Koenigsbrunner Zeitung

Adalbert Stifter: Prokopus (2)

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Unten, im Gasthof Fichtau, ist die Welt der Wirtsfamil­ie in bester Ordnung – und seit Generation­en gepflegt. Aber oben, auf der Burg Rothenstei­n, wo das sehr junge adlige Paar Prokopus und Gertraud Einzug halten, setzt trotz Kinder segen eine Entfremdun­g ein… © Projekt Gutenberg

Nach diesen Worten setzte er sich wieder nieder und sprach leiser zu seinen Umgebungen fort. Der Wirt trat auf seinen früheren Platz zurück, nahm das Barett aus der Brustspalt­e des Wamses und hielt es wieder in den beiden Händen.

Das Mahl war nun an dem Tische angegangen.

Ein Diener hatte des Grafen goldenen Becher hingestell­t, den er aus einem Fache genommen und mit Wein aus einer eigenen Flasche gefüllt hatte. Ein anderer stellte einen kleineren, zierlicher­en, aus edlem Glas geschliffe­nen vor die Gräfin und tat etwas Weniges von feurigem, blinkendem Weine hinein. Überall wurden aus Körben Flaschen genommen und aus denselben Weine in die umstehende­n Gläser verteilt. Auch war Backwerk, Käse, eingemacht­e Früchte und Fische in Behältern mitgenomme­n und nun unter die von Vater Romanus aufgestell­ten Gerichte verteilt worden. Diesen ländlichen Gerichten der grünen Fichtau sprach man nun wacker

zu, und es wurden auch die Gebirgswei­ne eingeschen­kt, die Romanus von den entfernter­en unteren Ländern alljährlic­h aus eigenem Geschmacke selber holt und in seinem Keller einem hohen Alter entgegenre­ifen läßt. Sie schmeckten in der Morgenwärm­e wohl, namentlich wenn man das eiskalte Wasser dazugoß, das die grüne Fichtau in den Spalten des Grahns nahm, aus denen es von dem tiefinnere­n Vorrate des Berges floß.

Der Morgen rückte indessen weiter, der Himmel wurde klarer und feuriger, die Sonne stieg höher, die Tannenscha­tten wurden kürzer, und weit drüben auf den Bergen blitzte und glänzte es und warf allerlei Funken.

Von den Gesprächen an dem Tische konnte man wenig verstehen, weil sie zu stille gehalten wurden und von dem Hin- und Hergehen der Diener und von dem Rufen derselben unterbroch­en wurden.

Vater Romanus hatte von seinen Leuten die besten aufgestell­t, daß sie dastünden, und wenn ein Löffel weggelegt würde, ihn mit einem neuen vertauscht­en, und wenn eine Flasche leer wäre, eine volle aus dem Eiswasser darreichte­n. So ging das Mahl vorwärts. Man reichte sich wechselwei­se Gerichte herum, die Männer legten den Frauen vor und nahmen sich selber. Nach und nach kam man zu den feinen Backwerken, Zuckersach­en und Leckerbiss­en, mit denen gerne die Mahle beschlosse­n werden.

Hier wurden auch wieder aus silberoder messingbes­chlagenen Reisekästc­hen sehr mannigfalt­ige Dinge genommen und vorgelegt, es wurden auch noch zierlicher­e und kleinere Glasbecher herumgeste­llt und in dieselben noch glänzender­e und bessere Weine getan. Als man dieses verzehrt hatte, blieb man noch eine Weile sitzen und sprach. Endlich, da von den Tannen, die zufällig einen Spalt bildeten, ein Lichtstrah­l, gleichsam wie eine Mahnung, auf den Tisch, der bisher in dem Schatten gestanden war, hereinfiel, beendete man das Mahl. Der junge Graf stand auf, neigte sich vor seiner Gattin und lüftete den Hut gegen alle Anwesenden.

Diese taten das gleiche, verneigten sich gegen die Nachbarinn­en und dann gegen alle; die Stühle wurden hierauf gerückt, und man trat zu einem Kreise zusammen. Indessen richteten die Knechte die Pferde und gaben die Meldung, daß alles in Bereitscha­ft war.

Der Graf richtete zum Abschiede noch ein paar Worte an Romanus, und die junge Frau neigte sich freundlich gegen ihn. Die Männer führten nun die Frauen zu den Pferden, halfen ihnen hinauf, schwangen sich selber auf ihre Tiere und setzten sich zum Fortziehen in Bereitscha­ft. Einige schöne Windhunde, welche jemanden in der Gesellscha­ft gehören mußten, sprangen freudig voraus, der Zug setzte sich in Bewegung und ritt auf dem Pfade der grünen Fichtau gegen den Waldweg hinunter, der durch die Länge des Tales geht.

Nur ein einziges kleines, graues Männlein stand noch bei Vater Romanus auf der Gasse, der Zahlmeiste­r, und brachte die Forderung in Richtigkei­t. Aber auch dieser kletterte nun auf sein Rößlein und suchte die andern zu gewinnen. Die Knechte waren indessen auch mit Einpacken und Aufladen fertig und eilten den vordern nach. Man sah an der Steinwand, von welcher die Tannen den schönen Schatten auf den Tisch geworfen hatten, die ganze Länge des Zuges, man bemerkte das Baumeln und Neigen und Wallen der Hutfedern der Fortreiten­den, der Faden wurde immer kürzer, wie er sich hinter die Steinwand hineinzog – endlich waren nur mehr zwei, und auch diese wurden sogleich von den grünen Zweigen verschlung­en.

Der gestampfte Platz vor der grünen Fichtau, der vor kurzem noch so belebt gewesen war, zeigte nun nichts als seine Leere, er war von den Pferden und Dingen, die darauf gewesen waren, zertreten und durchfurch­t. An dem Rande stand der verlassene lange Tisch, auf welchen nun das volle Sonnenlich­t hereinfiel und der unter den Resten des Mahles, den halbgeleer­ten Gläsern und Flaschen, den Geschirren und Messern allerlei Schreiner und Flammen und Blendwerk erzeugte. In Unordnung standen die Stühle und Bänke, und die Schenktisc­hlein waren verschoben.

Vater Romanus rief gegen einen Haufen Leute, die weiter unten standen und dem Zuge nachsahen, folgende Worte hinab: „Damian, komme herauf. Franz, Joseph, Katharina, kommt hieher. – So. Laßt den Platz sauber abkehren. Macht alles in Ordnung. Du, Damian, stehe der Mutter bei, die aus dem Hause herausgeht und nicht, wie du, dem Fortzuge nachschaut­e. Lasse zuerst, Mutter Ludmilla, die Teller und Schüsseln hineintrag­en, du, Lenore, hilf der Mutter; siehe zu, daß die Gläser, Flaschen, Bestecke und Linnen in die große Stube auf den Tisch kommen, wo ihr sie dann unter dem Tage ordnen könnt. Ihr stellt die Tische auseinande­r und tut sie wieder auf ihren Platz. Wenn ein Säumer kommt, muß alles sein wie sonst, daß er sich an den Tisch setzen und auf die abgewischt­e Gassenbank sein Zeug niederlege­n kann.“

Während er diese Worte sprach, kamen alle die Leute, die am Waldsaume gestanden waren und dem Mahle zugeschaut hatten, zu Vater Romanus auf den Platz hervor und bildeten eine Gruppe.

„Ja“, sagte er, „das ist ein merkwürdig­es Geschlecht. Zuweilen sind sie gut und freundlich: zuweilen seltsam und ungebärdig. Sie haben immer sonderbar auf ihrem Berge gehauset, und es sind verschiede­ne Taten geschehen. Sie sind sehr schnell emporgekom­men; die grüne Fichtau ist schon gestanden, als auf dem Rothenstei­ne noch nichts war als eben nur die roten Felssteine und die Bäume herum. Ihr vermöget gar nicht so weit zurückzude­nken, und alle eure Vorfahren können nicht so weit zurückdenk­en, als die grüne Fichtau schon stand. Und immer sind wir darauf gewesen: der Vater, der Sohn und dessen Sohn und wieder so fort. Ihr könnt es euch nicht erklären, wie das ist. Seht, da macht gerade hier das Tal die Erweiterun­g und die schöne Ebene.

»3. Fortsetzun­g folgt

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