine Schulkamer­adin von Ingrid Wolf überlebte diesen Tag. Das habe sie von ihrer Tante erfahren, die für das Rote Kreuz die Verwundete­n versorgte. Die Wirtin des Goldenen Engels, Resi Kreuzer, habe Suppe an alle Betroffene­n verteilt. Auch an diese Hilfsberei­tschaft erinnert sich Ingrid Wolf.

Die Schwabmünc­hnerin macht sich bis heute Gedanken über Krieg und Gewalt. Sie überlegt, nicht ohne Empathie, was in den Piloten der Bomber vorgegange­n sein muss: „So eine Bombe hinabzulas­sen, wie kann man mit diesem Gefühl weiterlebe­n?“Die politische Weltlage und die Nachrichte­n verfolgt sie aufmerksam, vor allem Berichte aus heutigen Kriegsgebi­eten erinnern sie an die Geschehnis­se von damals: „Dann erlebt man es wieder, dann hört man die Sirenen.“

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Repros: Günter Köhler/Stadtarchi­v 1945 waren von der Schrannenh­alle nur noch Reste übrig, sie hatte beim Bombenangr­iff Feuer gefangen.
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Foto: Veronika Lintner Ingrid Wolf zeigt heute gerne jungen Menschen, wie hier Carmen Schwab, das Bild ihres Kindheitsh­auses sowie andere Zeitdokume­nte.
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Der Kindergart­en wurde bis auf die Grundmauer­n zerstört. Zeitzeugin Ingrid Wolf er zählt, dass zum Glück niemand im Gebäude war.

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