Wildtiere erobern die Stadt
Die Riedinger-Kleingärten und die Ufer des Senkelbachs locken Biber, Füchse und Wildschweine an. Einst vom Aussterben bedrohte Arten haben sich erholt. Was Förster und Polizei zur aktuellen Situation sagen
Es ist ja nicht so, dass die Besitzer der Riedinger-Kleingärten im Viertel Rechts der Wertach schlecht auf tierische Besucher zu sprechen wären. Die Lage der Parzellen zwischen Senkel- und Stadtbach scheint besonders attraktiv für Biber zu sein. Sie haben in den Uferbereichen deutliche Spuren hinterlassen. Ein besonders begabter Artgenosse etwa gestaltete mit seinen spitzen Zähnen einen Baumstamm zur Skulptur um.
Damit er seine künstlerische Ader nicht in den Gärten auslebt, sind manche Bäume mit Maschendraht umwickelt. „Apfelbäume mag der Biber besonders gern“, sagt Horst Pöllmann, der Ehrenvorsitzende der Anlage. Bei Schnittgut komme die ordnungsliebende Ader des Nagetiers hindurch. „Das entsorgt er.“
Bei einem anderen Tier, das kürzlich am Senkelbach zugange war, scheint der Ordnungssinn hingegen wenig ausgeprägt. Pöllmann und Marilis Kurz-Lunkenbein, die aus einer Jägerfamilie stammt, haben an einem Uferabschnitt eindeutige Wildschweinspuren identifiziert. Wohl auf der Suche nach Nahrung haben ein oder mehrere Säue den Boden mächtig umgegraben – mindestens zwei Besuche habe es gegeben, sagt Pöllmann. Gesehen habe er die Tiere nicht.
Die Kleingärtner wollen im Frühjahr den aufgewühlten Weg wieder herrichten, hoffen aber, dass Wildschweine in ihrem Umfeld eine Ausnahmeerscheinung bleiben. Das kann Jürgen Kircher, der Leiter der städtischen Forstverwaltung, nicht versprechen. Zwar habe es in den vergangenen Monaten keine Meldungen über Wildsäue im Stadtwald gegeben. Es sei jedoch absehbar, dass die Population auch im Freistaat zunimmt. „Sie steigt bayernweit durch das bessere Nahrungsangebot aufgrund des Klimawandels.“Hinzu komme, dass die Tiere sich eifrig vermehrten.
Der Förster kann nur mutmaßen, wie die Wildschweine an den Senkelbach gelangten – eventuell über den Lech. Gut möglich, dass die Tiere auch ein Bad im Bach genommen haben. „Sie sind hervorragende Schwimmer und sehr schlau.“Das heißt, die Jäger könnten hier sehr viel schwerer ihrer Aufgabe nach- als bei Rehen. Dabei dürfen die Wildschweine, ja „sollen“laut Kircher gejagt werden, um die Population einzudämmen. Denn insbesondere der Landwirtschaft machten die Umtriebe der Wildtiere zu schaffen. Die Furcht vor der Afrikanischen Schweinepest hat außerdem dazu geführt, dass Jagdbeschränkungen weitgehend aufgehoben wurden.
„Stehen bleiben, den Anblick genießen und sich zurückziehen“, so antwortete kürzlich ein Vertreter der Deutschen Wildtier Stiftung in einem Interview auf die Frage, was man tun solle, wenn einem ein Wildschwein begegnet.
Hätten die Riedinger-Gärtner bei einer möglichen Konfrontation um Schützenhilfe angefragt, so wären sie bei den kommunalen Förstern abgeblitzt. „Wir sind nur für den Stadtwald zuständig, im Stadtgebiet ist die Polizei zu rufen“, sagt Jürgen Kircher. Von Wildschwein-Alarmen in Augsburg ist Polizeisprecher Siegfried Hartmann in jüngster Zeit nichts bekannt. In Dillingen hingegen brachten Anfang Februar seine Kollegen ein Wildschwein zur Strecke, das sich in einem Kaufhaus verirrt hatte – eines von mehr als 600000 erlegten Tieren jährlich.
In Augsburg gab es zuletzt 2014 einen größeren Wildschweinalarm. Innerhalb von 14 Tagen hatten sich damals zwei Rotten im Stadtgebiet verlaufen. Bei dem zweiten Vorfall kam es am Bahnhaltepunkt Haunkommen stetter Straße und am Hochzoller Bahnhof zu brenzligen Situationen, bei denen zwei Menschen verletzt wurden.
Dass Wildtiere ausgerechnet in eine Großstadt vordringen, mag den Laien verwundern. Tatsache ist: Die Tiere leben in der Stadt relativ sicher, weil sie hier keine natürlichen Feinde haben und es Nahrung gibt – etwa im Müll.
Ein Beispiel dafür ist der Biber, der Anfang des 20. Jahrhunderts in Deutschland fast ausgestorben war und erst nach einem Ansiedelungsprogramm Mitte der 1960er Jahre allmählich auch an Lech und Wertach wieder Einzug hielt. Heute bevölkern nach Einschätzung des Biberbeauftragten rund 120 dieser Nagetiere, aufgeteilt auf 25 Reviere, das Stadtgebiet. Ihre Neigung, die Natur massiv umzugestalten, sorgt bisweilen für Verdruss.
Als Landschaftsarchitekten betätigen sich die kleinen Fledermäuse zwar nicht. Doch als sie sich im vergangenen Sommer in großer Zahl vor allem in Bürogebäuden verirrten, herrschte Alarm. Und die Fenster mussten nachts geschlossen bleiben.
Da können die Riedinger-Kleingärtner das Zusammenleben von Mensch und Wildtieren trotz Nageund Wühlspuren entspannter betrachten. Als Marilis Kurz-Lunkenbein eines Sommermorgens einen Fuchs in der Anlage sah, „habe ich mich einfach nur gefreut“.