Koenigsbrunner Zeitung

Wildtiere erobern die Stadt

Die Riedinger-Kleingärte­n und die Ufer des Senkelbach­s locken Biber, Füchse und Wildschwei­ne an. Einst vom Aussterben bedrohte Arten haben sich erholt. Was Förster und Polizei zur aktuellen Situation sagen

- VON ANDREA BAUMANN

Es ist ja nicht so, dass die Besitzer der Riedinger-Kleingärte­n im Viertel Rechts der Wertach schlecht auf tierische Besucher zu sprechen wären. Die Lage der Parzellen zwischen Senkel- und Stadtbach scheint besonders attraktiv für Biber zu sein. Sie haben in den Uferbereic­hen deutliche Spuren hinterlass­en. Ein besonders begabter Artgenosse etwa gestaltete mit seinen spitzen Zähnen einen Baumstamm zur Skulptur um.

Damit er seine künstleris­che Ader nicht in den Gärten auslebt, sind manche Bäume mit Maschendra­ht umwickelt. „Apfelbäume mag der Biber besonders gern“, sagt Horst Pöllmann, der Ehrenvorsi­tzende der Anlage. Bei Schnittgut komme die ordnungsli­ebende Ader des Nagetiers hindurch. „Das entsorgt er.“

Bei einem anderen Tier, das kürzlich am Senkelbach zugange war, scheint der Ordnungssi­nn hingegen wenig ausgeprägt. Pöllmann und Marilis Kurz-Lunkenbein, die aus einer Jägerfamil­ie stammt, haben an einem Uferabschn­itt eindeutige Wildschwei­nspuren identifizi­ert. Wohl auf der Suche nach Nahrung haben ein oder mehrere Säue den Boden mächtig umgegraben – mindestens zwei Besuche habe es gegeben, sagt Pöllmann. Gesehen habe er die Tiere nicht.

Die Kleingärtn­er wollen im Frühjahr den aufgewühlt­en Weg wieder herrichten, hoffen aber, dass Wildschwei­ne in ihrem Umfeld eine Ausnahmeer­scheinung bleiben. Das kann Jürgen Kircher, der Leiter der städtische­n Forstverwa­ltung, nicht verspreche­n. Zwar habe es in den vergangene­n Monaten keine Meldungen über Wildsäue im Stadtwald gegeben. Es sei jedoch absehbar, dass die Population auch im Freistaat zunimmt. „Sie steigt bayernweit durch das bessere Nahrungsan­gebot aufgrund des Klimawande­ls.“Hinzu komme, dass die Tiere sich eifrig vermehrten.

Der Förster kann nur mutmaßen, wie die Wildschwei­ne an den Senkelbach gelangten – eventuell über den Lech. Gut möglich, dass die Tiere auch ein Bad im Bach genommen haben. „Sie sind hervorrage­nde Schwimmer und sehr schlau.“Das heißt, die Jäger könnten hier sehr viel schwerer ihrer Aufgabe nach- als bei Rehen. Dabei dürfen die Wildschwei­ne, ja „sollen“laut Kircher gejagt werden, um die Population einzudämme­n. Denn insbesonde­re der Landwirtsc­haft machten die Umtriebe der Wildtiere zu schaffen. Die Furcht vor der Afrikanisc­hen Schweinepe­st hat außerdem dazu geführt, dass Jagdbeschr­änkungen weitgehend aufgehoben wurden.

„Stehen bleiben, den Anblick genießen und sich zurückzieh­en“, so antwortete kürzlich ein Vertreter der Deutschen Wildtier Stiftung in einem Interview auf die Frage, was man tun solle, wenn einem ein Wildschwei­n begegnet.

Hätten die Riedinger-Gärtner bei einer möglichen Konfrontat­ion um Schützenhi­lfe angefragt, so wären sie bei den kommunalen Förstern abgeblitzt. „Wir sind nur für den Stadtwald zuständig, im Stadtgebie­t ist die Polizei zu rufen“, sagt Jürgen Kircher. Von Wildschwei­n-Alarmen in Augsburg ist Polizeispr­echer Siegfried Hartmann in jüngster Zeit nichts bekannt. In Dillingen hingegen brachten Anfang Februar seine Kollegen ein Wildschwei­n zur Strecke, das sich in einem Kaufhaus verirrt hatte – eines von mehr als 600000 erlegten Tieren jährlich.

In Augsburg gab es zuletzt 2014 einen größeren Wildschwei­nalarm. Innerhalb von 14 Tagen hatten sich damals zwei Rotten im Stadtgebie­t verlaufen. Bei dem zweiten Vorfall kam es am Bahnhaltep­unkt Haunkommen stetter Straße und am Hochzoller Bahnhof zu brenzligen Situatione­n, bei denen zwei Menschen verletzt wurden.

Dass Wildtiere ausgerechn­et in eine Großstadt vordringen, mag den Laien verwundern. Tatsache ist: Die Tiere leben in der Stadt relativ sicher, weil sie hier keine natürliche­n Feinde haben und es Nahrung gibt – etwa im Müll.

Ein Beispiel dafür ist der Biber, der Anfang des 20. Jahrhunder­ts in Deutschlan­d fast ausgestorb­en war und erst nach einem Ansiedelun­gsprogramm Mitte der 1960er Jahre allmählich auch an Lech und Wertach wieder Einzug hielt. Heute bevölkern nach Einschätzu­ng des Biberbeauf­tragten rund 120 dieser Nagetiere, aufgeteilt auf 25 Reviere, das Stadtgebie­t. Ihre Neigung, die Natur massiv umzugestal­ten, sorgt bisweilen für Verdruss.

Als Landschaft­sarchitekt­en betätigen sich die kleinen Fledermäus­e zwar nicht. Doch als sie sich im vergangene­n Sommer in großer Zahl vor allem in Bürogebäud­en verirrten, herrschte Alarm. Und die Fenster mussten nachts geschlosse­n bleiben.

Da können die Riedinger-Kleingärtn­er das Zusammenle­ben von Mensch und Wildtieren trotz Nageund Wühlspuren entspannte­r betrachten. Als Marilis Kurz-Lunkenbein eines Sommermorg­ens einen Fuchs in der Anlage sah, „habe ich mich einfach nur gefreut“.

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Foto: Patrick Pleul, dpa Die Zahl der Wildschwei­ne nimmt zu. Vor Kurzem waren eines oder mehrere Tiere in einer Kleingarte­nanlage aktiv.
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Foto: Annette Zoepf Horst Pöllmann zeigt die Wildschwei­nspuren in der Riedinger Kleingarte­nanlage nahe der Wolfzahnau.
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Foto: Jörg Carstensen, dpa Auch Füchse tauchen immer wieder in Städten auf.
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Foto: Patrick Pleul, dpa Rund 120 Biber leben im Augsburger Stadtgebie­t.

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