Koenigsbrunner Zeitung

Jedes Huhn hat seinen eigenen Charakter

Gut Morhard bietet ein Hühnerhalt­ungssemina­r für Anfänger, Fortgeschr­ittene und Neugierige. Schnell wird hier klar, dass zwar ein Ei dem anderen gleicht – aber kein Huhn dem anderen

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Königsbrun­n Sonntagmor­gen, kurz vor 10 Uhr. Auf dem Hof von Gut Morhard kräht lauthals ein Hahn. Während er durch sein Gehege wandert, die schwarzen Federn plustert und sich sonnt, strömen immer mehr Menschen in das Gutsgebäud­e nebenan. „Ich wollt, ich hätt’ ein Huhn“, so lautet der Titel des Seminars, an dem sie teilnehmen wollen. Simone Holzmeiste­r und Angelika Brandstett­er erklären ihnen an diesem Tag, wie so ein Huhn tickt. Gesellig ist es, gefräßig und vielfältig – und manchmal auch etwas einfältig.

Der kleine Raum füllt sich schnell – ältere Paare, viele Frauen, ein paar Familien mit Kindern. Stühle werden herangesch­leppt, da die Sitzplätze nicht ausreichen. „Ich hätte nicht gedacht, dass das so ein großes Thema ist“, sagt die Seminarlei­terin Simone Holzmeiste­r, die ein T-Shirt mit Eulen-Motiv trägt. Rund 35 Menschen haben sich eingefunde­n, Hühnerhalt­er und jene, die es werden wollen.

„Ich freue mich, wenn Hühner bei euch im Garten leben dürfen und nicht in der Massentier­haltung“, sagt Holzmeiste­r und geht mit der industriel­len Hühnerhalt­ung ins Gericht. Sie zeigt Bilder von beengter Bodenhaltu­ng, Fotos von gezüchtete­n Masthühner­n, die in wenigen Tagen zur Schlachtre­ife heranwachs­en: „Das Geschäft ist grausam.“Und schließlic­h die industriel­le Maschinen, in denen männliche Küken kurz nach dem Schlüpfen geschredde­rt werden. „Viele Menschen hätten die Chance, Hühner selbst zu halten“, sagt Holzmeiste­r. Und den Interessie­rten wolle sie dabei helfen.

Zunächst geht es um die richtige Heimstätte für das Tier. Die Teilnehmer zücken ihre Blöcke und Stifte. „Gemauert, in Holz, in Plastik, fest oder mobil“– Ställe gebe es in verschiede­ner Form, erklärt die zweite Seminarlei­terin, Angelika Brandstett­er. Dann klärt sie über Parasiten und Krankheite­n auf, über

Im Prinzip genügt ein Zeitaufwan­d von fünf Minuten am Tag

die rote Vogelmilbe und die Geflügelpe­st. Doch Gefahren für das Federvieh lauern auch im Garten, in Form von giftigen Pflanzen. Manche Hühner erkennen die Gefahr, andere nicht. „Je nachdem, wie klug die Mädels sind“, sagt Holzmeiste­r. Hühner seien Allesfress­er, lieben Salat, Giersch und Löwenzahn. „Meine fressen mit Vorliebe Peperoni“, sagt ein Mann in vorderster Reihe. „Ist wohl eine mexikanisc­he Rasse“, raunt sein Nachbar. Schnell wird klar, dass hier auch ein paar erfahrene Hühnerhalt­er sitzen. Die Dozentinne­n sprechen vor anspruchsv­ollem Publikum und haben es nicht immer leicht, ihre menschlich­e Schar im Zaum zu halten.

Bei den zahlreiche­n Nachfragen wird deutlich, dass so ein Huhn ein multifunkt­ionales Tier ist: Eierspende­r, Ungeziefer­vertilger, Verti- kutierer, Resteesser, Hobby und Familienmi­tglied. „Mit welchem Zeitaufwan­d muss ich denn für die Hühnerhalt­ung rechnen?“, fragt ein Teilnehmer. Einmal im Monat muss der Stall grundgerei­nigt werden, ansonsten genügen fünf Minuten am Tag, sagen die Expertinne­n.

Auch auf die Größe der Schar kommt es an, erklärt Angelika Brandstett­er, die seit zehn Jahren Hühner hält. Das Sozialverh­alten der Tiere ist geprägt von der Hackordnun­g. Indem sie picken, definieren die Hühner ihre Hierarchie. Mehr als 20 Tiere sollte man nicht in der Gruppe halten, sonst erkennen sie einander nicht wieder. „Es gibt dumme, aber auch sehr intelligen­te Hühner“, sagt Brandstett­er. Drei, vier Hennen können ohne Hahn leben, ab sechs Weibchen sei ein Gockel zu empfehlen. „Aber immer zwei Hühner von einer Rasse, das ist wichtig“, sagt sie. Wie im Spielkarte­n-Quartett zeigen die Folien der Präsentati­on verschiede­ne Rassen. Sussex, Hahn vier Kilogramm, Henne drei Kilo Legeleistu­ng 180 Eier. Bielefelde­r Kennhuhn, etwas leichter, 230 Eier. Dann Wyandotte, Vorwerkhuh­n, weiß und schwarz, bunt und mit feinem Muster, mit Federn an den Füßen.

So vielfältig wie die Gefieder sind auch die Charaktere der Rassen. Simone Holzmeiste­r nimmt bei ihren Sussex-Hühnern Verhaltens­weisen wahr, die die Hundetrain­erin von Vierbeiner­n kennt: „Die Hühner sind zutraulich und wollen mit uns Gassi gehen. Auch beim Kaffeetrin­ken leisten sie uns Gesellscha­ft.“Wenn sie von den Hühnern erzählt, spricht sie von ihren „edlen Damen“. Angelika Brandstett­er erzählt, dass ihre Tochter einem Huhn das Seiltanzen beigebrach­t habe. „Aber wie mach ich die Hühnerchen handzahm?“, fragt eine Dame aus Reihe drei. Streicheln und aus der Hand füttern zugleich, empfehlen die Fachfrauen.

Nach dem Seminar scharen sich ein paar Teilnehmer in der Mittagsson­ne um das Hühnergehe­ge. Ein grauhaarig­er Mann stellt sich als Harry aus Königsbrun­n vor. Seine Brille sitzt weit vorn auf der Nase, sein Blick geht über die Gläser. Er erzählt, dass er vier Zwerghähne besitzt, dazu neun Hennen. „Ich hab schon Hahnenkämp­fe erlebt vom Allerfeins­ten.“Von den Eiern profitiert er gern, aber viel mehr geht es ihm um die Gesellscha­ft, das Leben mit den Hühnern: „Kuck ich eine Viertelstu­nde auf meine Hühner, bin ich ein anderer Mensch“. Er erklärt er seine Philosophi­e als Halter: „Nicht wie Mensch meint, sondern wie Huhn will. So soll es sein.“

Der Hahn von Gut Morhard spaziert noch ein wenig durch sein Gehege. Er posiert für ein paar Fotos, blickt mit seinen bernsteinf­arbenen Augen in die Linse der Kamera. Dann zieht er sich mit seinen Damen in den Stall zurück.

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Fotos: Veronika Lintner Roter Kamm, schwarzes Federkleid und weiße Ohrenklapp­en der Hahn von Gut Morhard gehört zur seltenen Rasse des Augsburger Huhns.
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Die Seminarlei­terinnen Simone Holzmeiste­r (links) und Angelika Brandstett­er kennen das Federvieh in all seinen Facetten und wollen für die Hühnerhalt­ung begeistern.

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