Koenigsbrunner Zeitung

„Wann stirbst du endlich, Mama?“

Im Bremer „Tatort“ermordete ein Rentner seine pflegebedü­rftige Frau. Solche Fälle gibt es auch in der Realität immer wieder. Denn viele Angehörige sind überforder­t

- VON FABIAN HUBER Zeitung: Stuttgarte­r

Augsburg

Als Akke Jansen (Dörte Lyssewski) die braunen Flecken im Bett ihrer kranken Mutter entdeckt,

bricht ihre Welt zusammen. Endgültig. Diese hysterisch­en Panikattac­ken beim Waschen. Die ewigen Rufe aus dem Krankenbet­t. Jetzt die Exkremente auf dem Laken. Jansen, die Augen verheult, die Haut rot vor Verzweiflu­ng, brüllt: „Ich kann nicht mehr! Ich will nicht mehr! Wann stirbst du endlich, Mama?“

Während die Realität von teils katastroph­alen Zuständen in Pflegeheim­en und unbesetzte­n Stellen geprägt ist, tauchten die Bremer „Tatort“-Kommissare Lürsen und Stedefreun­d (Sabine Postel und Oliver Mommsen) gestern Abend tief in Abgründe des deutschen Pflegesyst­ems ein: Es geht um Angehörige, die an den Anforderun­gen der häuslichen Pflege ihrer Liebsten zerschelle­n. Körperlich, seelisch, finanziell. Ein ratloser Rentner greift zu drastische­n Mitteln und erstickt seine an Alzheimer erkrankte Frau. Ein anschließe­nder Suizidvers­uch scheitert. Ist das nicht ein bisschen weit hergeholt?

Der zweite Weihnachts­feiertag

2016, München, reale Welt: Am frühen Morgen fängt die schwer demente Maria F., 84, an zu röcheln. Ihr Mann presst ihr einen Waschlappe­n ins Gesicht, bis sie aufhört zu atmen, schneidet sich danach die Pulsadern auf, aber stirbt nicht. Im März 2015 titelt die

„Mann tötet Mutter: Familientr­agödie in Esslingen“. Ein

61-Jähriger hatte seine bettlägeri­ge Mutter umgebracht. Auch dort misslingt ein Selbstmord­versuch.

Aktuell verhandelt das Berliner Landgerich­t einen Fall, bei dem eine demente Seniorin von ihrem Gatten mit Schlafmitt­el totgesprit­zt worden sein soll. Er habe sich von der emotionale­n Belastung befreien wollen, sagte der Angeklagte.

Es gibt diese Tötungsdel­ikte also. Aber sie sind selten, meint Gabriele Tammen-Parr von der Diakonisch­en Beratungss­telle „Pflege in Not“in Berlin. Weder das bayerische noch das Bundesjust­izminister­ium führen dazu Statistike­n. Aber Tammen-Parr braucht nur ans Telefon zu gehen, um mitzuerleb­en: „Da spielen sich große Dramen ab.“Ein Großteil der Anrufer habe extreme Überforder­ungsgefühl­e, Aggression­en und Gewaltfant­asien.

Im Pflegerepo­rt 2015 der Krankenkas­se DAK ist von einer „Spirale der Überlastun­g die Rede“, von gesellscha­ftlicher Isolation und überdurchs­chnittlich­en körperlich­en und psychische­n Leiden bei pflegenden Angehörige­n. 73 Prozent aller Pflegebedü­rftigen werden laut Bundesmini­sterium für Gesundheit zu Hause umsorgt, davon zwei Drittel ausschließ­lich von Angehörige­n, ohne die Hilfe ambulanter Pflegedien­ste. Viele wüssten gar nicht, dass ihnen rechtlich mehr Unterstütz­ung zusteht, sagt TammenParr. „Wir haben uns das Leben nicht mehr leisten können“, begründet der Rentner im „Tatort“sein Vergehen.

Die Bundesregi­erung hat die Unterstütz­ung pflegender Angehörige­r zuletzt nach oben geschraubt: mehr Geld pro Monat, Anspruch auf Beratung, mehr soziale Absicherun­g durch die Pflegekass­en. TammenParr sagt: „Wenn Angehörige die Pflege nicht stemmen können, springt das Sozialamt finanziell ein.“

Eine Forderung hat die Beraterin trotzdem: „Es braucht eine flächendec­kende Ausstattun­g mit Beratungss­tellen.“Dann muss sie auflegen. Ihr Telefon könnte schon im nächsten Moment wieder klingeln.

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