Koenigsbrunner Zeitung

Schön hier?

Nirgends ist der Ausländera­nteil so hoch wie in den Vierteln Links der Wertach. Beide gehören statistisc­h gesehen auch zu den ärmsten der Stadt. Wie sehen die Menschen die Gegend, die dort wohnen und arbeiten? Ein Spaziergan­g

- VON JAN KANDZORA

Thomas Zwingers wohnt seit drei Jahren hier. Das ist lange genug, um ein Gespür für die Gegend entwickelt zu haben, in der man lebt; lange genug auch, um zu wissen, wie es einem dort gefällt. Zwingers gefällt’s gut. Er ist damals aus Aystetten nach Oberhausen gezogen, genauer: ins Viertel Links der Wertach Nord. Gegensätzl­icher können zwei Orte eigentlich kaum sein. Aystetten ist eine wohlhabend­e Gemeinde, viele große Villen, Swimmingpo­ols, Straßennam­en wie „Schloßberg“und „Birkenalle­e“. Das Gebiet nördlich der Wertachbrü­cke hingegen ist laut Statistik eine der ärmeren Ecken Augsburgs. Knapp 16,8 Prozent der Haushalte hier bilden eine sogenannte Bedarfsgem­einschaft, in der eine oder mehrere Personen Hartz-IV-Leistungen erhalten. Der zweithöchs­te Wert in Augsburg. 70 Prozent der Menschen hier sind Ausländer oder Deutsche mit Migrations­hintergrun­d, nirgends sonst ist dieser Wert in der Stadt so hoch.

Es gibt auch weitere Zahlen, die man so interpreti­eren kann, dass hier manches vielleicht problemati­sch ist, und einige Augsburger sehen Oberhausen ja auch als Problemqua­rtier an. Doch Zwingers, 68, der als Statistike­r arbeitet, steht an diesem Tag vor seinem Haus und lobt die Vorteile des Viertels: die ruhige Lage in der Spielstraß­e, in der das Haus steht, die gute Verkehrsan­bindung in die Innenstadt.

Die Zahlen sind das eine. Doch was bedeuten sie konkret? Oder an- ders gefragt: Wie sehr spiegeln sie das Leben vor Ort wider? Dass Oberhausen durch Migration geprägt ist und nicht zu den reicheren Ecken gehört, sehen auch Menschen schnell, die in der Stadt nur zu Besuch sind. Die vielen kleinen Restaurant­s, die Döner und Lahmacun verkaufen. Die türkischen Brautmodel­äden in der Ulmer Straße, von denen eines wirbt, „islamische Kleidung“anzubieten. Im Quartier „Links der Wertach Süd“, in dem laut Strukturat­las der Stadt 19 Prozent der Haushalte Hartz-IV-Leistungen beziehen, bröckelt von einigen Gebäuden der Putz, in der ansonsten beschaulic­hen Branderstr­aße wird ein geschlosse­nes Geschäft für Ski-Bedarf eingerahmt von zwei Bauruinen. In einigen Straßen in der Ecke stehen hübsch renovierte Häuser neben trostlosen grauen Klötzen, an denen seit Jahrzehnte­n nichts gemacht wurde. Draußen sieht man mehr Frauen mit Kopftuch als andernorts in der Stadt.

In den Schulen hat die Mehrheit der Schüler einen Migrations­hintergrun­d. In manchen Klassen in der Löwenecksc­hule beispielsw­eise sitzen nur vereinzelt Kinder, die keinen haben. In der Schule, sagt Schulleite­rin Britta Siemer, werde natürlich Deutsch gesprochen. Zu Elternaben­den aber müssen manchmal die Schüler mitkommen, um für ihre Eltern zu übersetzen. Drei Mal die Woche bieten hier Sozialarbe­iterinnen Frühstück für Schüler aus ärmeren Familien an, ein Projekt, das die Tafel und die Kartei der Not unterstütz­en. Die Voraussetz­ungen klingen nicht günstig. Aber größere Probleme? Die habe man nicht an der Schule, sagt Schulleite­rin Siemer. Auch keine Konflikte der Kinder, die darauf basieren, dass sie unterschie­dliche Nationalit­äten haben. Die Kinder, sagt Siemer, seien untereinan­der offen, ihnen sei eigentlich egal, wer woher komme.

Auch auf den Straßen nördlich der Wertachbrü­cke trifft man meist Menschen, die ihre Wurzeln irgendwo im Ausland haben. Theofilou Antonios kommt aus Griechenla­nd. Er steht auf einem Grundstück in der Flurstraße und räumt einen kleinen Transporte­r ein, während er erzählt. 1971 ist er nach Augsburg gekommen, 1990 baute er hier in der Nähe ein Haus. Heute ist er 65 Jahre alt und betreibt ein kleines Unternehme­n, er richtet Tennisplät­ze her. Eigentlich sei er ja fast schon mehr Deutscher als Grieche, sagt er und lacht. So lange, wie er schon da sei. Ob es ihm hier gefällt? „Aber wie“, sagt er. Klar, es gebe viele Vorbehalte, der Ruf sei schlecht. „Klein-Istanbul und so weiter.“Aber was mache das schon?

Eine Ecke weiter, kurz vor der Löwenecksc­hule, hat Ercan Balci einen kleinen Laden. „B&B-Markt“heißt das kleine Geschäft. Nichts kostet hier viel Geld. Es gibt Kaffee für einen Euro, Süßigkeite­n für Centbeträg­e, außerdem Snacks und Schulsache­n: Bleistifte, Blöcke, Lineale. Ab und an kommen Schüler herein und kaufen Süßigkeite­n, einige Kunden schauen neugierig, was die Presse hier so macht. Balci bietet schwarzen Tee an. Seit zehn Jahren arbeitet er im Laden, berichtet er. Einige der Kunden scheinen ihn persönlich zu kennen, der Umgang wirkt vertraut. Weiter hinten im Geschäft sitzen Bekannte von Balci. Arven Potros ist einer von ihnen. Potros, 24, stammt aus dem Irak. Hier im Laden war er als Schüler oft, erzählt er. Und heute schaue er eben immer noch gerne vorbei. „Ich fühle mich hier wie zuhause“.

Später wird ein junger Mann, ein Teenager eher, nicht weit vom Laden entfernt auf der Straße lautstark in sein Handy schimpfen. Er ist nicht ganz glücklich damit, dass ihm Sozialstun­den aufgebrumm­t wurden, so viel wird klar. „Nur weil ich vorbestraf­t bin“, ruft er laut und fügt eine Beleidigun­g an. So laut, dass ihn weithin alle hören können und müssen, ob sie wollen oder nicht.

Symptomati­sch für das Viertel ist dieser, nun ja, Ausbruch nicht. Die Stadt hat vor eineinhalb Jahren mal ausgewerte­t, in welchen Stadtteile­n wie viel Prozent der Straftaten passieren. Die Auswertung ergab zwar, dass Links der Wertach Nord und Süd der Anteil der Tatverdäch­tigen an der wohnberech­tigten Bevölkerun­g mit am höchsten ist. Die meisten Straftaten allerdings spielen sich, wenig überrasche­nd, in der Innenstadt ab. Die beiden Viertel Links der Wertach landeten im Mittelfeld.Stefan Lanzinger, Chef der Polizeiins­pektion in Oberhausen, sagt, Kollegen aus der Innenstadt seien manchmal überrascht, wie vergleichs­weise ruhig es im Bereich seiner Inspektion zugehe. Auch aus seiner Sicht laufe vieles entspannte­r ab als in der Innenstadt. Für das dortige Revier hat Lanzinger 25 Jahre gearbeitet. Dennoch hat die Polizeiarb­eit in Oberhausen ihre Besonderhe­iten. Dass drei der Beamten türkisch sprechen, sei schon hilfreich, sagt Lanzinger. Zudem sei

Die Viertel sind keine Orte der Kriminalit­ät

man vermutlich die Dienststel­le, die am häufigsten einen Dolmetsche­r beanspruch­en muss.

In der Flurstraße geht an diesem Tag ein Mann zu seiner Wohnung, der von all den Statistike­n nichts weiß, weil er erst seit Kurzem hier lebt und bald wieder weg ist. Seinen Namen will er nicht nennen, nur seinen Spitznamen, Diego. Diego also ist Ingenieur, kommt aus Frankreich und arbeitet für drei Monate bei Siemens in München, wie er berichtet. Er hat sich entschiede­n, für die Zeit nach Augsburg zu ziehen. Dass er in dem Viertel mit der höchsten Migrantend­ichte gelandet ist? Eine vergleichs­weise arme Gegend? Ein Zufall, sagt er. Er wirkt überrascht. Er habe sich mehrere Wohnungen angeschaut, auch in der Innenstadt. Jene in der Flurstraße habe ihm einfach am besten gefallen.

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Fotos: Silvio Wyszengrad Die Viertel sind teils eng bebaut. Einige Straßen sind nicht von Wohnkomple­xen dominiert, sondern durch Einfamilie­nhäuser ge prägt. Oft gibt es auch beides unmittelba­r nebeneinan­der.
 ??  ?? Thomas Zwingers lebt im Viertel Links der Wertach Nord. Ihm gefällt die ruhige Lage und die gute Verkehrsan­bindung in die In nenstadt. Er habe auch das Gefühl, dass viel in der Gegend getan werde.
Thomas Zwingers lebt im Viertel Links der Wertach Nord. Ihm gefällt die ruhige Lage und die gute Verkehrsan­bindung in die In nenstadt. Er habe auch das Gefühl, dass viel in der Gegend getan werde.
 ??  ?? Augsburg Oberhausen hat viele Gesichter. Viele Straßen sind durch mehrstöcki­ge Wohngebäud­e geprägt. Einige von ihnen sind in den vergangene­n Jahren mal saniert worden, andere nicht.
Augsburg Oberhausen hat viele Gesichter. Viele Straßen sind durch mehrstöcki­ge Wohngebäud­e geprägt. Einige von ihnen sind in den vergangene­n Jahren mal saniert worden, andere nicht.
 ??  ?? Ercan Balci hat einen kleinen Laden in der Nähe der Löwenecksc­hule. Die Mischung ist eher ungewöhnli­ch: Es gibt Schulsache­n, Süßigkeite­n, Snacks und Getränke.
Ercan Balci hat einen kleinen Laden in der Nähe der Löwenecksc­hule. Die Mischung ist eher ungewöhnli­ch: Es gibt Schulsache­n, Süßigkeite­n, Snacks und Getränke.
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