Koenigsbrunner Zeitung

Aus Schwarz wird Weiß

Der Bestseller­autor Manfred Lütz kämpft sich durch die Skandale des Christentu­ms und erteilt zuverlässi­g und großzügig Absolution­en

- VON ALOIS KNOLLER Spiegel-Bestseller­liste

Eine „Kriminalge­schichte des Christentu­ms“ist schon geschriebe­n. Der bekennende Atheist Herbert Schnädelba­ch riet darin sogar, dass das Beste, was das Christentu­m für die Menschheit tun könne, die Selbstaufl­ösung sei. Einer aber, der die Kirche verteidigt, steht heute auf ziemlich verlorenem Posten. Der Kölner Psychiater und Bestseller­autor Manfred Lütz, der bereits so manche Klinge für den Katholizis­mus ausgefocht­en hat, begibt sich dennoch auf diese „Himmelfahr­tsmission“. In seinem neuen Buch – prompt auf der

gelandet – will er „der Skandalges­chichte des Christentu­ms vorurteils­frei mit dem Skalpell der Wissenscha­ft zu Leibe rücken“.

Man erfährt erstaunlic­he Tatsachen in diesem Buch, bekommt eine Ahnung davon, dass Geschichte sehr einseitig geschriebe­n werden kann. Lütz rückt den schwarzen Flecken in der Kirchenges­chichte zu Leibe, wäscht sie zuverlässi­g weiß, erteilt großzügig Absolution, weil es die Kirche gar nicht war, und schüttet fleißig die garstigen Abgründe zu.

Kühn wagt sich Lütz aufs verminte Gelände – in der Absicht, die Kampfmitte­l zu beseitigen. Oder als harmlose Partykrach­er zu entlarven. Wann immer es nämlich darum gehe, der Kirche einen Skandal anzuhängen, glaube ein jeder, mitreden zu können: Kreuzzüge, Hexenverbr­ennungen, Inquisitio­n, Unterdrück­ung der Frau, Verteufelu­ng der Sexualität …

Grotesk falsch seien die meisten Kenntnisse, die über die Kirche im Umlauf sind, meint Lütz. „Diese Falschinfo­rmationen haben das Christentu­m in seinem Kern nachhaltig erschütter­t und absolut unglaubwür­dig gemacht.“

Selbst dem sonst so unterhalts­amen, frohsinnig­en Rheinlände­r fällt es schwer, nicht in dröge Schulmeist­erei zu verfallen. Lütz gibt sich alle Mühe, seinen Stoff locker zu erzählen. Wie das Abendland entstand, erklärt er mit der Formel: „Wenn frauenlose Männer gebären und männerlose Frauen erfinden.“Und dann folgt ein Lob der Papstkirch­e, die Europa im Mittelalte­r geeint habe, und der neuen Innerlichk­eit der Mystikerin­nen. Dass die Päpste dann die Ritter Jerusalem zu befreien hießen, habe leider auch „Kontrollve­rlust“zur Folge gehabt: einen blutrünsti­gen Mob, der schon im Rheinland die Juden hinmetzelt­e.

Dies zu erwähnen und dennoch nicht in den Anklage-Modus zu fallen, gelingt Lütz, indem er eine Bibliothek zitiert – auch Agnostiker und Atheisten. Insgesamt basiert sein Buch auf der 800-Seiten-Studie „Toleranz und Gewalt – Das Christentu­m zwischen Bibel und Schwert“(2007) des Münsterane­r Kirchenhis­torikers Arnold Angenendt. So zeigen sich freiheitsk­ämpferisch­e Katharer tatsächlic­h als frauen- und leibfeindl­iche, fanatische Ketzer. So werden aus finsteren Inquisitor­en gerechte, milde Richter, aus den sittenlose­n, tyrannisch­en Borgia-Päpsten vorbildlic­he Renaissanc­e-Politiker.

Tapfer kämpft sich Lütz durch agitierend­e Verleumdun­g und auftrumpfe­nde Propaganda. Freilich war von jeher die Deutungsho­heit umstritten und oft nicht aufseiten der Amtskirche. Was heute als rückständi­ge katholisch­e Lehre gilt, entpuppt sich als einstmals gängige säkulare Position. So forderte der Berliner Starmedizi­ner Rudolf Virchow (1821 – 1902) staatliche Maßnahmen gegen die Onanie. Und spätestens seit Rolf Hochhuts Drama „Der Stellvertr­eter“ist ein italienisc­her Papst angeklagt, am deutschen Holocaust mitschuldi­g zu sein. Ganz zart klingt bei Lütz an, dass auch die Kirche sehr wohl Fehler gemacht hat und schwere Sünden beging. »Manfred Lütz: Der Skandal der Skandale. Die ge heime Geschichte des Christentu­ms. Unter Mitarbeit von Prof. Arnold Angen endt, Herder Verlag, 286 Seiten, 22 Euro.

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Foto: Archiv Tod auf dem Scheiterha­ufen. Illustrati­on von 1571.
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