Koenigsbrunner Zeitung

„Gegen das schwarz rot grüne Einerlei“

FDP-Chef Christian Lindner über die Neuaufstel­lung der GroKo, die Unterschie­de zu Jamaika und die künftige Rolle der Liberalen im Bundestag. Und dann ist da aber noch die Frage nach seinem alten Porsche

- Interview: Martin Ferber

Herr Lindner, am Mittwoch steht die Wahl der Bundeskanz­lerin an, danach wird das neue Kabinett vereidigt. Trifft Sie der Vorwurf, maßgeblich dafür verantwort­lich zu sein, dass es zu einer Neuauflage der Großen Koalition kommt? Christian Lindner:

Deutschlan­d muss sich erneuern. Das heißt: Den Menschen mehr Freiräume geben, Bildung und digitale Infrastruk­tur auf die Höhe der Zeit bringen, finanziell­e Entlastung und Ordnung bei der Einwanderu­ng schaffen. Teil eines solchen Erneuerung­sprojekts würde die FDP jederzeit sein. Nach der Bundestags­wahl gab es nur die Optionen Große Koalition oder Jamaika. Die Jamaika-Gespräche sind dann daran gescheiter­t, dass man die FDP zum Steigbügel­halter einer eigentlich schwarz-grünen Koalition machen wollte. Sie hätte keine Erneuerung gebracht. Dafür konnten wir nicht zur Verfügung stehen.

Aber wäre Jamaika vielleicht nicht doch das spannender­e, modernere, innovative­re Projekt geworden als die Fortsetzun­g der Großen Koalition? Lindner:

Ich kenne keinen Punkt, wo das Jamaika-Papier, das wir schlucken sollten, spannender, moderner, innovative­r gewesen wäre als das, was Union und SPD jetzt ausgehande­lt haben.

„Opposition ist Mist“, hat der frühere SPD-Chef Franz Münteferin­g einmal gesagt. Hat sich die FDP freiwillig für den „Mist“entschiede­n? Lindner:

Die FDP regiert in drei Bundesländ­ern. Wir sind jederzeit bereit zu regieren, wenn es eine faire Zusammenar­beit gibt, in der wir unsere Positionen einbringen können. Was wir nicht machen, ist die Ehe von Vater Staat und Mutter Erde zu unterstütz­en, was bei Schwarz-Grün der Fall gewesen wäre. CDU und CSU meinten, nur die Grünen einkaufen zu müssen – dafür haben sie erst den Grünen so gut wie alle ihre Inhalte geopfert, später dann der SPD. Zu ähnlichen Opfergänge­n sind wir nicht bereit.

Das heißt aber, dass Sie jetzt vier Jahre lang ohnmächtig die Politik anderer kommentier­en müssen, statt sie selber aktiv gestalten zu können. Lindner:

Aus dieser Frage spricht ein tiefes Misstrauen unserem parlamenta­rischen System gegenüber. Opposition ist notwendig. Wenn der Wähler glaubt, es komme immer die Methode Merkel heraus, egal ob er CDU, SPD oder Grüne wählt, dann ist es unsere staatspoli­tische Pflicht, dafür zu sorgen, dass es im Bundestag eine Alternativ­e der demokratis­chen Mitte zum schwarz-rot-grünen Einerlei gibt.

Der neuen Regierung gehören zahlreiche neue Gesichter an. Ist das ein Zeichen des Aufbruchs und Neuanfangs? Lindner:

Die Gesichter sind nicht entscheide­nd, sondern das, was im Koalitions­vertrag steht. Dieser folgt genauso der Methode Merkel wie der vorige Koalitions­vertrag und wie es bei Jamaika der Fall gewesen wäre: Es gibt keine klare Richtungse­ntscheidun­g. Mit dem reichlich vorhandene­n Geld in der Staatskass­e werden politische Widersprüc­he überdeckt. Was heute verteilt wird, ist morgen aber noch nicht erwirtscha­ftet. Es wird nicht die Zukunft gestaltet, sondern der Status quo verwaltet.

Welche Personalie hat Sie am meisten überrascht – und wem trauen Sie am meisten zu? Lindner:

Überrascht hat mich die Entscheidu­ng für die nicht der Regierung angehörend­e neue Generalsek­retärin der CDU. Das ist eine spannende Personalie, die einen Blick nach vorne in die personelle Neuaufstel­lung der CDU in der Ära nach Merkel freigibt. Offen ist aber, was das inhaltlich für die CDU bedeutet. Einerseits steht Annegret Kramp-Karrenbaue­r für eine dezidiert sozialdemo­kratisiert­e Wirtschaft­spolitik, das freut uns nicht, anderersei­ts ist sie eine Vertreteri­n konservati­ver Gesellscha­ftsvorstel­lungen, das löst bei uns ebenfalls keine Begeisteru­ngsstürme aus. Somit lässt das offen, wohin sich die CDU bewegt.

Übernimmt sich der Nicht-Jurist Horst Seehofer mit seinem Super-Ministeriu­m für Inneres, Bauen und Heimat? Lindner:

Nein, als erfahrener Politiker mit langjährig­er Regierungs­erfahrung kann er ein solch großes Haus sicher führen. Bedauerlic­h ist nur, dass er seinen politische­n Einfluss dafür verwendet hat, ein Heimatmini­sterium zu bilden. In Frankreich wurde ein Digitalisi­erungsmini­sterium gegründet. Das bräuchten wir auch. Heimat schaffen sich die Menschen selber, wenn die Rahmenbedi­ngungen stimmen. Ein modernes Einwanderu­ngsrecht, Glasfaser auf dem Land und die Sicherung der landärztli­chen Versorgung – das wäre schon ausreichen­d gewesen. Einen neuen Titel für ein neues Ministeriu­m brauchen wir dafür nicht.

Digitalisi­erung soll eine große Rolle spielen, erstmals gibt es eine Staatsmini­sterin für Digitalisi­erung im Kanzleramt. Ist das nur Fassade oder was kann Dorothee Bär ohne Apparat und ohne Geld bewegen? Lindner:

Sie sagen es: Ohne Mittel und ohne fachliche Unterstütz­ung durch ein Team kann man da sehr wenig bewirken, außer InternetMe­ssen eröffnen und Interviews geben. Die Koalition verspricht den flächendec­kenden Ausbau des Internets bis 2025 - ist das nicht ein Armutszeug­nis? Linder:

So ist es. Das muss viel schneller gehen, wie wir auch viel schneller die Schulen und Behörden digitalisi­eren müssen.

Sie sind ein bekennende­r PorscheFah­rer. Ist das in Zeiten, in denen über Fahrverbot­e diskutiert wird, überhaupt noch opportun? Lindner:

Mein Auto ist Ausdruck meiner Leidenscha­ft. Die 500 Kilometer im Jahr, die ich mit meinem 36 Jahre alten Porsche am Sonntag auf dem Land fahre, sind keine große Belastung für das Weltklima und die Luft. Ich bin gegen jede Form der Einschränk­ung individuel­ler Mobilität. Die freie Fahrt für freie Bürger ist nicht aus der Zeit gefallen. Fahrverbot­e müssen in jedem Fall vermieden werden durch intelligen­te Lösungen.

Ist Deutschlan­d dabei, in der Debatte um Fahrverbot­e ein Standbein seiner Wirtschaft­sstärke, die Autoindust­rie, selber abzuschlag­en? Lindner:

Niemand auf der Welt versteht die derzeitige Debatte. Wir müssen offenbleib­en für einen Mix aus Verbrennun­gsmotoren, Elektromob­ilität und Wasserstof­f sowie Kombinatio­nen der unterschie­dlichen Antriebe. Wenn wir unsere Stärken in der Automobili­ndustrie selber zerstören, gehen Arbeitsplä­tze verloren, aber fürs Weltklima haben wir nichts wirklich erreicht.

Droht mit einem Außenminis­ter Maas und einem Finanzmini­ster Scholz von der SPD ein Abrücken vom Stabilität­skurs in Europa? Lindner:

Das hat nichts mit Herrn Scholz und Herrn Maas zu tun, sondern mit Frau Merkel und der CDU. Für uns Liberale ist klar: Die finanzpoli­tische Eigenständ­igkeit der Mitgliedss­taaten der EU muss gewahrt bleiben. Es darf keinen Dispo-Kredit für Italien bei den Rettungssc­hirmen geben, wenn keine Krise vorliegt. Erst recht wollen wir keine Vergemeins­chaftung der Risiken der Banken, weil dann deutsche Sparkassen­und Volksbank-Kunden für die Kreditausf­älle maroder Privatbank­en woanders zahlen. Frau Merkel war schon bei den Jamaika-Verhandlun­gen dazu bereit. Das war einer der wesentlich­en Gründe, warum wir die Verhandlun­gen beendet haben. Das setzt sich jetzt bei der GroKo fort. Bayern übernimmt ja auch nicht die Schulden von Nordrhein-Westfalen. ● Christian Lindner,

39, ist seit

2013 Vorsitzend­er der FDP, seit der Wahl im Herbst 2017 auch Frak tionschef der Liberalen im Bun destag. Er kommt aus NRW.

 ?? Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa ?? „Es gibt keine klare Richtungse­ntscheidun­g“: FDP Chef Christian Lindner kritisiert die „Methode Merkel“, die sich im Koalitions vertrag widerspieg­ele.
Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa „Es gibt keine klare Richtungse­ntscheidun­g“: FDP Chef Christian Lindner kritisiert die „Methode Merkel“, die sich im Koalitions vertrag widerspieg­ele.

Newspapers in German

Newspapers from Germany