Das Waffenöl neben dem Babystrampler
Einzelhandel Das wohl ungewöhnlichste Sortiment in Schwabmünchens Geschäftswelt gibt es bei Rittmayr & Härle in der Fuggerstraße. Warum das Angebot eng mit der 125-jährigen Firmengeschichte verknüpft ist
Schwabmünchen Heinz Härle steht hinter der Verkaufstheke und empfiehlt einem Kunden ein Waffenöl zur Pflege seines Luftgewehrs. „Das Fahrrad meiner Tochter bräuchte dringend eine Inspektion“, sagt ein anderer Kunde zu einer Angestellten. „Der Strampler müsste der Maria passen“, sind die Gesprächsfetzen zweier Damen, die sich bei der Kinderbekleidung umschauen. Auf den ersten Blick etwas irritierend, ist diese Situation bei Rittmayr & Härle in der Fuggerstraße Normalität.
Heinz Härle spricht über die 125-jährige Firmengeschichte, die 1893 begann. Der aus Memmingen stammende Fahrrad- und Nähmaschinenmechaniker Richard Voigt gründete nach seiner Heirat mit Maria Miller an der Frauenstraße die Keimzelle des heutigen Unternehmens. Voigt sei 1895 bei einer Fahrt mit seinem NSU-Motorrad nach Mittelstetten gestürzt und habe tödliche Verletzungen erlitten. 1898 habe daraufhin die Witwe Maria Voigt den Namensgeber des heutigen Unternehmens, Constantin Rittmayr, geheiratet. Der aus Dillishausen stammende Schlosser, dessen Gesellenstück noch heute in St. Peter in München bestaunt werden kann, lernte den aus Landsberg stammenden Kommerzienrat Johann Baptist Winklhofer kennen, der zusammen mit Richard Adolf Jaenicke die Wanderer-Werke in Chemnitz gegründet hatte. Rittmayr sicherte sich die Alleinverkaufsrechte an den dort her- gestellten Fahrrädern und Büromaschinen in der hiesigen Region. „Durch ein Treffen mit Georg Pfaff sicherte er sich dieselben Rechte für die gleichnamigen Nähmaschinen“, zitiert Heinz Härle aus der Familienchronik. Rittmayrs Einberufung zum Militär im Ersten Weltkrieg brachte ihn in die Büchsenmacherei auf dem Lechfeld. Durch die dort gemachte Ausbildung nahm er auch Sport- und Jagdwaffen mit in das Sortiment seines Geschäftes an der Frauenstraße auf. „Über die Jagd hat mein Großvater auch eine Verbindung zu Ludwig Thoma gehabt. Für Thoma hat er Waffen gebaut und gewartet. Auch das erste Auto in der Stadt gehörte meinem Opa“, erzählt Härle. Zur ebenfalls vorhandenen Vertretung für NSU-Motorräder und einer „Benzin-Station“kam 1934 die Vertretung als BMW-Händler.
Anfang der 1930er-Jahre habe die Weberei Holzhey überregional Fachkräfte gesucht. Diesem Ruf sei auch der Stuttgarter Paul Härle gefolgt. Als Sänger im Kirchenchor habe er bei der ersten Probe Constantine Rittmayr kennengelernt und sich sofort verliebt, erzählt der heutige Geschäftsführer Heinz Härle von seinen Eltern. In der Folge habe Paul die Weberei verlassen und sei im Geschäft eingestiegen, der heutige Firmenname wurde im Handelsregister eingetragen. Intensive Erinnerungen hat der heute 83-jährige Heinz Härle noch an den folgenschweren Bombenangriff am 4. März 1945. „Ich erinnere mich gut daran, wie der Kirchturm brannte. Das Geschäft in der Frauenstraße hat auch Schaden genommen. Ein Betonsturz vom Nachbarhaus ist durch den Dachboden bis ins Erdgeschoss gefallen“, erinnert er sich. Sein Großvater habe noch Benzin für die Pumpe der Feuerwehr auf der Singoldstraße gebracht, ergänzt er.
1951 startete Heinz Härle mit der Ausbildung zum Maschinenbauer in der Augsburger Rudolf-Diesel-Akademie. Damit nicht genug. Weitere Ausbildungen wie bei Pfaff in Kaiserslautern und bei der Firma NSU in Neckarsulm folgten. „Der Platz an der Frauenstraße wurde knapp. Deshalb zogen wir 1964 in den alten Bauernhof an der Fuggerstraße.“Zusätzlich wollte man die Geschäftslage für die Laufkundschaft verbessern, erinnert sich Härle.
Kurz vorher waren auf Anraten seiner Mutter und der Verkäuferinnen Kinderwagen und -bekleidung mit ins Sortiment aufgenommen worden. „Wir wollen etwas Frauliches haben und nicht nur mit Technik umgehen“, war die vorherrschende Meinung der weiblichen Angestellten. Paul Härle stimmte zu. Damit war das eigenartig anmutende Angebot, das bis heute Bestand hat, geboren. „Uns selber ist es nie so außergewöhnlich vorgekommen. Bis heute ist es ein gutes Standbein des Geschäfts“, kommentiert
Heinz Härle diesen Schritt. Moderne Zeiten haben auch im Geschäft Spuren hinterlassen. „Seit Kurzem haben wir Kinderwagen aus dem Sortiment genommen. Die Lagerhaltung war zu kostenintensiv“, sagt Härle.
1980 übergab der 78-jährige Paul Härle die Geschäftsführung an seinen Sohn Heinz. „Mein Vater war ungeheuer fleißig. Der Nähmaschinenverkauf lief weniger im Laden, mehr im Hausverkauf“, erläutert er und greift neben seinen Schreibtisch. Eine braune Ledertasche, leicht verstaubt, kommt zum Vorschein. „Das ist die Originaltasche meines Vaters, so wie er sie zu Lebzeiten hingestellt hat“, sagt Härle und holt kleine Musterhefte mit Stichproben hervor. Der Katalog ist nicht gedruckt, sondern enthält Schwarz-Weiß-Fotos der Maschinen. Der Stempel der PfaffWerke auf der Rückseite der Fotos mit handgeschriebenen Registriernummern lassen die Handelsgeschichte lebendig werden. Die ersten Freiarmmaschinen waren genauso vertreten wie die in Möbelstücke eingebaute Maschinen. „Diese Tasche ist mir sehr wichtig. Ich bring es nicht fertig, diese Tasche wegzuwerfen“, sagt Härle und erzählt, dass er für nahezu jede Nähmaschine noch Ersatzteile habe. „Auch die ganz alten könnte ich noch reparieren“, sagt er nicht ohne Stolz.
Wichtiger Teil der Firmenphilosophie sei immer die hohe Wertigkeit der angebotenen Ware gewesen. „Gleichzeitig können wir alles warten, was bei uns verkauft wird. Der Service ist unser höchstes Gut“, bekräftigt Härle. Die Werkstatt sei im weiteren Umkreis eine der wenigen, die noch Nähmaschinen repariere, fügt er hinzu. Albrecht Härle, Sohn des Geschäftsführers, absolvierte eine Ausbildung zum Büromaschinenmechaniker bei Triumph-Adler in München und hat sich mit zahlreichen Weiterbildungen in die Lage versetzt, das Traditionsunternehmen in vierter Generation weiterzuführen. „Für die E-Bikes geht er jedes Jahr auf Fortbildungen“, sagt Härle. Bevor Härle die E-Bikes der Firma Flyer führen konnte, musste die Werkstatt nach den hohen Qualitätsstandards des Schweizer Unternehmens zertifiziert werden. „Auch das spiegelt den hohen Standard unseres Hauses wider“, sagt der Geschäftsführer.
Während sein Vater Heinz eine Nähmaschine auf den eigens dafür ausgestatteten Werktisch hebt und die Mängelbeschreibung auf dem Reparaturauftrag durchliest, zieht Albrecht Härle in der Werkstatt gleich nebenan die Muttern an einem Fahrrad fest. In der Werkstatt warten noch einige Fahrräder auf die Reparatur. An den Wänden beobachten alte Emaille-Schilder aus der 125jährigen Firmengeschichte des Unternehmens das Geschehen.