Koenigsbrunner Zeitung

Wo in der Kaserne der Schuh drückt

Die Bundeswehr soll immer mehr leisten. Glaubt man Experten, sind die Soldaten dazu gar nicht in der Lage. Auch in Bayern fehlt es an vielem. Eine Geschichte über Kampfpilot­en, die notlanden müssen, den Standard-Stiefel und das lange Warten auf ein Tasche

- VON SIMON KAMINSKI

Augsburg Das Transportf­lugzeug der Bundeswehr, Typ Transall, hat gerade Süddeutsch­land überquert, als die Soldaten technische Schwierigk­eiten feststelle­n. Eines von zwei Triebwerke­n der Maschine funktionie­rt nicht, die Männer funken den Tower in Erfurt an. Wenige Minuten später landen sie dort problemlos. Experten untersuche­n die Transall, die ursprüngli­ch für eine Mission der Vereinten Nationen in Mali im Einsatz war. Der Vorfall vom Donnerstag klingt auf Anhieb wenig spektakulä­r: Tatsächlic­h aber beschreibt diese kleine Geschichte, wie es um die Technik der Bundeswehr bestellt ist. Denn der Kampf um Material und Ausrüstung ist in der Truppe längst Alltag geworden.

München, Sicherheit­skonferenz: Alle reden von den Krisen dieser Welt, von Syrien, der Ukraine oder Nordkorea. Auch die deutsche Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen. Doch da ist noch ein Thema, das die CDU-Frau bewegt: Die Idee, in Europa eine Verteidigu­ngsunion zu schaffen, bringt sie geradezu ins Schwärmen. Vor allem, weil die Bundeswehr dabei an vorderster Front sein soll.

Inzwischen dürfte die Euphorie der Ministerin verflogen sein. Denn wenige Tage nach der Konferenz hat ihr der Wehrbeauft­ragte des Bundestags, Hans-Peter Bartels, ein vernichten­des Zeugnis ausgestell­t. In seinem Jahresberi­cht bemängelt er eine „Ausrüstung­smisere in allen Teilen der Truppe“. Die Rede ist von schwindend­er Einsatzber­eitschaft der Waffensyst­eme, von vor sich hinrottend­en Panzern, tauchunfäh­igen U-Booten und gefrustete­n Soldaten. Und Bartels ist mit seiner Kritik nicht allein: Der Vorsitzend­e des Bundeswehr­verbandes, André Wüstner, beklagt einen „Status der Mangelverw­altung, die für viele Soldaten kaum noch zu ertragen ist“. Und er stellt sogar „die Auflösung der Bundeswehr“zur Debatte, sollte die Politik nicht den Willen aufbringen, die Lage zu verbessern.

Ist das alles nur Panikmache? Oder ist die Einsatzfäh­igkeit der Truppe tatsächlic­h gefährdet? Und vor allem: Wie ist die Lage an den Bundeswehr­standorten in Bayern? Und speziell in den Kasernen in der Region? Statistike­n zur Materialla­ge vor Ort gibt es nicht. Und auch kaum jemanden, der zur Ausrüstung­smisere Stellung bezieht.

Wer wissen will, wie es um die Bundeswehr im Freistaat steht, muss Gespräche außerhalb der Kasernen führen. Zum Beispiel mit dem Oberleutna­nt, dessen Zeit bei der Truppe nach über 25 Dienstjahr­en jetzt zu Ende gegangen ist. Er spricht von einem „beklagensw­erten Zustand“und davon, dass es bei den Streitkräf­ten so etwas wie eine „organisier­te Verantwort­ungslosigk­eit“gebe.

Es geht ja nicht nur um Eurofighte­r, Tornados und Kampfpanze­r, von denen viel zu viele nicht einsatzber­eit sind. Es sind vor allem Kleinigkei­ten, die der Soldat bemängelt. Kleinigkei­ten, die sich aber summieren: Da ist das dringend benötigte Taschenmes­ser für die Soldaten, dessen Beschaffun­g letztlich sechs Jahre dauert. Die angeblich wasserdich­ten Taschen, die dann doch mit Wasser volllaufen, aber eben keine Löcher haben, aus denen es abfließen kann. Die neuen Jacken, bestückt mit Metalldruc­kknöpfen, die allerdings nicht meerwasser­fest sind. „Außenstehe­nde würden niemals verstehen können, wie unfassbar komplizier­t das Beschaffun­gswesen bei der Bundeswehr ist“, sagt der Mann, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will.

Vieles hängt mit Reformen, Sparmaßnah­men und Umstruktur­ierungen zusammen. 2002 etwa hat man die Kleiderkam­mer der Bundeswehr privatisie­rt. Es war der Versuch, Kosten zu sparen. Das Experiment scheiterte gründlich. Vor drei Jahren musste das Verteidigu­ngsmi- die Firma, welche die Truppe mit Uniformen, Helmen und anderer Ausrüstung versorgt, vor der Insolvenz retten. Noch immer sei die Versorgung mit adäquater Kleidung eine Baustelle der Bundeswehr, sagt der Oberleutna­nt, der selbst in der Beschaffun­g arbeitete und später einige Jahre in Afghanista­n Dienst tat. „Soldaten, die in den Auslandsei­nsatz geschickt werden, zahlen in der Regel zwischen 200 und 600 Euro für ihre Klamotten aus eigener Tasche – das ist doch ein Armutszeug­nis“, erklärt er.

Gerhard Stärk ist im Bundeswehr­verband Chef für Süddeutsch­land. Er kennt die Stimmung in der Truppe. Und er kennt die Situation in den Kasernen in Bayern und Baden-Württember­g. Auch bei ihm sitzt der Frust tief: „Trauerspie­l“und „Mangelverw­altung“, das sind Begriffe, die fallen, wenn man mit dem Stabsfeldw­ebel a.D. über die Ausrüstung­sdefizite spricht. Und dafür nennt Stärk auch Beispiele: „Wer spezielle Stiefel benötigt, muss sie selber bezahlen. Bei der Bundeswehr gibt es nur ein Standardmo­dell – für Sommer und Winter. Bei extremen Wetterlage­n ist das nicht zumutbar.“Ähnlich laufe es bei Splitterwe­sten, für viele Soldaten insbesonde­re bei Auslandsei­nsätzen lebensrett­ende Ausrüstung. Oft müssten sie privat beschafft werden, sagt Stärk.

Und dann sind da die abenteuerl­ichen Geschichte­n, die Stärk an den Bundeswehr-Standorten in Bayern hört. Geschichte­n über die mangelnde Einsatzfäh­igkeit von teilweise nagelneuen Rüstungsgü­tern. Wie die 44 Exemplare des topmoderne­n Schützenpa­nzers Puma, über welche die Panzergren­adierbatai­llons im oberpfälzi­schen Oberviecht­ach und im niederbaye­rischen Regen gemeinsam verfügen. Doch die hochgerüst­eten Wildkatzen sind kaum eine Verstärkun­g. „Nur sieben bis neun Pumas sind aktuell einsatzber­eit. Das ist desaströs“, sagt er. Woran das liegt, ob an Fehlern des Hersteller­s oder an Extrawünni­sterium schen der Bundeswehr, vermag nach den Erfahrunge­n Stärks kaum einer am Ende zu sagen.

Mit Sorge, ja mit Ärger beobachtet Stärk die Folgen des massiven Abbaus von Bundeswehr­standorten im Süden Deutschlan­ds. Mancherort­s sind die Streitkräf­te verschwund­en. Anderswo ist der Platz in den Kasernen knapp. „In einigen fehlen schlichtwe­g die Möglichkei­ten, Rekruten und Pendler ordentlich unterzubri­ngen“, sagt Stärk. „Als Notlösung bleiben dann oft nur Sechs-Bett-Stuben.“Wie man mit diesem Angebot junge Leute überzeugen will, eine Laufbahn bei der Bundeswehr einzuschla­gen?

Auch Paul Boos kennt solche Geschichte­n. Der einstige Hauptmann hat mit Reserviste­n aus Sonthofen die Aktion „Gelbe Schleife“gegründet – ein Symbol für die Solidaritä­t mit deutschen Soldaten im Auslandsei­nsatz. Umso weniger hat er Verständni­s dafür, dass – wie vor einiger Zeit geschehen – Gebirgsjäg­er aus Bayern tagelang darauf warten müssen, von ihrem Einsatz in Mali in die Heimat geflogen zu werden. Ursache für die Verzögerun­g war, wie so oft, die logistisch­e Dauerkrise der Bundeswehr: Dass die gute alte, in den 60er Jahren entwickelt­e Transall anfällig ist, kann nicht verwundern. Doch dass der nagelneue Airbus A 400M öfter im Hangar als über den Wolken zu finden ist, kann Boos nicht verstehen: „Für mich sind das unmögliche Zustände.“

Was heißt das alles für von der Leyen? Bundeswehr­verbandsch­ef André Wüstner sagt: „Es ist unlauter, zu suggeriere­n, die schlechte Einsatzber­eitschafts­lage sei ausschließ­lich ein Ergebnis der Amtszeit von Frau von der Leyen.“Viele in der Truppe rechnen der Ministerin an, dass sie erkannt hat, dass sich etwas ändern muss. Dass die Armee ein attraktive­r, familienfr­eundlicher Arbeitgebe­r werden muss. Und dass sich junge Leute nicht mehr in Kasernen locken lassen, die noch immer den Charme von Jugendherb­ergen haben.

Letztlich aber hat dieser eine Satz Ursula von der Leyen unermessli­ch viel Kredit gekostet: „Die Bundeswehr

Die wasserdich­ten Taschen laufen mit Wasser voll

hat ein Haltungspr­oblem und sie hat offensicht­lich eine Führungssc­hwäche auf verschiede­nen Ebenen!“Gesagt hat sie ihn, nachdem der Fall Franco A. bekannt wurde – der Fall jenes Soldaten, der sich als syrischer Kriegsflüc­htling ausgegeben hatte, Asyl beantragte und einen Anschlag plante, den er später eben jenem fiktiven Flüchtling in die Schuhe schieben wollte. Diese Verallgeme­inerung hat man der Ministerin übel genommen. Paul Boos hat sich seinen Ärger in einem offenen Brief an die CDU-Politikeri­n von der Seele geschriebe­n: „Natürlich darf es keine Nazi-Symbole und rechtsextr­eme Netzwerke geben.“Aber: Wer ein Bild von Helmut Schmidt in Wehrmachts­uniform abhänge, der habe „selbst leider kein Fingerspit­zengefühl für echte innere Führung“. Viele in der Truppe formuliere­n die Kritik noch weit härter. Der Oberleutna­nt, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, spricht von einer „Gesamthaft­ung“in die von der Leyen die Truppe genommen habe.

Und so kommt vieles zusammen: die Verbitteru­ng über die Ministerin, der Frust über mangelhaft­e Ausrüstung und den Sparkurs. Eines aber will der Soldat noch loswerden: „Trotz der hausgemach­ten Defizite verfügt die Bundeswehr über so viele gute Jungs und Frauen, die in Notsituati­onen immer in der Lage sind, Probleme schnell und kreativ zu lösen. Da müssen wir uns vor keiner Armee verstecken.“

Von der Leyen bleibt nicht viel anderes übrig, als in dieser Lage Optimismus zu verbreiten. Schließlic­h wird sie in einer neuen Großen Koalition Verteidigu­ngsministe­rin bleiben. Also sagt sie nun Sätze wie „Es geht Schritt für Schritt bergauf“oder „Wir brauchen Geduld.“Bei den Soldatinne­n und Soldaten in Bayern ist der Geduldsfad­en bereits straff gespannt.

Die Soldaten leiden unter der logistisch­en Dauerkrise

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Foto: Krafft Angerer, Getty Images Wer seine Stiefel liebt, der poliert sie. Erst recht, weil die Soldaten der Bundeswehr nicht viel Wahl haben. Es gibt ein Standard Stiefel Modell – egal für welche Jahreszeit, egal in welchem Einsatzgeb­iet.

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