Gefühlte Ware Eva Illouz
Authentizität im Kapitalismus
Es ist eines der Modewörter dieses Jahrzehnts: Authentizität. Alles hat nämlich vermeintlich, je unwirklicher und unübersichtlicher die Welt zu sein und werden scheint, authentisch, echt, möglichst unverfälscht zu sein. Das fängt schon bei der (natürlich industriell gefertigten) Tütensuppe an und hört beim (natürlich ordentlich gepimpten) Profilbild auf DatingPlattformen wie Tinder nicht auf, und insofern könnte es also so etwas wie das Buch der Stunde sein: „Wa(h)re Gefühle. Authentizität im Konsumkapitalismus“, herausgegeben von einer der Modesoziologinnen dieses Jahrzehnts, Eva Illouz.
Dem einen oder anderen NichtAbonnenten soziologischer Fachmagazine mag die Wissenschaftlerin noch in Erinnerung sein wegen ihres Buchs über die Liebe oder den eingängigen und seinerzeit auf breites Echo stoßenden Thesen zu „Fifty Shades of Grey“, jener weichgezeichneten Romantik-SM-Schmonzette, deren dritter Teil unlängst in den Kinos lief. Und folgerichtig eröffnet Illouz das Buch auch mit einem entsprechenden Setting beziehungsweise der Kurzanalyse zweier Kolumnen im britischen Independent, in denen es – einmal aus weiblicher, einmal aus männlicher Sicht – um die jeweiligen Vorbereitungen auf ein Rendezvous, Date geht. Und, kaum überraschende Erkenntnis: Die Frau investiert deutlich mehr an Zeit (etwa für Körperpflege) und auch Geld (z.B. für Dessous) als der Mann, und da ist es aber auch schon gefallen, das verräterische Wort, um das es eigentlich geht, der Vorgang, der aus Gefühlen Waren macht und umgekehrt: investiert.
Das Modell, das Illouz daraus destilliert, lässt sich ungefähr so zusammenfassen: In Zeiten des (Spät-)Kapitalismus appelliert die Konsumgüterindustrie beziehungsweise die Werbung nicht nur an Gefühle, nein, sie verkauft sie auch, z.B. in Form eines iPhones, Parfums, was auch immer, mit denen man sich dann als besonders cool oder sexy empfindet. Und diese Cool- und Sexyness wird denn auch auf dem darob ebenfalls längst zum Markt gewordenen Feld zwischenmenschlicher Beziehungen eingesetzt, wenn man also so will: das eigene Empfinden, Gefühl, selbst so etwas wie Identität zum vorgeformten Teil einer Verwertungskette.
Auch die Zeitungstexte, auf die sie sich bezieht, sind ja selbst ein Konsumangebot, das beim Leser wiederum Gefühle wachrufen soll, wie Illouz feststellt und darin ein weiteres Indiz für die Totalität des Systems sieht. Ebenso könnte man nun aber natürlich auch bei einer Supermarktmarmelade festhalten, dass diese zum Verkauf bestimmt ist (ohne dass damit freilich irgendetwas über die Verfasstheit von Muttis Pflaumenmus ausgesagt wäre), woran sich bereits ein Grundproblem der Analyse zeigt: In der radikalen Zeichnung dieses totalen Systems, das – wie die Einzelstudien im Buch zeigen – von der Kultur- bis hin zur Therapeutischen Industrie keinen Lebensbereich mehr auslässt, lässt sich zwangsläufig auch keine Unterscheidung mehr treffen „zwischen authentischer und nichtauthentischer Erfahrung“, soll heißen: selbst der kritische Theoretiker entkommt dem nicht und kann nicht mehr beurteilen, welche Emotionen „echt“sind und welche nicht. Bei Authentizität handele es sich vielmehr um eine „der wirkmächtigsten Inszenierungen des Selbst“, wie es wenig später heißt – doch die nicht unbedeutende Frage müsste nun eigentlich lauten, ob das denn jemals anders war (man denke zum Beispiel nur an die Romantik). Man könnte also sagen, dass Illouz, die sich in der Tradition der Frankfurter Schule sieht, hier ihrem eigenen normativen Weltbild aufsitzt. Und immerhin das ist doch mal ganz schön authentisch.