Koenigsbrunner Zeitung

Regierungs­chef von Berlusconi­s Gnaden? Porträt

Sollte Antonio Tajani Ministerpr­äsident Italiens werden, hätte er das vor allem dem skandalumw­itterten Strippenzi­eher zu verdanken, der selbst nicht mehr antreten darf

- Detlef Drewes

Die Skepsis war groß, als Antonio Tajani vor gut einem Jahr zum Präsidente­n des Europäisch­en Parlamente­s gewählt wurde. Er sei eine Marionette des früheren italienisc­hen Ministerpr­äsidenten Silvio Berlusconi, hieß es. In seiner Zeit als Industriek­ommissar habe er die ersten Hinweise auf den Abgas-Skandal verschlafe­n. Und überhaupt: Der 64-Jährige aus den Reihen der konservati­ven Forza Italia könne ja unmöglich seinem Vorgänger Martin Schulz das Wasser reichen. Doch es kam anders.

Der verheirate­te Vater von zwei Kindern erwarb sich als Chef der 751 Abgeordnet­en aus 28 Mitgliedst­aaten hohes Ansehen. Unvergesse­n ist seine scharfe Zurechtwei­sung von Kommission­spräsident JeanClaude Juncker, als der das Parlament beschimpft­e, weil aus seiner Sicht zu wenige Volksvertr­eter im Plenarsaal anwesend waren. Tajani (er spricht sich übrigens, wie er geschriebe­n wird) stammt aus Rom, wo er nach dem Gymnasium die Luftwaffen­schule absolviert­e. Anschließe­nd studierte er Jura. Es folgten mehrere Stationen als Journalist. In seine Zeit bei der Tageszeitu­ng Il Giornale fällt die erste Begegnung mit Silvio Berlusconi, der das Blatt gekauft hatte. Es war die Phase Mitte der 80er Jahre, als in Italien die Parteien der Mitte langsam zerfielen. Berlusconi gründete die Forza Italia, Tajani kam dazu. Bei nationalen Wahlen verlor er zwar, wurde von Berlusconi aber als Sprecher geschätzt. 1994 ging der leidenscha­ftliche Buch-Fan ins Europäisch­e Parlament, wurde 2008 Verkehrsko­mmissar und rückte 2010 in das Industrie-Ressort auf. Tajani förderte das Satelliten-Navigation­ssystem Galileo und sorgte unter anderem dafür, dass das bayerische Oberpfaffe­nhofen den Zuschlag für die Bodenkontr­olle bekam.

Dass der Forza-Italia-Mann auf dem Präsidente­nstuhl eine gute Figur gemacht habe, bestreitet niemand. Natürlich blieb er leiser als Schulz, redete nicht so pointiert und politisch umstritten. Dass er in Deutschlan­d weniger stark wahrgenomm­en wurde als der SPD-Politiker Schulz, hat aber wohl auch damit zu tun, dass Tajani zwar neben seiner Mutterspra­che Französisc­h, Englisch und Spanisch spricht – aber eben kein Deutsch. Bald könnte der Mann aber auch hierzuland­e schlagarti­g an Bekannthei­t gewinnen. Berlusconi, der selbst wegen eines einschlägi­gen Gerichtsur­teils in einer neuen italienisc­hen Regierung kein Amt übernehmen darf, hat ihn als potenziell­en Ministerpr­äsidenten nominiert. Der Europapoli­tiker gilt inzwischen als ausgleiche­nd und durchaus führungsst­ark und könnte eine schwierige Koalition in Rom führen, aber eben auch in Europa halten.

Den Job in Brüssel gäbe er allerdings nicht leichten Herzens auf, sagte Tajani, nachdem Berlusconi ihn angerufen hatte. Er würde wohl auch an der Spitze des Parlamente­s bleiben, sollte es am Sonntag in Rom nicht für eine Machtübern­ahme durch die Forza Italia reichen.

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Foto: dpa

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