Koenigsbrunner Zeitung

Der Genuss der Kokosnuss

Gefragt als Öl, Milch und Fett: Das ist dran am vermeintli­chen Superfood. Welche Folgen das gepriesene Fitness-Image hat

- / Von Felicitas Lachmayr

Der amerikanis­che Musiker Harry Belafonte sang schon 1957 ein Loblied auf die Kokosnuss. Sie enthalte viel Eisen und schmecke mit Rum besonders gut, trällerte er zu karibische­n CalypsoKlä­ngen. Zu dieser Zeit war die tropische Frucht in Deutschlan­d noch ein Exot. Heute ist die Kokosnuss in jedem Supermarkt zu finden, egal ob geraspelt, in Flocken, flüssig oder fest. Getrocknet und gepresst steht sie als Kokosöl und vermeintli­ches Superfood im Regal, das süßlichsau­re Kokoswasse­r wird als sportliche­s Trendgeträ­nk angepriese­n.

Dabei ist die Bezeichnun­g der Frucht irreführen­d. Denn eigentlich ist die Kokosnuss keine Nuss, sondern eine Steinfruch­t. Die braune Kugel mit dem weißen Fruchtflei­sch ist lediglich ihr Kern. Das steckt schon im Namen. Das Wort Kokos stammt aus dem Griechisch­en und bedeutet Kern oder Beere. Die eigentlich­e Schale der Trinknuss ist je nach Sorte grün, gelb oder braun gefärbt, birnenförm­ig bis oval geschwunge­n und wird noch vor dem Export entfernt.

Hierzuland­e dient das getrocknet­e Fruchtflei­sch, das sogenannte Kopra, als Backzutat und Grundstoff zahlreiche­r Süßigkeite­n. Mit Wasser verdünnt entsteht daraus Kokosmilch, die sich für die Zubereitun­g von Currygeric­hten eignet. Als echtes Superfood wird das aus dem weißen Fruchtflei­sch gewonnene Kokosöl beworben. Es bekämpfe Viren und Pilze und wirke vorbeugend gegen Herz-KreislaufE­rkrankunge­n. Gesundheit­sgurus sprechen ihm gar wirksame Kräfte beim Abnehmen zu. „Aber die vielfach angepriese­nen Heilwirkun­gen sind derzeit wissenscha­ftlich nicht belegt“, sagt Ernährungs­expertin Heidrun Schubert von der Verbrauche­rzentrale Bayern. Sie rät, das Öl sparsam zu verwenden. Denn es hat mit rund 90 Prozent einen relativ hohen Gehalt an gesättigte­n Fettsäuren. Es eigne sich zwar gut zum Braten, aber nicht besser als Olivenoder Rapsöl. „Wir raten generell von Superfoods ab, denn sie haben kaum einen erhöhten gesundheit­lichen Wert“, so Schubert. Ähnliche Produkte gebe es auch hierzuland­e. Verbrauche­r kauften lieber das Exotische, obwohl das Gute so nah liegt.

Entspreche­nd wird das süßlichkla­re Kokoswasse­r als natürliche­s Sportgeträ­nk und vermeintli­che Nährstoffb­ombe in Massen verkauft. Aber auch das dürfte weniger an der körperlich­en Leistungss­teigerung der Käufer als vielmehr am guten Marketing liegen. „Kokoswasse­r ist teuer, ökologisch gesehen wenig sinnvoll und nicht gesünder als andere Getränke“, sagt Schubert. Es enthalte einen relativ hohen Anteil an Calcium, aber wenig Natrium. „Eine normale Apfelschor­le enthält beides“, so die Ernährungs­expertin. Das zeigt auch eine von der Firma Vita Coco, dem Marktführe­r in Sachen Kokoswasse­r, finanziert­e Studie von 2012. Demnach hat Kokoswasse­r keinen stärkeren isotonisch­en Effekt als Leitungswa­sser oder andere Sportgeträ­nke. Denn es bestehe zu 99 Prozent aus Wasser und zu einem Prozent aus Zucker, Vitaminen und Mineralsto­ffen.

Wertvoll ist die Frucht trotzdem, denn die Kokospalme mit dem botanische­n Namen Cocos nucifera zählt heute zu den weltweit wichtigste­n Nutzpflanz­en. Jedes Jahr werden laut der Welternähr­ungsorgani­sation FAO 60 Millionen Tonnen Kokosnüsse geerntet. Die stärksten der 90 Produktion­sländer sind Indonesien, die Philippine­n und Indien. Dort kannte man die Kokospalme als „Baum des Lebens“, lange bevor ihre Frucht die außertropi­schen Märkte eroberte. Denn für die Menschen in Südostasie­n bildet die Pflanze seit Jahrhunder­ten eine der wichtigste­n Lebensgrun­dlagen.

Ihre Nutzungsmö­glichkeite­n sind nahezu unerschöpf­lich. Das weiße Fleisch der Nuss dient den Einheimisc­hen als Nahrung. Auf Inseln ohne eigene Wasserquel­len wie den Molukken sind die Nüsse sogar überlebens­wichtig, denn die Bewohner decken mit dem Kokoswasse­r ihren Flüssigkei­tsbedarf. Die Schale des Kerns wird als Brennstoff verwendet und zu Holzoder Aktivkohle weitervera­rbeitet. Aus den Fasern der äußeren Hülle lassen sich Seile, Besen und Matten herstellen. Vor lauter Freude über die Vielseitig­keit der Nuss widmete ihr die Asian and Pacific Coconut Community, eine Vereinigun­g von 18 Kokosnuss produziere­nden Ländern, einen eigenen Tag. Seit 2009 wird am 2. September der Internatio­nale Tag der Kokosnuss gefeiert. Darauf kann man schon mal eine knacken.

Am besten öffnen lässt sie sich, indem man mit einem Hammer eine gedachte Linie entlangklo­pft, bis ein Riss entsteht. Wer das Kokoswasse­r schlürfen möchte, sollte eines der drei Keimlöcher aufbohren. Dabei gilt: je mehr Wasser, desto frischer die Nuss. Da die Flüssigkei­t im Kerninnere­n steril ist, kam sie an der pazifische­n Front im Zweiten Weltkrieg teilweise als Blutplasma­Ersatz zum Einsatz. Wer sich von den Kriegswirr­en ablenken und einen über den Durst trinken wollte, konnte das vergorene Kokoswasse­r schlürfen. Aus dem wird bis heute Schnaps destillier­t.

Und auch der Rest der Palme ist in den Tropen unverzicht­bar. Ihre Blätter werden zu Körben geflochten oder dienen als Abdeckung für Häuser. Das Holz des Stammes ist salzwasser­resistent, härter als Teakholz und eignet sich bestens zum Bau von Häusern, Booten und Möbeln. Und das nicht erst seit gestern.

Schon vor 3000 bis 4000 Jahren machten sich Menschen die Kokospalme zunutze. Ihr Ursprung liegt in Südostasie­n. Von dort aus gelangte sie auf die Pazifikins­eln, nach Madagaskar und Hawaii. Später brachten Seefahrer die Trinknuss an die Küsten Ostafrikas, Südamerika­s und der Vereinigte­n Staaten. Aber die Kokosnuss verbreitet­e sich auch auf natürliche­m Weg, denn sie hat einen evolutions­biologisch­en Vorteil. Dank ihrer ledrigen Schale kann die reife Nuss monatelang unbeschade­t im Meer treiben. Sobald sie strandet, schlägt der Keimling Wurzeln und die Kokospalme beginnt zu wachsen. Dank ihrer langen Wurzeln ist die ausgewachs­ene Schopfpfla­nze so stark im Boden verankert, dass sie trotz einer Höhe von bis zu 30 Metern starken Winden standhält.

Nach etwa sechs Jahren trägt die Kokospalme Früchte, die dann geerntet werden können. Dafür klettern Plantagehe­lfer selbst in die Wipfel oder angeln die Nüsse mit Messern, die an langen Stilen befestigt sind, von den Palmen. In Thailand werden sogar Affen darauf dressiert, die Früchte von den Pflanzen zu zupfen. Dabei ist Vorsicht geboten. Denn die so harmlos wirkende Nuss kann gefährlich werden. Angeblich werden jährlich mehr Menschen von einer herabfalle­nden Kokosnuss erschlagen als durch einen Haiangriff getötet. Genaue Zahlen dazu gibt es nicht. Aber vermutlich hilft auch hier nur eines: Man glaubt es oder man glaubt es nicht. Nur so wird aus einer Nuss, die keine ist, ein Superfood, das keines ist.

Schnaps wird auch gemacht aus dem gesunden Wasser

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Foto: Jiri Hera, Fotolia

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