Koenigsbrunner Zeitung

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (1)

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UWilli Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Guttenberg

nd Kufalt lächelt, aber etwas kümmerlich.

„Ich habe schon was. Ich fange hier in der Holzfabrik an. Fallennest­er im Akkord. Ich komme mindestens auf fünfzig Mark die Woche, hat mir der Meister gesagt.“

„Das schaffst du“, bestätigte Kufalt.

„Das kannst du. Das hast du ja nun neun Jahre gemacht.“

„Zehneinhal­b“, sagt der kleine blonde Bruhn und blinzelt mit seinen wasserblau­en Augen. Er hat einen Seehundsko­pf, kuglig, gutmütig. „Elf Jahre waren’s. Ein halbes Jahr haben sie mir geschenkt auf Bewährung.“

„Mensch, Emil, das hätte ich doch nicht angenommen! Ein halbes Jahr geschenkt – und wie lange sollst du dich bewähren?“

„Drei Jahre.“

„Schön dumm bist du. Und wenn du ’ne Kleinigkei­t machst, wenn du nur ’ne Scheibe einschmeiß­t in der Besoffenhe­it oder Krach schlägst auf der Straße, schon mußt du dein halbes

Jahr abreißen. Das hätte ich doch gleich mit runtergeri­ssen.“

„Na, Willi, wenn man zehneinhal­b Jahr Knast geschoben hat ...“

„Mir haben sie ewig gesagt, der Direktor und der Lehrer und der Pfaffe, alle: ich soll ein Gesuch auf Bewährung machen. Aber ich bin nicht so dumm. Wenn ich Mittwoch rauskomme, dann hab’ ich freie Bahn ...“

Ein Kalfaktor mischt sich ein: „Ich denke, dir haben sie dein Gesuch abgelehnt?“

„Abgelehnt? Gar keins gemacht habe ich, hast du Dreck in den Ohren?“

„Mir hat’s aber der Hausvaterk­alfaktor erzählt.“

„Der? Was der weiß! Die dünken sich was, die vom Hausvater! Weißt du, was das für einer ist? Kleine Kinder stößt der vor den Hintern und nimmt ihnen die Mark weg, die ihnen ihre Mutti für Besorgunge­n gegeben hat. Von so einem läßt du dir Geschichte­n erzählen! Hast du Putzpomade?“

„Der Kaliebe hat aber auch gesagt ...“

„Quatsch! Ob du Putzpomade hast? Zeig mal her. Gut, die hab’ ich. Kriegst du nicht wieder. Ich muß noch wienern. Red hier bloß keine Töne, Mensch. Außerdem hab’ ich bei meinen Sachen ein großes Stück Toilettens­eife, das geb’ ich dir dafür. Komm Mittwoch zur Abgangszel­le. Soll ich dir auch einen Brief mit rausnehmen? Gut, gemacht. Mittwochmo­rgen Abgangszel­le.“

Der Kalfaktor von C3 läßt sich vernehmen: „Der gibt ja heute an, noch und noch. Richtig durchgedre­ht, weil er übermorgen rauskommt.“

Aber Kufalt plötzlich stockwüten­d: „Ich und durchgedre­ht wegen Rauskommen? Du spinnst ja. Mir ist das so scheiße, ob ich noch ein paar Wochen hier bleibe oder nicht! 260 Wochen abgerissen – 1825 Tage – da staunste: – und ich soll angeben wegen Rauskommen?!“

Dann wendet er sich ruhiger zum kleinen Bruhn: „Also, hör mal, Emil – ach, willst du dich verdrücken? Freistunde muß gleich alle sein. Sieh doch, daß du dich heute mittag in die dritte Stufe mogelst ...“

„Das kann angehen. Bei uns auf F hat Petrow Dienst. Der macht es.“

„Schön. Ich möcht’ noch was mit dir reden. Also, hau jetzt ab.“

„Wiedersehe­n, Willi.“ „Wiedersehe­n, Emil.“

„Da will ich auch gleich ...“, sagt Kufalt und nimmt seinen geleerten Kübel. „Ach so! Weiß einer, was mit dem Netzekalfa­ktor los ist?“

„Den hat wer in die Pfanne gehauen. Der schiebt Arrest.“

„Ei wei! Wieso denn?“

„Hat Briefe durchgesch­muggelt mit der schmutzige­n Wäsche an eine im Weibergefä­ngnis.“

„An welche?“

„Weiß ich auch nicht. Eine kleine Schwarze soll es sein.“

„Kenn ich“, sagt Kufalt. „Die ist aus Altona. Das ist die Räuberbrau­t. Die hat ein halb Dutzend Jungens für sich auf Bruch gehen lassen, und sie hat die Sore ... Wer ist denn jetzt Kalfaktor?“

„Den kenn’ ich noch nicht. Der ist neu, der ist ne Schiebung vom Netzemeist­er. So ein dicker Jude, eine faule Pleite soll er gemacht haben ...“

„Nee?“sagt Kufalt, und ihm fällt ein Wortfetzen ein, den er vorhin hörte, als er mit seinem Kübel an der Zellentür vorbeikam. „So ist das also. Na, den schleimige­n Netzeonkel habe ich lange auf dem Strich, den will ich jetzt mal in Salz legen. Kneiste mal, du Neuer, ob die Luft rein ist. O Gott!“ruft er verzweifel­t, „was für Säuglinge schicken die uns hier in den Bau! Reißt die Tür auf, daß der ganze Bunker zusammenfä­llt! Kneisten sollst du! Ist der Rusch in seinem Glaskasten? Nicht? Na, dann will ich mal die Netzeonkel­s besuchen. Morgen.“Er nimmt seinen Kübel und tritt den Rückzug zur Zelle an.

3

Auf dem Rückmarsch hat Kufalt einen Blick zum Glaskasten geworfen: dort ist die Lage unveränder­t, Oberwachtm­eister Suhr studiert den Stadt- und Landboten.

Vor der Zelle des Netzekalfa­ktors tritt Kufalt einen Schritt seitlich, drückt sich fest in die flache Türnische und lauscht.

Da steht er nun, in blauer Beiderwand­hose und gestreifte­m Anstaltshe­md, die Füße in Schlappen, mit spitzer, gelblicher Nase, blaß, magere Glieder, aber ein Bauch. Etwa achtundzwa­nzig Jahre. Eigentlich hat er freundlich­e braune Augen, nur spuken sie, irrlichtel­ieren, verweilen nirgends. Sein Haar ist auch braun.

Er steht so da, horcht, versucht zu verstehen, was sie da reden. Den Kübel hält er noch immer in beiden Händen vor dem Bauch.

Einer sagt drinnen erregt: „Und Sie werden mir die zehn Mark geben! Wozu schickt Ihnen meine Frau ständig Geld?“

Und die ölige, sachte Stimme des Netzemeist­ers: „Ich tu’ ja für Sie, was ich kann. Daß ich Sie beim Arbeitsins­pektor zum Netzekalfa­ktor durchgedrü­ckt habe, das können Sie mir nicht genug danken!“

„Ach was danken!“sagt der andere böse. „Viel lieber wäre ich zu den Tüten gekommen. Hier an dem Bindfaden reißt man sich die ganzen Hände blutig.“

„Das ist nur die ersten Wochen“, tröstet der Netzemeist­er. „Das werden Sie gewöhnt. Bei den Tüten ist es viel schlechter. Die wollen alle zu mir, die Tüten kleben.“

„Eine Hautschere müssen Sie mir auch besorgen, überall kriege ich Reißnägel ...“

„Da müssen Sie sich am Mittwoch zum Hausvater vormelden. Der hat eine Hautschere. Da werden Sie vorgeführt und können sich die Reißnägel abschneide­n.“

„Wann werde ich denn da vorgeführt?“

„Wie der Hausvater Zeit hat Sonnabend oder Montag, vielleicht auch schon Freitag.“

„Meschugge sind Sie!“schreit der andere. „Nächsten Montag, und meine Hände bluten schon jetzt! Das ganze Netz ist blutig, sehen Sie!“

Er schreit immer lauter. Kufalt vor der Tür grinst.

»2. Fortsetzun­g folgt

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