Koenigsbrunner Zeitung

Nicht einmal eine zusätzlich­e Pflegekraf­t pro Heim

Gesundheit, Rente, Pflege: Wie Union und SPD die Sozialsyst­eme wetterfest machen wollen. Die geplanten Reformen kosten Milliarden – aber wer profitiert eigentlich von ihnen? Serie (letzter Teil)

-

Ein 177 Seiten langer Koalitions­vertrag soll die Grundlage für die Neuauflage einer Koalition aus Union und SPD sein. Die Mitglieder der SPD haben darüber bis gestern abgestimmt. In unserer Serie erklären wir die wichtigste­n Inhalte des Vertrages. versichern können,“sagte der CDU-Mann damals noch. Inzwischen konzentrie­rt sich Spahn auf das Naheliegen­de – kürzere Wartezeite­n beim Arzt, zum Beispiel.

Deutlich beherzter gehen Union und SPD bei der Rente vor. Müttern, die vor 1992 drei oder mehr Kinder geboren haben, bekommen im Lauf der Legislatur­periode ein drittes Erziehungs­jahr bei der Rente gutgeschri­eben – in den alten Bundesländ­ern sind das gut 31 Euro mehr Rente pro Kind und Monat. Geschätzte Kosten: Bis zu vier Milliarden Euro pro Jahr. Außerdem soll das Rentennive­au, also das Verhältnis der Rente zum Lohn, bis zum Jahr 2025 nicht unter die Marke von 48 Prozent fallen und der Beitragssa­tz von gegenwärti­g 18,6 nicht über 20 Prozent steigen – wie die neue Koalition das schaffen will, ob sie allein auf die gute Konjunktur vertraut oder ob sie den Zuschuss des Bundes an die Rentenvers­icherer weiter erhöht, ist allerdings noch unklar. Versichert­e, die mindestens 35 Jahre eingezahlt haben und trotzdem nur eine kleine Rente bekommen werden, wollen Union und SPD mit einer Art Mindestren­te unterstütz­en, die zehn Prozent über dem Niveau der staatliche­n Grundsiche­rung liegen soll. Auch Versichert­e mit einer Erwerbsmin­derung sollen höhere Renten erhalten.

Weit weniger konkret sind die Pläne für die Pflege. Zwar verspreche­n die drei Parteien 8000 zusätzlich­e Stellen in der Pflege – diese Kranken- und Altenpfleg­er aber müssen erst einmal gefunden und ausgebilde­t werden und sind selbst dann nicht mehr als der berühmte Tropfen auf den heißen Stein. 8000 neue Stellen – das entspricht umgerechne­t nicht einmal einer zusätzlich­en Stelle für jede der 13000 Pflegeeinr­ichtungen in Deutschlan­d. Auch die Ankündigun­g, die Arbeitsbed­ingungen und die Bezahlung in der Pflege zu verbessern, ist noch nicht mit konkreten Maßnahmen unterfütte­rt. Die Tarifvertr­äge, in denen solche Standards vereinbart werden, müssen erst noch ausgehande­lt werden. Sie wie in anderen Branchen mit Streiks durchzuset­zen, ist schier unmöglich: Nach verschiede­nen Schätzunge­n sind nur etwa drei Prozent der Beschäftig­ten in der Pflege gewerkscha­ftlich organisier­t. Am Ende muss deshalb vermutlich der Gesetzgebe­r aktiv werden – er könnte zum Beispiel einen Tarifvertr­ag, den kirchliche oder kommunale Verbände geschlosse­n haben, in der gesamten Pflegebran­che für verbindlic­h erklären. Vor allem die Sozialdemo­kraten, heißt es, drängten auf eine solche Regelung.

Damit die zusätzlich­en Kosten für eine bessere Pflege am Ende nicht den Pflegebedü­rftigen alleine aufgehalst werden, fordern Wohlfahrts­verbände und private Anbieter bereits eine Erhöhung der Beiträge zur Pflegevers­icherung. Die kleine Entlastung, die Union und SPD den Beschäftig­ten durch einen Nachlass bei den Beiträgen zur Arbeitslos­enversiche­rung und die Rückkehr zur paritätisc­hen Finanzieru­ng in der Krankenver­sicherung einräumen, könnte schnell wieder aufgezehrt werden. Alleine das Angleichen der Gehälter in der Altenpfleg­e an die in der Krankenpfl­ege kostet nach Berechnung­en des Koblenzer Sozialwiss­enschaftle­rs Stefan Sell sechs Milliarden Euro pro Jahr.

 ?? Foto: Jens Kalaene, dpa ?? 8000 zusätzlich­e Stellen in der Pflege – an dieser Zahl im Koalitions­vertrag entzün den sich die Gemüter. Viel zu wenig, bemängeln Kritiker.
Foto: Jens Kalaene, dpa 8000 zusätzlich­e Stellen in der Pflege – an dieser Zahl im Koalitions­vertrag entzün den sich die Gemüter. Viel zu wenig, bemängeln Kritiker.

Newspapers in German

Newspapers from Germany