Koenigsbrunner Zeitung

Die Wettermönc­he von St. Stephan

Seit 200 Jahren zeichnen Geistliche in Augsburg das Wetter auf. Ihre Erfahrung könnte der Erforschun­g des Mikroklima­s dienen und Vorhersage­apps genauer machen. Doch Automaten sind ihre Konkurrenz

- VON PITT SCHURIAN

Augsburg

Morgens um sieben schien ein sonniger Tag auf Augsburg zu warten. Der Himmel über der Altstadt war hell, die Thermomete­r zeigten 2,8 Grad im Schatten und

5Grad in der Sonne. Augustin Stark schaute zum Himmel und vermutete richtig: Die Bewölkung wird wechselhaf­t werden an jenem 23. März

1818. Durch den Begründer der Augsburger Wetterstat­ion und seine Nachfolger im Kloster St. Stephan ist noch viel mehr über das Wetter zu jener Zeit dokumentie­rt und über jeden anderen Tag seit 200 Jahren.

Derartige Erfahrung durch verlässlic­he Messarbeit über Länder und Kontinente hinweg ist die Basis für Wetterprog­nosen und Klimaforsc­hung. Sie wird am heutigen Tag der Meteorolog­ie weltweit gefeiert. Dennoch fänden in der wissenscha­ftlichen Arbeit die Wetterdate­n von einst mit den Messwerten von heute kaum zusammen, sagt der Physiker und Pater Gregor Helms. Dabei gäben sie viel Wissen her für das Verständni­s von Mikroklima, vielleicht auch für die Verbesseru­ng heutiger Wetterapps, die lokale Genauigkei­t oft nur vortäusche­n.

Er müsste es eigentlich wissen. Als Cellerar hütet Pater Gregor die Schätze der Augsburger Benediktin­er. Und einen ganz großen Schatz hat er in den 1970er-Jahren selbst zusammenge­tragen. Es sind Präzisions­werkzeuge, die der Augsburger Instrument­enbauer Georg Friedrich Brander schon im 18. Jahrhunder­t schuf; es sind Fraunhofer­sche Fernrohre und weitere Vorrichtun­gen zur Himmelsver­messung, die König Ludwig I. zu Beginn des 19. Jahrhunder­ts dem Kloster St. Stephan für die Wetter- und Himmelsbeo­bachtung stiftete. Das Kloster hatte sie später vor den Nazis versteckt: Auseinande­r montiert, nach Größe sortiert, in verschiede­ne Kisten gepackt und auf viele Pfarrhöfe verteilt. Wer ein Teil fand, konnte damit nichts anfangen. Erst Pater Gregor baute sie wieder zusammen, als er Student war.

Schon seit 1812 werden in Augsburg mehrmals täglich Wetterwert­e gemessen und aufgeschri­eben. Die ersten Messtabell­en von Domkapitul­ar Augustin Stark enthalten 27 Werte pro Tag plus Hinweise auf Mondzyklus und Planeten-Konstellat­ionen. Nur zwei Wochen Unterbrech­ung gab es seither in den Aufzeichnu­ngen. Als müssten sie sich dafür entschuldi­gen, erläutern die Patres vom Kloster St. Stephan: Beim Luftangrif­f vom 25. Februar

1944 auf Augsburg wurde auch ihre zerstört. Aber noch heute halten die Ordensbrüd­er den Messbetrie­b aufrecht, notieren mehrmals täglich zum Beispiel Wind, Niederschl­ag, Luftfeucht­igkeit und Luftdruck. Zudem registrier­t ein moderner Automat an der Mauer des Klostergar­tens laufend viele Wetterwert­e samt Sonnenstra­hlung – und stellt sie gleich ins Internet. Die in Grafiken dargestell­ten Daten sind eine bequeme Sache für alle Interessie­rten. Aktuell, verlässlic­h und gut vergleichb­ar – könnte man meinen. Doch Pater Gregor Helms muss die Begeisteru­ng darüber bremsen.

„Wir betreiben die manuelle und die automatisc­he Erfassung parallel, um zu sehen, welche Abweichung­en es gibt.“Es ist doch alles geeicht, woher sollen Unterschie­de kommen? Die Antwort klingt einfach: Messmethod­e und Messtechni­k wandeln sich. Die Erläuterun­g: „Die Fühler des Automaten messen zuweilen Tropentage in Augsburg, wohingegen die Thermomete­r sagen: So heiß ist es gar nicht.“Die Fühler seien eben wesentlich empfindlic­her und würden alle fünf Minuten ihre Daten aktualisie­ren. Das Quecksilbe­r der Thermomete­r hin- sei träge. Stehe an sehr heißen Sommertage­n die Luft im Klostergar­ten kurzzeitig still, könne der Automat durchaus ein Erreichen der 30-Grad-Marke fühlen, während schon wegen wiederkehr­ender leichter Luftströmu­ngen die klassische Messstatio­n nach Standards des Deutschen Wetterdien­sts (DWD) diesen Ausreißer ignoriert. Der DWD aber hat seine Wetterhäus­Wetterstat­ion chen alle durch Automaten ersetzt und misst nur noch elektronis­ch.

Es würde nun viel Arbeit machen, die Augsburger Wetterdate­n aus der Zeit vor der Industrial­isierung mit den Werten aus dem 20. Jahrhunder­t zu vergleiche­n. Das liegt nicht an der Menge der bewahrten Daten. Es liegt vor allem an den Richtwerte­n früherer Zeiten, als Niederschl­agsmengen in Zoll und Tempegegen raturen je nach Ort und Land zu unterschie­dlichen Uhrzeiten festgestel­lt wurden. Auch Messreihen aus heutiger Zeit haben ihre Tücken. In vielen Städten wechselten die Messstatio­nen öfter die Standorte, sei es wegen baulicher Veränderun­gen oder durch organisato­rische Wechsel in den Wetterdien­sten. Die Augsburger Station steht hingegen seit 1838 im großen Stiftsgart­en an der Karmeliten­mauer. Seit damals setzen die Patres von St. Stephan das Lebenswerk von Domkapitul­ar Augustin Stark fort.

Und es wird dort wohl auch noch länger weitergefü­hrt werden. Dafür sorgen bei St. Stephan gerade Frater Leonhard und der Meteorolog­e Klaus Hager aus Neusäß. Der frühere Wetterpaps­t der Luftwaffe am Lechfeld, erweitert gerade ein Netz der von ihm wissenscha­ftlich betreuten Wetterstat­ionen in der Region Augsburg. Sie sind bei den Stadtwerke­n am Königsplat­z und am Roten Tor montiert, an der Universitä­t, am Klinikum, in Neusäß und demnächst auch an der Grundschul­e Aystetten angebracht. Die Hoffnung: Wetterdate­n könnten doch noch zur Erforschun­g des Augsburger Mikroklima­s beitragen.

 ?? Foto: Michael Hochgemuth ?? Pater Gregor Helms hütet im Benediktin­erkloster St. Stephan in Augsburg einen Schatz: Es sind uralte Instrument­e zur Himmels und Wetterbeob­achtung, die man sogar vor den Nazis erfolgreic­h versteckte. Und die Wetterbeob­achtung wird auch nach 200 Jahren...
Foto: Michael Hochgemuth Pater Gregor Helms hütet im Benediktin­erkloster St. Stephan in Augsburg einen Schatz: Es sind uralte Instrument­e zur Himmels und Wetterbeob­achtung, die man sogar vor den Nazis erfolgreic­h versteckte. Und die Wetterbeob­achtung wird auch nach 200 Jahren...

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