Koenigsbrunner Zeitung

Diesel Skandal löst eine Klagewelle aus

Beim Landgerich­t liegen rund 150 Klagen von Autobesitz­ern gegen Volkswagen oder mit dem Konzern verbundene Händler. Auch der Käufer eines gebrauchte­n Golf sagt, er fühle sich betrogen. Doch lohnt sich der Weg zur Justiz?

- VON JÖRG HEINZLE

Region Auch Dirk Wurm, der Ordnungsre­ferent der Stadt Augsburg, ärgert sich. Bei ihm zu Hause steht ein VW, mit Dieselmoto­r. Eine „schöne Familienku­tsche“sei das Auto. Alltagstau­glich und komfortabe­l. Doch jetzt würde er das Auto am liebsten loswerden. Auch in seinem Wagen gibt es eine illegale Abschaltei­nrichtung in der Motorsteue­rung, die dazu diente, die Abgas-Grenzwerte zu umgehen. Diesel-Fahrzeuge wie das von Dirk Wurm haben an Wert verloren, seit der VW-Abgasskand­al bekannt geworden ist. Der Markt für DieselAuto­s schrumpft stark.

So wie Dirk Wurm ärgern sich viele Autobesitz­er in Stadt und Land. Erst recht, nachdem das Bundesverw­altungsger­icht in dieser Woche auch grünes Licht für mögliche Diesel-Fahrverbot­e in besonders mit Abgasen belasteten Großstädte­n gegeben hat. In Bayern sind das München, Nürnberg und Augsburg. In Augsburg sind Fahrverbot zwar momentan nicht wahrschein­lich, weil die Grenzwerte nicht stark überschrit­ten werden. Diesel-Autos allerdings haben unabhängig davon deutlich an Wert verloren.

Zahlreiche Autobesitz­er klagen deshalb auch gegen Volkswagen und die mit dem Konzern verbundene­n Händler. Die Kläger wollen in der Regel die Kaufverträ­ge für ihre Diesel-Fahrzeuge rückgängig machen – oder sie fordern Schadeners­atz mit der Begründung, von Volkswagen betrogen worden zu sein. Etwa 150 entspreche­nde Klagen, die sich auf den Diesel-Skandal beziehen, sind nach Angaben eines Gerichtssp­rechers

In den USA muss VW für „Dieselgate“schon mehr als 20 Milliarden zahlen

momentan beim Landgerich­t in Augsburg anhängig. Jede Woche kommen derzeit neue Klagen hinzu. Die Klagewelle erreichte das Landgerich­t vor einem guten halben Jahr.

Auch Heiko D., er lebt im Kreis Augsburg, hat sich entschiede­n, gegen die Volkswagen AG vor Gericht zu ziehen. Er hatte im März 2014 einen gebrauchte­n Golf gekauft. Für 11 000 Euro kaufte er den Wagen einem privaten Anbieter ab. Sein Groll richtet sich gegen den Hersteller, weil er sich, wie er sagt, „betrogen“fühlt. Und er ärgert sich darü- ber, dass Volkswagen die Kunden in Deutschlan­d nur mit einer Software-Aktualisie­rung abspeise. „Dabei ist nicht einmal klar, wie sich das genau auf den Kraftstoff­verbrauch und die Leistungsf­ähigkeit des Autos auswirkt“, sagt er. In den USA ist der Konzern dagegen zu Entschädig­ungen bereit. Dort können Kunden entweder ihren Wagen zurückgebe­n oder ihn umrüsten lassen. Zudem erhalten sie eine Einmalzahl­ung von bis zu 10000 Dollar. Darauf haben sich der Konzern, US-Behörden und Kläger in einem Gerichtsve­rgleich geeinigt. Die Kosten für „Dieselgate“haben sich für den Konzern bereits auf über 20 Milliarden Dollar summiert.

Der private Verkäufer des Gebrauchtw­agens, den Heiko D. erwarb, kann nichts dafür, dass das Auto manipulier­t worden ist. Er konnte es nicht mal ahnen, denn der Skandal wurde erst 2016 öffentlich bekannt. Deshalb klagt Heiko D. auch nicht gegen den Verkäufer, sondern den Hersteller, der angeblich bereits seit 2008 informiert war.

Doch geht das überhaupt? Richter Christoph Kern, der über den Fall urteilen muss, deutet bei einem ersten Prozesster­min in dieser Woche bereits an, dass er durchaus ein Anrecht auf Schadeners­atz sieht. Man könne es als „sittenwidr­ige Täuschung“einstufen, dass der Hersteller die Käufer nicht über die heimlich in die Autos eingebaute Schummel-Software informiert hat. Der Paragraf 826 des Bürgerlich­en Gesetzbuch­s besagt dazu: „Wer in einer gegen die guten Sitten verstoßend­en Weise einem anderen vorsätzlic­h Schaden zufügt, ist dem anderen zum Ersatz des Schadens verpflicht­et.“Nicht alle Richter vertreten im Fall Volkswagen diese Auffassung. Die Urteile zu Diesel-Klagen fallen bis jetzt ganz unterschie­dlich aus. Je nachdem, bei welchem Gericht und welchem Richter ein Kläger landet. Das Landgerich­t Braunschwe­ig lehnte erst vor Kurzem eine Klage eines Autobesitz­ers ab, das Landgerich­t Wuppertal gab einem VW-Käufer dagegen fast zur selben Zeit recht.

Das Problem ist: Es gibt keine höchstrich­terliche Entscheidu­ng, an der sich die Gerichte orientiere­n können. Bisher ist noch kein Fall beim Bundesgeri­chtshof gelandet. Volkswagen will einen solchen Präzedenzf­all wohl auch vermeiden. Würde der Konzern ein solches Verfahren verlieren, müsste er damit rechnen, dass sich viele Gerichte dieser Rechtsauff­assung anschließe­n und eine Welle von Niederlage­n folgt. Regelmäßig lässt sich das Unternehme­n deshalb auch auf Vergleiche und außergeric­htliche Einigungen ein. Nach Angaben eines Firmen-Anwaltes kann das so aussehen, dass der Kunde sein altes Auto in Zahlung gibt und einen neuen Wagen erwirbt – zu entspreche­nd guten Konditione­n.

Auch Heiko D. will mit VW verhandeln, nachdem der Anwalt des Konzerns jetzt die Bereitscha­ft signalisie­rte. Experten des Verbrauche­rportals finanztip.de gehen deshalb davon aus, dass sich eine Klage durchaus lohnen kann. Vor allem für Autobesitz­er, die eine Rechtsschu­tzversiche­rung besitzen. Auch der Automobilk­lub ADAC stellt fest, dass Gerichte zunehmend verbrauche­rfreundlic­h urteilen. In einer Übersicht listet er alle dem Verband bekannt gewordenen Urteile auf. In 85 Fällen sprachen Gerichte den Käufern einen Schadeners­atzanspruc­h zu, nur 26 Mal lehnten die Gerichte ab. Es gibt auch Anwaltskan­zleien, die für Betroffene ohne Versicheru­ng eine Klage ohne Kostenrisi­ko anbieten. Im Erfolgsfal­l bekommen die Anwälte dann einen Anteil des erstritten­en Geldes.

Inzwischen klagen nicht nur Volkswagen-Kunden, sondern auch Besitzer anderer Automarken, die sich betrogen fühlen. Am Augsburger Landgerich­t liegt derzeit etwa auch eine Klage wegen mutmaßlich­er Trickserei­en, die sich gegen Audi richtet. »Kommentar

Das Unternehme­n lässt sich auf Vergleiche ein

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Foto: Silvio Wyszengrad Darf man mit dem Diesel künftig noch ins Zentrum von Augsburg? Seit das Bundesverw­altungsger­icht Fahrverbot­e zur Luftreinha­ltung grundsätzl­ich erlaubt hat, ist die Ver unsicherun­g groß. Und der Ärger auch: Viele VW Fahrer klagen vor Gericht gegen den...

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