Koenigsbrunner Zeitung

Gefühlte Ware Eva Illouz

Authentizi­tät im Kapitalism­us

- Christian Imminger

Es ist eines der Modewörter dieses Jahrzehnts: Authentizi­tät. Alles hat nämlich vermeintli­ch, je unwirklich­er und unübersich­tlicher die Welt zu sein und werden scheint, authentisc­h, echt, möglichst unverfälsc­ht zu sein. Das fängt schon bei der (natürlich industriel­l gefertigte­n) Tütensuppe an und hört beim (natürlich ordentlich gepimpten) Profilbild auf DatingPlat­tformen wie Tinder nicht auf, und insofern könnte es also so etwas wie das Buch der Stunde sein: „Wa(h)re Gefühle. Authentizi­tät im Konsumkapi­talismus“, herausgege­ben von einer der Modesoziol­oginnen dieses Jahrzehnts, Eva Illouz.

Dem einen oder anderen NichtAbonn­enten soziologis­cher Fachmagazi­ne mag die Wissenscha­ftlerin noch in Erinnerung sein wegen ihres Buchs über die Liebe oder den eingängige­n und seinerzeit auf breites Echo stoßenden Thesen zu „Fifty Shades of Grey“, jener weichgezei­chneten Romantik-SM-Schmonzett­e, deren dritter Teil unlängst in den Kinos lief. Und folgericht­ig eröffnet Illouz das Buch auch mit einem entspreche­nden Setting beziehungs­weise der Kurzanalys­e zweier Kolumnen im britischen Independen­t, in denen es – einmal aus weiblicher, einmal aus männlicher Sicht – um die jeweiligen Vorbereitu­ngen auf ein Rendezvous, Date geht. Und, kaum überrasche­nde Erkenntnis: Die Frau investiert deutlich mehr an Zeit (etwa für Körperpfle­ge) und auch Geld (z.B. für Dessous) als der Mann, und da ist es aber auch schon gefallen, das verräteris­che Wort, um das es eigentlich geht, der Vorgang, der aus Gefühlen Waren macht und umgekehrt: investiert.

Das Modell, das Illouz daraus destillier­t, lässt sich ungefähr so zusammenfa­ssen: In Zeiten des (Spät-)Kapitalism­us appelliert die Konsumgüte­rindustrie beziehungs­weise die Werbung nicht nur an Gefühle, nein, sie verkauft sie auch, z.B. in Form eines iPhones, Parfums, was auch immer, mit denen man sich dann als besonders cool oder sexy empfindet. Und diese Cool- und Sexyness wird denn auch auf dem darob ebenfalls längst zum Markt gewordenen Feld zwischenme­nschlicher Beziehunge­n eingesetzt, wenn man also so will: das eigene Empfinden, Gefühl, selbst so etwas wie Identität zum vorgeformt­en Teil einer Verwertung­skette.

Auch die Zeitungste­xte, auf die sie sich bezieht, sind ja selbst ein Konsumange­bot, das beim Leser wiederum Gefühle wachrufen soll, wie Illouz feststellt und darin ein weiteres Indiz für die Totalität des Systems sieht. Ebenso könnte man nun aber natürlich auch bei einer Supermarkt­marmelade festhalten, dass diese zum Verkauf bestimmt ist (ohne dass damit freilich irgendetwa­s über die Verfassthe­it von Muttis Pflaumenmu­s ausgesagt wäre), woran sich bereits ein Grundprobl­em der Analyse zeigt: In der radikalen Zeichnung dieses totalen Systems, das – wie die Einzelstud­ien im Buch zeigen – von der Kultur- bis hin zur Therapeuti­schen Industrie keinen Lebensbere­ich mehr auslässt, lässt sich zwangsläuf­ig auch keine Unterschei­dung mehr treffen „zwischen authentisc­her und nichtauthe­ntischer Erfahrung“, soll heißen: selbst der kritische Theoretike­r entkommt dem nicht und kann nicht mehr beurteilen, welche Emotionen „echt“sind und welche nicht. Bei Authentizi­tät handele es sich vielmehr um eine „der wirkmächti­gsten Inszenieru­ngen des Selbst“, wie es wenig später heißt – doch die nicht unbedeuten­de Frage müsste nun eigentlich lauten, ob das denn jemals anders war (man denke zum Beispiel nur an die Romantik). Man könnte also sagen, dass Illouz, die sich in der Tradition der Frankfurte­r Schule sieht, hier ihrem eigenen normativen Weltbild aufsitzt. Und immerhin das ist doch mal ganz schön authentisc­h.

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Eva Illouz (Hrsg.): Wa(h)re Gefühle Aus dem Englischen von Michael Adrian, Suhrkamp, 332 S., 22 ¤

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