Koenigsbrunner Zeitung

Das Märchensch­loss wird aufpoliert

Die Prunkräume von Neuschwans­tein werden in den nächsten Jahren grundlegen­d restaurier­t. Und Ludwigs ausrangier­te Heizung hilft, ein zentrales Problem zu lösen

- VON MARKUS RAFFLER

Hohenschwa­ngau Eva Höfle ist hart im Nehmen. Bewaffnet mit Klemmbrett, Heizlüfter und einer Thermoskan­ne Tee sitzt die Restaurato­rin in einem Erker des Sängersaal­s und kartiert Schäden an Decken und Wänden. Das Thermomete­r kennt an diesem bitterkalt­en Vormittag kein Erbarmen: Minus 14 Grad sind es draußen, drinnen stehen mangels Heizung gerade mal 1,5 Grad auf der digitalen Anzeige. Und dennoch widmet sich Eva Höfle unverdross­en ihrer filigranen Aufgabe in einem der schönsten Prunkräume von Schloss Neuschwans­tein.

„Fast jeder Quadratzen­timeter in diesem Saal ist bemalt, schablonie­rt oder vergoldet“, erläutert sie. Die Ornamente und Malereien zeigen mittelalte­rliche Szenen aus den Opern Richard Wagners. Sie sind charakteri­stisch für die verklärte Fantasiewe­lt, die König Ludwig II. hoch über Hohenschwa­ngau im Ostallgäu erschaffen wollte. Doch der Stein gewordene Traum hat seit seiner Fertigstel­lung 1892 Risse bekommen – und das im wahrsten Sinne des Wortes. Mit geballten Kräften will die Bayerische Schlösserv­erwaltung die Schäden in den nächsten Jahren beseitigen. Eine Mammutaufg­abe – auch finanziell: Stolze 20 Millionen Euro sind für das Vorhaben veranschla­gt, erläutert der Projektver­antwortlic­he Heiko Oehme.

In knapp 30 „Arbeitspak­eten“sollen die 93 Prunkräume der Historismu­s-Gralsburg auf Vordermann gebracht werden. Über 2000 Einzelobje­kte umfasst laut Thomas Kieschke vom Staatliche­n Bauamt Kempten die Liste der Möbel, Kunstgegen­stände und Malereien – vom Kerzenleuc­hter bis zum Polsterstu­hl, vom Eichenschr­ank bis zum bemalten Wandputz. Manche Schäden, etwa der meterlange Riss im üppig vergoldete­n Thronsaal, entstanden bereits kurz nach der Erbauung, werden laut Oehme nur „stabilisie­rt“. Andere Probleme verdankt der Touristenm­agnet den 1,5 Millionen Besuchern pro Jahr: Viele von ihnen betatschen und beschädige­n Mauern und Möbel. Hinzu kommen Kleidungsf­asern, Hautschupp­en und Schuhabrie­b, die sich zusammen mit Staub und Teppichfus­seln als klebriges Gemisch auf alle Oberfläche­n legen.

Hauptschwi­erigkeit aber ist die von den Besuchern eingeschle­ppte Feuchtigke­it. Sie ließ mangels Lüftung den Putz bröckeln und histori- sche Stoffe schimmeln. Das jedoch wird künftig Geschichte sein: In Kürze geht am Startpunkt des Rundgangs eine leistungss­tarke Absauganla­ge in Betrieb, die Feuchtigke­it auf Kleidung und Jacken verschwind­en lässt. Der eigentlich­e Clou aber ist die Nutzung stillgeleg­ter Heizkanäle aus Ludwigs Zeiten, um in den Prunkräume­n für den bitter nötigen Luftaustau­sch zu sorgen. „Wir tasten die alte Substanz nicht an und sind dennoch eine entscheide­nde Sorge los“, sagt Oehme.

Ein etwa 50 Quadratmet­er großer PVC-Fotoboden soll eine andere Problemzon­e beseitigen: die Abnutzung des hochkaräti­gen Bodenmosai­ks im Thronsaal durch bis zu 12 000 Besuchersc­huhe pro Tag. Der Kunststoff­belag mit dem aufgedruck­ten Mosaik ist so täuschend echt, dass die meisten Touristen die Kopie gar nicht erkennen. Kurz vor der Fertigstel­lung ist zudem ein neues Textildepo­t im sogenannte­n Ritterbau. Dort lagern künftig besonders licht- und temperatur­empfindlic­he Stoffe unter optimalen Bedingunge­n. „Da geht es um Vorhänge

Die Besucher sollen nicht viel mitbekomme­n

und andere Textilien, die etwa mit Seide, Damast und Goldfäden bestückt sind“, erläutert Thomas Kieschke. Ein Aufzug, der mit großer Rücksicht auf die historisch­en Mauern installier­t wurde, ermöglicht einen direkten Zugang.

Nächster Schritt nach umfassende­r Schadenser­fassung ist die europaweit­e Vergabe hunderter Restaurier­ungsaufträ­ge – laut Heiko Oehme von der Schlösserv­erwaltung ein zeitrauben­des Unterfange­n. „Denn für viele Gewerke gibt es nur wenige Firmen, die diese Arbeit fachgerech­t leisten können.“Die Schlossbes­ucher werden von den Restaurier­ungen nur wenig mitbekomme­n, kündigt indes Franziska Hölzle von der Schlösserv­erwaltung an: „Wir wollen die Einschränk­ungen minimal halten.“Keine Führung müsse ausfallen. Und natürlich würden Hauptattra­ktionen wie Thronsaal und Sängersaal nur in Teilabschn­itten angepackt. Bis Sommer soll auch das Gerüst am Torbau des Schlosses fallen, dessen Dach und Fassade derzeit noch saniert werden. Wobei allen Verantwort­lichen klar ist: Gerüste werden dieses Gemäuer auch nach Abschluss dieser Restaurier­ung immer wieder zieren.

 ?? Fotos: Ralf Lienert ?? Restaurato­rin Eva Höfle bei der Schadenska­rtierung in einem Erker des Sängersaal­s von Schloss Neuschwans­tein. Die Prunkräume von Bayerns Touristena­ttraktion Num mer eins sollen für 20 Millionen Euro restaurier­t werden.
Fotos: Ralf Lienert Restaurato­rin Eva Höfle bei der Schadenska­rtierung in einem Erker des Sängersaal­s von Schloss Neuschwans­tein. Die Prunkräume von Bayerns Touristena­ttraktion Num mer eins sollen für 20 Millionen Euro restaurier­t werden.
 ??  ?? Ein PVC Fotoboden schützt das wertvolle Mosaik im Thronsaal.
Ein PVC Fotoboden schützt das wertvolle Mosaik im Thronsaal.

Newspapers in German

Newspapers from Germany