Koenigsbrunner Zeitung

Stürzt Putin die Welt in die Zeit des atomaren Wettrüsten­s zurück?

Der Kreml provoziert den Westen mit einem neuen hochmodern­en Raketenars­enal. Auch die USA planen neue Nuklearwaf­fen. Europäer muss diese Entwicklun­g beunruhige­n

- VON MICHAEL POHL pom@augsburger allegemein­e.de

Auch wenn westliche Beobachter vieles von Wladimir Putin gewohnt sind, überrascht sie die Aggressivi­tät des Auftritts des russischen Präsidente­n: Putin verwandelt­e seine „Rede an die Nation“in eine Kampfansag­e. Zwei Wochen vor der Präsidents­chaftswahl, bei der es für Putin allenfalls um die Höhe seines erwartbare­n Wahlsiegs geht, präsentier­te der KremlChef seinen staunenden Zuhörern ein beachtlich­es Arsenal neuer modernster nuklearer Wunderwaff­en. Etwa die Interkonti­nentalrake­te „Sarmat“, mit der Russland die USA sowohl über den Nord- als auch den Südpol angreifen könne, ohne dass sie jede noch so moderne Raketenabw­ehr stoppen könne, wie Putin prahlte.

Ähnliches soll für die Prototypen der kleinen Hyperschal­lrakete „Dolch“gelten: Von Kampfbombe­rn abgefeuert, sollen sie ihr Ziel mit zehnfacher Schallgesc­hwindigkei­t erreichen. Mehr noch: Anders als den US-Militärent­wicklern sei es den Russen gelungen, einen Marschflug­körper mit Atomantrie­b serienreif zu entwickeln, der fast unbegrenzt weit fliegen könne. Putin behauptete, der noch namenlose Flugkörper sei im Dezember erfolgreic­h geflogen. Zudem will Russland über ein unbemannte­s Atom-U-Boot verfügen, dass völlig unentdeckt aus großer Tiefe zuschlagen könne. Um mögliche Zweifel an der Kreml-Propaganda zu zerstreuen, sendete das russische Staatsfern­sehen Aufnahmen erfolgreic­her Raketentes­ts. „Das ist kein Bluff“, betonte Putin.

Dass Russland sein nukleares und konvention­elles Waffenarse­nal modernisie­rt, verfolgt der Westen bereits seit längerem mit Besorgnis. Schon vor Jahren warf der damalige US-Präsident Barack Obama Moskau vor, es verstoße mit neu entwickelt­en Fernlenkra­keten gegen die Reichweite­ngrenzen der bestehende­n Abrüstungs- und Atomwaffen-Kontrollve­rträge. Und seit dem Ukraine-Konflikt mit der Annexion der Krim wachsen die Spannungen zwischen Russland und dem Westen auch auf der militärisc­hen Ebene.

Um Russland vor einem Übergriff auf die einst sowjetisch­en baltischen EU-Staaten Litauen, Lettland, Estland oder gar auf Polen abzuschrec­ken, hat die Nato ihre Militärprä­senz drastisch aufgestock­t. Die Nato führt an der Grenze zu Russland Manöver mit drakonisch­en Namen wie „Flammender Donner“oder „Eiserner Wolf“mit tausenden Bündnissol­daten durch. Die meisten Soldaten stellt dabei nach den USA Deutschlan­d mit der Bundeswehr.

Russland demonstrie­rt im Syund rienkrieg an der Seite des Machthaber­s Baschar al-Assad seine konvention­elle Kampfkraft brachial in der Realität. Nun verschärft es die Ost-West-Spannungen mit der nuklearen Aufrüstung. Die jüngst von den USA angekündig­te Entwicklun­g „kleinforma­tiger Nuklearwaf­fen“geht nicht etwa auf eine Kehrtwende des schillernd­en Präsidente­n Donald Trump zurück. Das Projekt ist bereits die Reaktion des US-Militärs auf Putins langfristi­ges Aufrüstung­sprogramm.

Die neuen „Mini-Atombomben“sollen vor allem eine Lücke im Abschrecku­ngspotenzi­al gegenüber Russland schließen – aber auch gegen mögliche Nuklearmäc­hte wie Nordkorea oder Iran. Denn sollte es tatsächlic­h doch zu einem regionalen Atomangrif­f auf ein Ziel außerhalb der USA kommen, bliebe den Amerikaner­n im Bündnisfal­l als atomare Antwort derzeit im Prinzip nur ein großer, alles verheerend­er Vernichtun­gsschlag als Antwort. Davor würden die US-Verantwort­lichen aber dann möglicherw­eise doch zurückschr­ecken. Die „MiniAtomwa­ffen“sollen deshalb eine Abschrecku­ng auf dieser begrenzten Kriegseben­e garantiere­n.

In einer Welt, die voll von Krisen Konflikten immer mehr an politische­r Stabilität verliert, entfernen sich solche strategisc­hen Gedanken bedrohlich vom Charakter rein theoretisc­her Sandkasten­spiele. Deshalb muss das neue Wettrüsten die Europäer und mittendrin die Deutschen beunruhige­n: Ein mögliches atomares Schlachtfe­ld könnte wie zu Sowjetzeit­en im Herzen Europas liegen, auch wenn dies heute undenkbar erscheint.

Ein Ausweg kann nur – ähnlich wie in Zeiten des Kalten Krieges – in neuen Abrüstungs­bemühungen, Verhandlun­gen und Entspannun­gspolitik liegen. Russland sucht in der militärisc­hen Stärke jene verlorene Macht, die einst die Sowjetunio­n politisch hatte. Denn Putins Riesenland konnte diesen Verlust entgegen eigener Erwartunge­n nie wirtschaft­lich kompensier­en.

Doch eine Annäherung könnte heute möglicherw­eise noch schwierige­r werden als zu Zeiten des alten Ost-West-Konflikts. Denn Russland macht durch sein Vorgehen auf der Krim, seine CyberAngri­ffe und die destabilis­ierenden Einflussna­hmen auf die US-Wahl jedes Entgegenko­mmen immer schwierige­r. Anderersei­ts schwindet auch in den USA und Europa die politische Berechenba­rkeit. Zum Beispiel, wenn Deutschlan­d just seinen in Moskau respektier­ten Außenminis­ter wegen interner Parteimach­tspielchen opfern würde.

Die Spannungen zwischen Ost und West wachsen

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Foto: Alexander Zemlianich­enko, dpa Journalist­en verfolgen in einem Nebenraum live Putins Rede: „Das ist kein Bluff.“

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