Koenigsbrunner Zeitung

Die Vergangenh­eit lässt Österreich nicht los

80 Jahre nach dem Anschluss ans Deutsche Reich flammen die Debatten über Nazis wieder auf

- VON MARIELE SCHULZE BERNDT

Wien

Österreich gedenkt mit gemischten Gefühlen des „Anschlusse­s“an das Deutsche Reich vor genau 80 Jahren. Am 12. März 1938 marschiert­en deutsche Truppen ins Land, von der Bevölkerun­g begeistert begrüßt. Zwei Tage später jubelten 250 000 Menschen Adolf Hitler bei der „Befreiungs­feier“auf dem Wiener Heldenplat­z zu.

Österreich­s Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen mahnt, jene nicht zu vergessen, die sich gleichzeit­ig aus Angst zu Hause versteckte­n. Denn sofort nach dem „Anschluss“Österreich­s begannen Deportatio­nen sowie die Verfolgung der jüdischen Bevölkerun­g. Fast 100 000 bis dahin im Untergrund aktive, illegale österreich­ische NSDAP-Mitglieder hatten das von langer Hand vorbereite­t.

Als der Krieg endete, zählte die NSDAP 700000 Mitglieder in Österreich. Doch die USA, Großbritan­nien und die Sowjetunio­n erklärten Österreich trotzdem 1943 zum ersten Opfer Hitlers, das „von deutscher Herrschaft befreit werden soll“. Mit diesem „Persilsche­in“pflegten Politik und Gesellscha­ft jahrzehnte­lang den Opfermytho­s.

„Die Nazizeit hängt uns immer noch nach, wie man an irgendwelc­hen Liederbüch­ern sieht“, sagt Erhard Busek, der frühere ÖVP-Vizekanzle­r mit Blick auf die jüngsten Entdeckung­en antisemiti­scher Texte in Burschensc­haften. Der Historiker Oliver Rathkolb analysiert, dass der Wunsch der Bevölkerun­g nach starken, autoritäre­n Politikern wieder steigt. Rathkolb fordert eine umfassende Aufklärung der braunen Vergangenh­eit der FPÖ.

Die FPÖ, die heute zusammen mit der ÖVP regiert, wurde nach dem Krieg von ehemaligen Nazis für ehemalige Nazis gegründet. Zunächst wurde sie deshalb ausgegrenz­t, in den 70er Jahren stieg sie als populistis­che Opposition­spartei auf. Eine interne Historiker­kommission soll den bis in die Gegenwart reichenden Antisemiti­smus aufarbeite­n. „Ob sie erfolgreic­h sein wird, hängt nicht zuletzt davon ab, wie gründlich und objektiv sie arbeitet und ob die Burschensc­haften ihre Archive öffnen“, sagte ExBundespr­äsident Heinz Fischer, der das Gedenkjahr vorbereite­t hat.

Die FPÖ-Regierungs­mitglieder versuchen hingegen pausenlos, die eigene Basis durch populistis­che Aktionen ruhig zu halten. Der bisherige Höhepunkt scheint eine Razzia im Bundesamt für Verfassung­sschutz und Terrorismu­s zu sein, bei der möglicherw­eise rechtsstaa­tliche Regeln gebrochen worden sind. Die Staatsanwa­ltschaft, assistiert von einer Polizeiein­heit für Straßenkri­minalität, konfiszier­te dabei auf Anweisung des FPÖ-geführten Innenminis­teriums u.a. Dateien mit Informatio­nen über Rechtsextr­eme und Burschensc­haften. Beobachter halten das für rechtlich unzulässig und vermuten, dass die FPÖ erfahren wolle, was gegen sie vorliegt. Das ÖVP-geführte Justizmini­sterium überprüft den Vorgang. Dies überschatt­et die heute beginnende­n Gedenkfeie­rn.

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Foto: Votava, dpa 250 000 Menschen jubelten Adolf Hitler im März 1938 auf dem Wiener Heldenplat­z nach dem Einmarsch der Deutschen zu.

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