Koenigsbrunner Zeitung

Alleskönne­r oder Fachidiote­n?

Geisteswis­senschaftl­er tun sich bei der Job-Suche oft schwer. Wie sie herausfind­en, was zu ihnen passt

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Nürnberg Wer durch das Treppenhau­s der Philosophi­schen Fakultät der Universitä­t Erlangen geht, passiert auf dem Weg eine Pinnwand, über der ein gelbes Schild hängt. „Später mal Taxifahrer“, ist darauf zu lesen. Aufgehängt hat dieses Schild die Fachschaft­sinitiativ­e der Politologe­n. Sie greift damit ein Dilemma auf, in dem viele Geisteswis­senschaftl­er stecken: Sie können mit ihrem Studiengan­g beruflich alles Mögliche machen – wissen aber oft nicht, was.

Um diese Unsicherhe­it ins Positive zu wenden, ist vor allem seit der Bologna-Reform Anfang der 2000er Jahre immer wieder die Rede von Geisteswis­senschaftl­ern als „Generalist­en“. Sie sollen dank vielfältig­er Fähigkeite­n gute Chancen auf dem Arbeitsmar­kt haben. Allerdings hat sich wahrschein­lich schon so mancher Absolvent nach der zehnten erfolglose­n Bewerbung gefragt, wo man die Jobs finden soll.

Sieht man sich die Statistik an, lautet die Antwort: nicht unbedingt in dem Fachbereic­h, den man studiert hat. Zwar ist die Zahl der sozialvers­icherungsp­flichtig Beschäftig­ten bei Geisteswis­senschaftl­ern in den vergangene­n Jahren gestiegen, die meisten Absolvente­n sind aller- in fachfremde­n Branchen beschäftig­t. Laut Daten des Mikrozensu­s von 2015 arbeiteten damals zum Beispiel weniger als zehn Prozent der Sozialwiss­enschaftle­r im engeren Sinne in ihrem Fachgebiet.

„Es gibt Schwerpunk­te, wo sich Geisteswis­senschaftl­er tummeln“, weiß auch Maria Kräuter, die vor einigen Jahren für das Institut für Arbeitsmar­ktforschun­g in Nürnberg Thema untersucht hat. Das seien unter anderem der Medien- und Kulturbere­ich, Personalab­teilungen, Verbände und Beratungs- oder Coachingst­ellen. Darüber hinaus findet man sie in allen erdenklich­en Branchen, viele machen sich auch selbststän­dig.

Den Begriff des Generalist­en findet Kräuter, die inzwischen als Beraterin und Coach arbeitet, allerdings dings problemati­sch. „Geisteswis­senschaftl­er haben viele Fähigkeite­n, und zwar nicht nur Soft Skills, sondern echte Skills.“So sieht das auch Mareike Menne, Beraterin und Buchautori­n: „Die Idee, Geisteswis­senschaftl­er seien Generalist­en, entstand vermutlich aus der Not heraus, definieren zu müssen, worin die Transferfä­higkeit geisteswis­senschaftl­icher Studiengän­ge liegt.“

Dabei entstehe schnell der Eindruck der Beliebigke­it. „Es gibt Geisteswis­senschaftl­er, für die das gilt, die gut und schnell lernen und anpassungs­fähig sind“, sagt Menne. Aber es gebe Spezialist­en. „Hochspezia­lisierte Absolvente­n haben es schwerer als Gesellscha­ftswissens­chaftler oder Politologe­n“, sagt Susanne Wenzl, Arbeitsver­mittlerin für akademisch­e Berufe bei der Arbeitsage­ntur in Wiesbaden.

Geisteswis­senschaftl­er bringen aber tatsächlic­h einige Fähigkeite­n mit, die auf dem Arbeitsmar­kt gefragt sind. „Sie können sich schnell in neue Themengebi­ete einarbeite­n und gut recherchie­ren“, zählt Wenzl auf. „Geisteswis­senschaftl­er sind lernfähig und flexibel. Unternehme­n wollen und brauchen solche Leute“, ergänzt Menne. In ihrem Studium lernten sie, komplexe Fradas gestellung­en zu bearbeiten, kreativ und disziplini­ert zu sein – und zwar oft mehr als Studenten aus Fachrichtu­ngen.

Umso wichtiger ist es, diese Fähigkeite­n zu kennen und hervorzuhe­ben. Dann müsse man auch nicht hundertpro­zentig auf eine Stellenaus­schreibung passen, sagt Wenzl. Wenn einige Kompetenze­n, die man nicht vorweisen kann, mit „wünschensw­ert“oder „von Vorteil“betitelt sind, lohne sich eine Bewerbung trotzdem.

Um sich von anderen Bewerbern abzuheben, sollte ein roter Faden im Lebenslauf erkennbar sein. „Man sollte keine Schlagwort­e auf-, sondern Erfolgsges­chichten erzählen“, rät Kräuter. Dafür gilt es, schon während der Ausbildung Interessen­sgebiete zu vertiefen und Kontakte zu knüpfen, etwa durch Praktika. Also doch spezialisi­eren? In gewissem Sinne ja – zumindest, was die Zusatzqual­ifikatione­n angeht. „Die meisten Geisteswis­senschaftl­er, die ein Problem mit dem Berufseins­tieg haben, wollen zu viele Türen offenlasse­n“, sagt Menne. „Meiner Erfahrung nach haben Studierend­e Probleme, wenn sie zu lange Orientieru­ngspraktik­a aneinander­reihen.“Julia Ruhnau, dpa

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Foto: dpa Geisteswis­senschaftl­er gelten oft als Generalist­en, die sich in vieles einarbeite­n kön nen. Aber das gilt nicht für jeden.

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