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Uwe Tellkamp: Die Carus Sachen. Edition Eichthal, 96 S., 18 ¤ keine Antworten. Alles, was da ist, sind Sammlungen, Kruscht, Kram, Spinnweben. Alles, was da ist, sind: Fragen. Erstickt solche Ansammelwut nicht die Existenz? Wollten die Cousinen ihr gewöhnliches Leben für die Nachwelt dokumentieren? Was haben sie sich davon versprochen? Was gab ihnen die selbst geschaffene Ordnung im Wust der Belanglosigkeiten? Ballast oder Schatz? Stemmten Hilde und Gretl sich gegen die Vergänglichkeit, indem sie alles bewahrten? War das alles nur eine Marotte? Zwei Messies? Oder war ihnen das zwanghafte Musealisieren des Alltags ein Bollwerk gegen das Chaos der Welt, am Ende gegen die Sterblichkeit und den Tod, gegen den doch kein Archiv und kein Verzeichnis und keine Aufstellung jemals etwas ausgerichtet haben?
Reinharterstraße 100, das ehemalige Schuhhaus Höfler: Es ist nur der leblose Schrein der Dinge, von oben bis unten voll mit den geordneten Hinterlassenschaften und Alltagsstrandgut von Hilde und Gretl. So- ein Konvolut „leere Umschläge“gab es. Überall Bündel, beschriftet und verschnürt mit fleischfarbenen Damenstrümpfen aus Nylon. Eines Tages, schwer krank, alt und gebrechlich, mussten die Frauen ihr Heim verlassen. Ihre Gruft der Erinnerung mit all den Sedimentschichten und Ablagerungen ihres Lebens stand jahrelang unberührt wie ein Dornröschenschloss. Die Cousinen sind längst tot.
Der Wiener Fotograf und Galerist Peter Coeln erfuhr von diesem denkmalgeschützten Haus – und er kaufte es unbesehen für 32000 Euro. Als man ihn fragte, was er denn vorhabe mit dem Haus, sagte er: „Ein Buch machen.“Das hat er getan, zusammen mit einem der bekanntesten Journalisten Österreichs, dem Anchorman der „Zeit im Bild“, Tarek Leitner. Das Buch trägt den Titel „Hilde & Gretl. Über den Wert der Dinge“– und es ist eine Entdeckungsreise durch einen einzigartigen Kosmos, in dem privates Leben im 20. Jahrhundert auf höchst eigensinnige Weise konserviert ist. Individuell und doch allgemeingültig zugleich. Es passt, was die Autoren vom türkischen Nobelpreisträger Orhan Pamuk zitieren, der zu seinem Istanbuler „Museum der Unschuld“schreibt: „Die Zukunft der Museen liegt in unseren Wohnungen und Häusern.“
Coeln und Leitner haben alles durchforstet, sie haben eine Halle in der Nachbarschaft gemietet, um die tausenden von Dingen auszubreiten, über Monate zu sichten. Es ist eine Erkundung, die schwankt zwischen Staunen und Ratlosigkeit. Mal fühlen sie sich wie Voyeure, mal wie Retter. Es gab Phasen der Verzweiflung in diesem Meer, es gab andächtige Momente. Weil die Autoren diesen wundersamen, monströsen und banalen Nachlass zu würdigen bereit sind, weil sie hinter dem oberflächlichen Reiz der Kuriosität nach Motiven, nach Erklärungen suchen, gewinnt ihr Buch die notwendige Fallhöhe, um allgemeine Fragen zu stellen. Was bestimmt für uns den Wert von Dingen? Wie wird etwas zum Träger von Erinnerung? Wagar