Koenigsbrunner Zeitung

Große Freiheit Interrail

Millionen Europäer sind in den vergangene­n Jahrzehnte­n mit dem Zug kreuz und quer durch den Alten Kontinent gefahren. Nun will die EU 30000 Interrail-Tickets verschenke­n

- VON MARKUS BÄR

Augsburg Die Welt ist bekanntlic­h voller Vorurteile: Deutsche sind humorlos, Spanier feurig, Franzosen sensatione­ll gute Liebhaber und Schotten wegen ihres Whiskys trinkfest. Vielleicht aber auch so: Schotten sind feurig, Franzosen trinkfest, Spanier humorlos und Deutsche sensatione­ll gute Liebhaber. Oder doch wieder ganz anders? Wer seine sieben Sachen packt und in ein anderes Land reist, stellt sowieso schnell fest, dass es mit den Klischees oftmals einfach Quatsch ist. Ein denkbar einfacher Weg, Klischees durch Erlebnisse unschädlic­h zu machen, ist das gute alte Interrail-Ticket. Das gibt es nunmehr seit 1972. Und es soll nach den Vorstellun­gen der Europäisch­en Kommission nun gefördert werden.

Zwölf Millionen Euro will sie ausgeben, um dieses Jahr 30 000 jungen Europäern ein Ticket zu spendieren – und sie so auf die Schiene, ins Ausland und damit zu einsichtsv­ollen Erlebnisse­n zu bringen. Offenbar sollen sich alle jungen EU-Bürger, die ab dem Jahr 2000 geboren sind, Internet bewerben können. Wer genau zum Zuge kommt, muss noch geklärt werden. Unklar ist derzeit auch, ob die Aktion einmalig ist. Die Nachfrage jedenfalls ist vorhanden: Nach Angaben der Eurail Group sind 2016 mehr als 250 000 InterrailT­ickets bestellt worden. 2005 habe man dagegen nur rund 100000 Tickets verkauft.

Ursprüngli­ch hatte das EU-Parlament die Idee gehabt, jedem EUBürger zum 18. Geburtstag ein Interrailt­icket zu schenken. Das hätte aber über eine Milliarde Euro gekostet – es wurde als zu teuer abgelehnt. Der neue Vorstoß ist eine abgespeckt­e Version. Ab Sommer soll es losgehen. Die europäisch­e Identität stärken – und sicher das eine oder andere Klischee beseitigen.

Der Begriff Interrail mag vielleicht heute etwas altbacken klingen. In einer Zeit des Internets, in der Whatsapp-Nachrichte­n mit Lichtgesch­windigkeit um die Erde rasen, in der Flugticket­s im Verhältnis viel weniger kosten als in den 80er Jahren, soll man in ein fast betulich anmutendes Verkehrsmi­ttel wie den Zug einsteigen? Dabei ist das Interrail-Ticket auf seine Art genial. Man bezahlt einmal und kann mehrere Wochen kreuz und quer durch Europa fahren, die Eisenbahng­esellschaf­ten fast aller Länder des Alten Kontinents machen mit. Heute gibt es die Fahrkarte, die sich früher nur an jüngere Menschen etwa im Studentena­lter richtete, auch für Ältere – bis hin zum Seniorenal­ter. Die Tickets kosten bloß unterschie­dlich viel.

Das Ticket verleiht dem Reisenden eine unglaublic­he Freiheit. Wer etwa nachmittag­s in den Jardin du Luxembourg in Paris spazieren geht und eigentlich vielleicht weiter nach Lissabon wollte, kann spontan sagen: „Nö! Ich will doch lieber nach Griechenla­nd.“Ab zur Gare de l’Est und rein in den Zug. Junge Interraile­r mit schmalem Budget haben seit Jahrzehnte­n den Vorteil genutzt, dass eine Nachtfahrt das Geld für eine teure Übernachtu­ng einspart. Bei Erdnüssen und einem Schluck Bier kommt man im Nachtexpre­ss schnell den neuseeländ­ischen oder kolumbiani­schen Rucksackre­isenden im Zug näher. Irgendwann findet man dann auch eine Schlafposi­tiper on im Abteil. Die Sitze sind in ihrer Dimensioni­erung immer noch allemal größer als jene in den Bussen, mit denen man alternativ durch die Gegend reisen könnte. Stichwort Flixbus und Co. Auch die Qualität der Jugendherb­ergen hat sich europaweit deutlich verbessert. Fest steht: Wer ein paar Wochen auf diese Weise durch Europa reist, hat meist ordentlich etwas zu erzählen. Oft wird auf die EU geschimpft. Aber diese Idee der EU-Kommission klingt richtig gut.

 ?? Foto: K. Deakin, Imago ?? Die Gleise zwischen Fort William und Mallaig in den schottisch­en Highlands bilden eine der schönsten Bahnstreck­en Europas. Der ehrwürdige Jacobite Steam Train, mit dem auch Harry Potter in den gleichnami­gen Filmen fuhr, ist zwar nicht im Interrail...
Foto: K. Deakin, Imago Die Gleise zwischen Fort William und Mallaig in den schottisch­en Highlands bilden eine der schönsten Bahnstreck­en Europas. Der ehrwürdige Jacobite Steam Train, mit dem auch Harry Potter in den gleichnami­gen Filmen fuhr, ist zwar nicht im Interrail...

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