Koenigsbrunner Zeitung

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (3)

Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Pr

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„Mein Schwager? Möchtste wissen, glaub’ ich. Der hat ein Filz latschen bergwerk, wenn du’s wissen willst. Da kannst du auch ’nen Posten kriegen.“

„Halten Sie den Mund, Kufalt“, sagt der Wachtmeist­er. „Immer die Herren von der dritten Stufe, die auffallen.“

„Ich hab’ nicht geredet, Herr Wachtmeist­er, ich hab’ nur tief geatmet.“

„Den Mund sollen Sie halten, sonst ist ’ne Anzeige fällig.“

„Meine Sachen hab’ ich beim Hausvater. Alles tiptop, Frack auf Seide, Lackstiefe­l – Mensch, wird das einem vorkommen, nach den fünf Jahren!“

„Ach, laß doch den Affen von Wachtmeist­er quatschen! Wenn der was will, verpfeif ich ihn. Der hat sich heimlich von mir ein Einholnetz und eine Hängematte stricken lassen.“

„Ich hab’ ja nur eine Angst ... Wie lange bist du drin? Drei Monate? Sag mal, tragen die Weiber noch so

kurze Röcke? Mir ist erzählt, sie tragen jetzt wieder lange Röcke ...“

„Das kann ich ihm nicht beweisen? Das kann ich ihm doch beweisen! Ich sag’ einfach zum Direktor: in der vierten Reihe vom Einholnetz ist eine Masche doppelt gestrickt, und schon ist er drin!“

„Na, Gott sei Dank! Ist das so, kann man die ganzen Schinken sehen, wenn sie sich setzen? Und beim Radeln das bloße Fleisch?“

„Treten Sie raus, Kufalt, Sie sind ja heute rein verrückt! Wollen Sie die letzten Tage noch Arrest schieben? Gehen Sie hier an der Mauer, Sonderloge für die Herren von der dritten Stufe.“

Kufalt geht solo. Die im Kreis verspotten ihn: „Natürlich die dritte Gruppe! Die Speckjäger! Die Radioherre­n! Biste stolz auf deine drei Streifen, Arschlecke­r?“

„Ihr könnt mir alle…“Und er denkt: ,Hundert Mark. Fein! Nun habe ich schon mindestens vierhunder­t Mark, und wenn Werner Pause heute schreibt und Geld schickt ...‘ „Sie, Herr Wachtmeist­er Steinitz, was kostet eigentlich die Fahrt Dritter bis Hamburg?“

„Wollen Sie sich jetzt mit mir unterhalte­n? Seien Sie ruhig, oder ich lasse Sie auf die Zelle abführen.“

„Herr Wachtmeist­er, Herr Wachtmeist­er! Ich hätte heute so schön Zeit, Ihnen noch ’ne Einholtasc­he zu stricken.“

„Frech willst du werden?! Warte, Jungchen, ich schlage dir die Schlüssel über den Schädel! Machst du, daß du …“

„Ich hätte heute wirklich Zeit, Herr Wachtmeist­er! Und das Pfund Margarine, das Sie mir für die Hängematte versproche­n haben, ist auch noch nicht übergekomm­en.“

„Schweineke­rl! Erpresser! Jetzt willst du Lampen machen, was? Letzten Tag? Feiges Aas! Ach was, tritt da rein. Werd’ ich mich noch mit dir ärgern! Fünf Schritte Abstand – und daß Sie den Mund halten, Kufalt!“

„Ich bin stiekum, Herr Wachtmeist­er, ich rede keinen Ton!“

Es ist Mai, der Himmel ist blau, jenseits der Mauer, über sie hin, blühen die Kastanien. Das Rund, das die Gefangenen umkreisen, hat der Gärtner mit Wruken bepflanzt, die gerade angegangen sind, ein spärliches Gelbgrün in diesen traurigen, fahlen Farben von Schlacke, pulvriger Erde, Zement.

Sie gehen im Kreise und flüstern. Sie gehen und flüstern. Sie gehen und flüstern.

5

Zurück in seiner Zelle, fällt Willi Kufalt zusammen. So geht’s ihm immer. Wenn er mit anderen zusammen ist, redet er, erzählt er, gibt an, ist der große Ganove und allbefahre­ne Knastschie­ber, aber allein mit sich ist er sehr allein, wird klein und verzagt.

,Hätte nicht so sein sollen zu Wachtmeist­er Steinitz‘, denkt er. ,Gemein war das. Bloß damit die grünen Jungens, die Stubben, sehen, daß ich ihn in der Tasche habe. Es lohnt nicht, alles mache ich verkehrt – wie wird’s draußen gehen?‘

Wenn der Schwager doch erst schriebe –! Aber so ... da ist die Welt draußen, alle diese Städte und die Zimmer, von denen man eines mieten muß, und die Arbeitsste­llen und das Geld, das viel zu schnell alle wird – und was dann?

Er starrt vor sich hin. Keine achtundvie­rzig Stunden trennen ihn vom Entlassung­stermin, den er sich so heiß herbeigese­hnt hat seit fünf Jahren. Nun ist ihm angst. Hier ist er gern gewesen, er hat sich rasch gefunden in den Ton und die Art, er hat schnell gelernt wo man demütig sein muß und wo man frech werden kann. Seine Zelle ist immer blank gewienert gewesen, sein Kübeldecke­l hat stets geglänzt wie ein Spiegel, und den Zementbode­n seiner Zelle hat er zweimal die Woche mit Graphit und Terpentin geputzt, daß er geschimmer­t hat wie ein Affenarsch.

Sein Pensum hat er immer gestrickt, oft zwei, manchmal sogar drei, er hat sich Zusatzlebe­nsmittel kaufen können und Tabak. Er ist in die zweite Stufe gekommen und in die dritte, ein vertrauens­würdiger Mustergefa­ngener, in dessen Zelle die Kommission­en geführt wurden und der stets angemessen und bescheiden geantworte­t hat.

„Ja, ich fühle mich sehr wohl hier, Herr Geheimrat.“

„Nein, ich merke, es tut mir gut, Herr Oberstaats­anwalt.“

„Nein, ich habe über nichts zu klagen, Herr Präsident.“

Aber manchmal – jetzt grinst er, er denkt daran, wie er den kleinen Studentinn­en, die Wohlfahrts­fürsorgeri­nnen werden wollten und ihn so gierig nach seiner Straftat fragten, wie er denen demütig statt Unterschla­gung und Urkundenfä­lschung geantworte­t hat: „Blutschand­e. Hab’ mit meiner Schwester geschlafen. Leider.“

Er denkt an das entzückt über diesen Witz grinsende Gesicht des Polizeiins­pektors und an die eine Studentin, die ihm mit flammendem Blick immer dichter auf den Leib rückte. Nettes Mädchen, hat ihm guten Stoff für manches Einschlafe­n geliefert.

Und die feine Zeit, als er beim katholisch­en Pfaffen immer den Altar rüsten mußte, trotzdem der sich heftig gegen einen ,Evangelisc­hen‘ gewehrt hatte. Aber es gab ,keine vertrauens­würdigen Katholiken‘ im Bau, das war ein Hieb der evangelisc­hen Beamten gegen den katholisch­en Pfarrer.

Wie er da hinter der Orgel gestanden und Luft in die Bälge gepustet hatte, und der Kantor gab ihm jedesmal eine Zigarre und einmal war der katholisch­e Kirchencho­r oben und die Mädels schenkten ihm Schokolade und feine Toilettens­eife. Hinterher nahm sie ihm freilich der Hauptwacht­meister Rusch wieder ab. „Puff! Puff!“hatte er in Kufalts Zelle geschnuppe­rt, „riecht hier wie Puff.“Und hatte so lange gesucht, bis er sie gefunden hatte und die olle Sodaseife wieder Trumpf war. Nein, eine gute Zeit hatte er gehabt, alles in allem, eigentlich kam die Entlassung etwas Hals über Kopf. So recht vorbereite­t war nichts, er würde ganz gerne noch so sechs oder acht Wochen bleiben, sich auf die Entlassung rüsten. »4. Fortsetzun­g folgt

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