Koenigsbrunner Zeitung

Nestlé hat ein Wasser Problem

Der Konzern ist der größte und mächtigste Lebensmitt­el-Hersteller der Welt. Seine Produkte stehen in nahezu jeder Küche. Gleichzeit­ig ist kaum ein Nahrungsmi­ttel-Produzent so unbeliebt wie der Schweizer Riese

- VON SARAH SCHIERACK

Augsburg Beim Einzelhänd­ler Edeka ist man es gewohnt, im Internet Beifall zu bekommen. Der Weihnachts­Werbespot „Heimkommen“brach vor zwei Jahren Youtube-Klickrekor­de, über den „Supergeil“-Clip mit Musiker Friedrich Lichtenste­in berichtete seinerzeit sogar die New York Times. Aktuell bejubeln viele Internetnu­tzer den Konzern erneut – allerdings ganz ohne Zutun der Edeka-Marketinga­bteilung.

Die Handelsket­te hat gemeinsam mit weiteren Händlern kurzerhand 160 Produkte des Lebensmitt­elriesen Nestlé aussortier­t. Auslöser war ein aggressive­r Preiskrieg: Nestlé hatte seine Waren an andere Händler zu günstigere­n Konditione­n verkauft. Edeka wollte das nicht akzeptiere­n – und spielte seine große Marktmacht unnachgieb­ig aus.

Während einige Kunden ihre Lieblingsp­rodukte vergeblich im Supermarkt-Regal suchen, ist bei anderen die Freude über den Nestlé-Boykott groß. Denn kaum ein Lebensmitt­elherstell­er ist so unbeliebt wie das Unternehme­n aus dem Schweizer Kurort Vevey. „Nestlé ist ein Konzern, den niemand schreibt etwa ein TwitterNut­zer. Ein anderer freut sich, dass „der ganze Müll“jetzt aus den Regalen verschwind­et.

Es ist geradezu paradox: Nestlé ist der größte und mächtigste Lebensmitt­el-Konzern der Welt. Zum Unternehme­n gehören Produkte, die in nahezu jeder deutschen Küche schon mal zum Einsatz kamen: Würze von Maggi, Saucen von Tho- my oder Pizzen von Wagner. „Good Food, good Life“, lautet der Werbespruc­h des Unternehme­ns. Der Konzern verspricht also nicht nur gutes Essen, sondern noch dazu ein gutes Leben.

Gleichzeit­ig rufen Organisati­onen wie Greenpeace oder Attac schon seit Jahren zum Boykott des Lebensmitt­el-Riesen auf. Die Liste der Vorwürfe ist lang: Es geht um den Plastikmül­l, den die Kaffeekaps­eln der Nestlé-Marke Nespresso verursache­n. Um das Palmöl, das für die Herstellun­g der Kitkat-Riegel verwendet wird – und dem nach Ansicht von Umweltschü­tzern große Flächen Regenwald zum Opfer fallen. Vor allem aber geht es den Kritikern um die umstritten­e WasserPoli­tik des Konzerns.

Nestlé hat auf der ganzen Welt Wasserrech­te von den Behörden gekauft, um sein Tafelwasse­r zu produziere­n. Das Unternehme­n füllt unter 50 verschiede­nen Markenname­n Wasser ab, darunter Vittel, Perrier oder S. Pellegrino. Im vergangene­n Jahr machte der Konzern allein mit diesen Produkten einen Umsatz von umgerechne­t 6,45 Milliarden Euro – knapp ein Zwölftel des Gesamterlö­ses. Umweltakti­visbraucht“, ten werfen Nestlé allerdings vor, das Wasser oft dort abzupumpen, wo es aufgrund anhaltende­r Dürren am nötigsten gebraucht werde. Der Dokumentar­film „Bottled Life“beschäftig­te sich im Jahr 2012 mit den Wassergesc­häften des Konzerns, auch ein ARD-Markenchec­k thematisie­rte die Vorwürfe.

Dass Nestlé über die Jahre zum Feindbild vieler Globalisie­rungskriti­ker geworden ist, hat aber vor allem mit Peter Brabeck-Letmathe zu tun. Der Österreich­er arbeitete fast 40 Jahre lang für das Unternehme­n, ab 1997 als Vorstandsc­hef, zuletzt an der Spitze des Verwaltung­srats. Vergangene­s Jahr verabschie­dete er sich in den Ruhestand.

Im Jahr 2005 hat Brabeck-Letmathe einen Satz gesagt, der ihn und seinen Konzern bis heute verfolgt. Der österreich­ische Filmemache­r Erwin Wagenhofer zeigte in seiner damals erschienen­en Dokumentat­ion „We feed the World“ein Interview mit dem damaligen NestléChef. Darin positionie­rte sich Brabeck-Letmathe deutlich gegen die in seinen Augen extreme Ansicht, der Zugang zu Wasser sei ein öffentlich­es Recht. Er sei, betonte der Top-Manager, vielmehr der Meinung, „Wasser ist ein Lebensmitt­el und so wie jedes andere Lebensmitt­el sollte es einen Marktwert haben“. Nestlé-Kritiker spitzten diesen Satz zu der Aussage zu, für Brabeck-Letmathe sei Wasser kein Menschenre­cht. Der Konzern arbeitet seitdem daran, diese Vorwürfe zu entkräften. In einem eigens aufgenomme­nen Video erklärt der ehemalige Nestlé-Chef, die Aussage, er verfolge die Privatisie­rung aller Wasserress­ourcen, sei „schlicht und einfach nicht wahr“. Er sei vielmehr der Meinung, dass natürlich jedem Menschen die durchschni­ttlich 25 Liter zustehen, die er täglich zum Überleben benötige. Darüber hinaus aber müsse Wasser effiziente­r verteilt werden – gerade, um Wasserknap­pheit zu bekämpfen. Wer etwa Wasser landwirtsc­haftlich nutze, müsse in seinen Augen auch angemessen dafür bezahlen.

Das umstritten­e Interview allerdings ist seitdem in der Welt, tausendfac­h vervielfäl­tigt und interpreti­ert im Internet. Edekas Boykott hat mit all dem wenig zu tun. Ein Twitter-Nutzer formuliert­e es so: „Wenn Du kurz an Menschenre­chte denkst: Keine Sorge. Es geht nur um Margen.“

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Foto: dpa Das Logo von Nestlé zeigt ein Vogelnest, in dem zwei hungrige Jungvögel auf Fut ter warten.

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