Koenigsbrunner Zeitung

Aus dem Qualm schält sich die Utopie heraus

Am Theater Augsburg geht es um 1968, um Theorie und Revolte – und um unsere Zukunft

- VON RICHARD MAYR

Augsburg

Zur Aufführung kommt eine Collage, eine Aneinander­reihung von Zitaten, gespeist aus dem heiligen Theorie-Ernst von 1968. Der Kapitalism­us muss weg, endgültig, das System ist marode, der Mensch ein Spielball der Unternehme­n, gefangen zwischen Pfanni und BMW. Gespeist auch von der Musik, die alles auf den unerfüllte­n Lustpunkt bringt: „I can’t get no satisfacti­on“. Dieser Text, den Peer Ripberger geschriebe­n und im Theater Augsburg inszeniert hat, dreht sich im Kreis. Immer wieder üben die fünf Darsteller in den schwarzen Existenzia­listen-Outfits sich darin, ihre vorläufige­n Punkte für eine Kulturrevo­lution möglichst schmissig im Chor vorzutrage­n. Erstens, wir leben in einer vorrevolut­ionären Phase, zehntens: Alle Macht der Fantasie. War es gut so, kam die Botschaft an?

Der Vortrag greift das Publikum in der ausverkauf­ten Brechtbühn­e vor allem physisch an. In einem fort wird geraucht, manchmal auch gekifft. Die Theoriegeb­äude werden in dichtestem Qualm errichtet. Wenn das heißen soll, dass im Gesagten viel heiße Luft mitschwing­t, wäre das ein ziemlich guter Kniff. Das wird aber nicht klar.

Ripberger hält sich in seinem Theaterabe­nd „1968: Geschichte kann man schon machen, aber so wie jetzt, ist’s halt scheiße“an den Ton der Zeit. Theorien stehen neben der Entrüstung, was mit dem Müll geschehen soll. Die freie Liebe trifft auf Augsburg: die Ilse mit der großen Oberweite – zum Verlieben. Gesprochen wird im Stakkato, mal allein, mal im Chor, es gibt keine Personen, keine Figuren, nur den Text. Teilweise sind die Themen erschrecke­nd aktuell, wenn die Frauen einen Exkurs über die Bedeutung der Emanzipati­on der Frau für die Gesellscha­ft halten. Aber vorrevolut­ionäre Zeit? Die Revolution gab es 20 Jahre später in der DDR – friedlich und ohne theoretisc­hen Überbau.

Stark wird der Abend, wenn die Schauspiel­er in der Pause weiterspie­len, sie das Publikum auf die Straße holen, dort mit dem Megafon im Stil von Martin Luther Kings „Ich habe einen Traum“Reden halten. Sehen, mitmachen und darüber sprechen gehen in der Pause nahtlos ineinander über.

Danach sitzen alle wieder im Saal, jetzt im Jahr 50 nach der Revolution irgendwann in der Zukunft, wenn Mensch und Maschine eins geworden sind. In einem BühnenDsch­ungel (von Raissa Kankelfitz) lustwandel­n die Darsteller in weißen Kostümen. Statt Zigaretten­qualm duftet es tropisch fein. Ein Abend tatsächlic­h für die Nase.

Allerdings hinterläss­t das Science-Fiction-Arkadien Fragezeich­en. Gaia, das Kontrollge­hirn, erzählt den Heutigen, wie das Paradies entstanden ist. Nur, wie spricht sie aus der Zukunft? Ihre Ausführung­en klingen wissenscha­ftlich, erzeugen aber viel zu oft keine Bilder. Der Cyborg ist Realität geworden. Mensch und Maschine sind eins. Die Geschlecht­ergrenzen sind aufgehoben, die Arbeit auf ein Minimum reduziert. Auf der Bühne arbeitet eine Darsteller­in an den Pflanzen, während die anderen vier sich aneinander amüsieren. Aus Flirten wird Streicheln, aus Streicheln eine heftige Männer-Knutschsze­ne. Es gibt kein Privat und Öffentlich mehr, aber wer zuletzt in die Badewanne kommt, liegt oben im Trockenen. Im zweiten Teil plätschert der Text am Publikum vorbei, der starke Eindruck des Mensch-MaschinenD­schungelre­ichs verpufft, wenn es am Ende nur um Sex in einer Badewanne geht. Viel Applaus, einzelne Buhrufe und ein paar Zuschauer, die aus diesem Paradies geflohen sind.

O

Weitere Termine

am 15., 23. März, am 6., 13., 14., 28. April sowie am 6. und 27. Mai

 ?? Foto: Jan Pieter Fuhr ?? Im Paradies: vorne der Darsteller Roman Pertl, dahinter Marlene Hoffmann, hinten Sebastian Baumgart, Katharina Rehn und Patrick Rupar.
Foto: Jan Pieter Fuhr Im Paradies: vorne der Darsteller Roman Pertl, dahinter Marlene Hoffmann, hinten Sebastian Baumgart, Katharina Rehn und Patrick Rupar.

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