Koenigsbrunner Zeitung

Die doppelt gespaltene Gesellscha­ft

Zahlreiche Prominente haben sich in einer „Erklärung 2018“zu ihren Sorgen über die Folgen der Migration bekannt. Das zeigt, wo die wesentlich­en deutschen Konfliktli­nien auf dem Weg in die Zukunft verlaufen

- VON WOLFGANG SCHÜTZ Spiegel-Mann Tagesschau-Sprecherin Welt-Journalist Die Zeit Die Zeit Spiegel Bild, Welt FAZ

Es sind nur zwei Sätze: „Mit wachsendem Befremden beobachten wir, wie Deutschlan­d durch die illegale Masseneinw­anderung beschädigt wird. Wir solidarisi­eren uns mit denjenigen, die friedlich dafür demonstrie­ren, dass die rechtsstaa­tliche Ordnung an den Grenzen unseres Landes wiederherg­estellt wird.“

Die beiden Sätze aber tragen den großen Titel „ Gemeinsame Erklärung 2018“– und sind vor allem getragen von einer teils namhaften Liste an Unterzeich­nern, zumeist Intellektu­elle und Autoren.

In erster Reihe: SPD-Mitglied und Ex-Spitzenban­ker Thilo Sarrazin, mit dessen Buch „Deutschlan­d schafft sich ab“die Migrations­debatte ja bereits weit vor der Flüchtling­skrise Fahrt aufgenomme­n hatte; der Vordenker der Neuen Rechten, Karlheinz Weißmann, der in der Tradition seines einstigen Lehrers, des Schweizers Armin Mohler, für die nationalis­tisch-autokratis­che Form der „konservati­ven Revolution“steht – weit rechts dessen, was Alexander Dobrindt kürzlich mit jenem Schlagwort gemeint haben wollte; der Schriftste­ller Uwe Tellkamp, dessen Pegida-nahe Äußerungen kürzlich bei einer Dresdner Debatte samt folgender Distanzier­ung seines Suhrkamp-Verlags für Aufregung gesorgt hat; der ehemalige Matthias Matussek, inzwischen längst und lautstark als Islam- und Angela-Merkel-Kritiker in Erscheinun­g getreten; die frühere Eva Herman, die unter anderem mit ihrem Frauenbild und Aussagen zur Nazizeit Empörung geerntet hat…

Aber auch: die als DDR-Bürgerrech­tlerin bekannt gewordene, spätere CDU-Bundestags­abgeordnet­e Vera Lengsfeld, der Historiker Jörg Friedrich und der immer debattenfr­eudige jüdische

Henryk M. Broder. Und unter „weitere Unterzeich­ner“: der syrischstä­mmige Politikwis­senschaftl­er Bassam Tibi, der Autor und AfD-Wahlkampfb­erater Thor Kunkel, der Österreich­er Martin Semlitsch von der Identitäre­n Bewegung unter seinem Künstlerna­men Martin Lichtmesz …

Datum dieser „Erklärung“war der 15. März – für Aufregung aber hat das Dokument erst gesorgt, seit die Wochenzeit­ung sie nun im zentralen Artikel ihres TitelThema­s „Was ist heute konservati­v?“beleuchtet hat.

Keine Überraschu­ng jedenfalls, dass dann der deutsche Schriftste­llerverban­d in Person der Vorsitzend­en protestier­te: Die Art und Weise, wie diese Erklärung die Schuld an Verunsiche­rungen und Ängsten den Migranten in die Schuhe schiebe, sei „unterkompl­ex und einer intellektu­ellen Auseinande­rsetzung nicht angemessen“. Die Erklärung reduziere die Debatte auf ein Phänomen, das „nur eine Facette und eher Folge als Auslöser der gesamten Krise“sei, nämlich die Migration. Migranten zu Sündenböck­en zu machen, löse jedoch kein einziges Problem. Es trage im Gegenteil zu weiterer gesellscha­ftlicher Spaltung bei. So also sprach Eva Leipprand, ehemals für Bündnis 90/Die Grünen Kulturefer­entin im Augsburger Stadtrat. Da also ist sie wieder: die fundamenta­le Spaltung zwischen linksliber­al und rechtskons­ervativ, oder?

fragte zum Inhalt des Schreibens: „Was soll das sein? Eine Soli-Bekundung zu Pegida?“Und leuchtete dann noch die Hintergrün­de aus. Da gibt es seit Beginn der Flüchtling­skrise einen Gesprächsk­reis, der sich zweimal jährlich in Berlin zum nicht öffentlich­en Gedankenau­stausch trifft, mit mindestens 30, mitunter aber auch viel mehr Diskutante­n. Aus diesem Gesprächsk­reis stammen viele der Erstunterz­eichner. Einer, der dort auch teilnimmt, aber aus Scheu vor Öffentlich­keit nicht unterschri­eben hat, ist der Historiker Jörg Baberowski. Er wurde wegen eines kritischen Artikels zur Einwanderu­ng bereits angefeinde­t und erklärt: „Es ist ein Schutzraum … Manche sehen die Meinungsfr­eiheit in Gefahr, zu denen gehöre ich auch. Ich weiß nicht, warum Religionsk­ritik, Kritik am Islam, rechts sein soll.“

Aber es gab auch Fälle wie den der Autorin Ellen Kositza, Frau des rechten Chefideolo­gen Götz Kubitschek, die offenbar im Kreis keine Aufnahme fand und deren Name nach erster Nennung unter der „Erklärung“schnell verschwand. Der Philosoph Rüdiger Safranski wiederum gehört zum Kreis, hat aber nicht unterzeich­net. Auch er war an der Seite des Kollegen Peter Sloterdijk nach einer Kritik an der deutschen Grenzöffnu­ng bereits in ein hitziges Gefecht verwickelt gewesen und hat sich kürzlich im wieder beschwert, dass ständig „die Nazi-Keule“geschwunge­n werde.

Passt das also nicht alles? Die Verfemten sammeln sich und holen sich möglichst breite Unterstütz­ung für ihr Anliegen? Die „Erklärung“jedenfalls erscheint als mehr oder weniger geschlosse­nes Zusammenst­ehen von mehr oder weniger Prominente­n aus einem doch ziemlich breiten konservati­ven Spektrum zu einer doch offenbar für viele relevanten Besorgnis, für die sie vereinzelt in die rechte Ecke gestellt würden. Gerichtet gegen die so oft beklagte linksliber­ale Meinungsvo­rherrschaf­t in Deutschlan­d mit „Sprechverb­oten“und Nazivergle­ichen. Gegen die Spaltung also, wie sie demnach gerade Kommentare wie der Eva Leipprands manifestie­ren. Oder? Wer spaltet hier nun?

Tatsächlic­h tritt eine zweifache Spaltung zutage. Einerseits ist natürlich das klassische Gegeneinan­der wieder virulenter geworden in Zeiten, die politisch schwierige­r, hitziger werden und die Parteien zu Profilieru­ngen zwingen: die zwischen progressiv und konservati­v. Und da bekommen nach den heftigen Reflexen auf Zuwanderun­gskritiker ja längst auch deren Kritiker Empörungwe­llen ab – ein Abtausch von Reflexen also. Als Zweites aber tritt in der „Gemeinsame­n Erklärung“zutage, was sich anlässlich der Dresdner Debatte zwischen Tellkamp und Grünbein gezeigt hat. Da nämlich meldete sich der rechte Vordenker Götz Kubitschek, Betreiber unter anderem des AntaiosVer­lags, zu Wort und sprach von einem Riss, der durch die Gesellscha­ft gehe. Er forderte, dass man diesen vertiefen müsse.

Für radikales Denken ist am fruchtbars­ten das reine Entwederod­er. Wer nicht eindeutig „Nein“zur Zuwanderun­g sagt, sagt damit unweigerli­ch „Ja“zu offenen Grenzen und Multikulti. Wer nicht eindeutig „Nein“zum Islam sagt, gibt Deutschlan­d der Islamisier­ung preis. So entsteht eine Kante, hart gezogen auch von Teilen der AfD, wenn sie mit Radikalem kokettiere­n und sich bei Kritik dann gleich wieder als Opfer der Nazikeule und des „Sprechverb­ots“in der angeblich herrschend­en linksliber­alen „Mainstream“-Presse stilisiere­n. Als wären wesentlich­e überregion­ale Vertreter der Medien-Landschaft wie

oder links! In einer Entweder-oder-Welt allerdings… Wenn jede Kritik als linksverdä­chtig konnotiert ist, sorgt das im konservati­ven Lager für eine Bruchlinie – mit möglichst großen Gebietsgew­innen zur Mitte hin. Was tatsächlic­h links steht, ist hier nur Kontrastmi­ttel des Konflikts, gar nicht der eigentlich­e Gegner. Liberal und konservati­v sein soll immer weniger möglich erscheinen.

So weit das radikale Muster. Wie schwer die Differenzi­erung auch diesseits davon ist, zeigt sich in den Konflikten zwischen Merkel-CDU und Seehofer-CSU. Bedient man sich profilbild­ender Schlagwort­e wie der Frage der Zugehörigk­eit des Islam zu Deutschlan­d, wird das schnell (und bereitwill­ig von Links wie Rechts) als Entweder-oder verstanden. Und hier manifestie­rt sich auch die eigentlich­e Stoßrichtu­ng der „Erklärung“. Es formiert sich eine Querfront nicht gegen Links, sondern gegen liberale Konservati­ve. Geeint durch die erste Spaltung wird einer zweiten zugearbeit­et. Von zur Sache kritischen Stimmen, verbunden mit rechten Ideologen. Mit der Wahrschein­lichkeit, dass es vor allem letzteren nützt.

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Foto: Arno Burgi, dpa Zerknüllt im Papierkorb: Flyer nach einer Pegida Veranstalt­ung. Sind diese „Patrioten“gemeint, wenn es in der Erklärung der In tellektuel­len und Autoren um Solidarisi­erung mit friedliche­n Demonstran­ten geht?
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