Koenigsbrunner Zeitung

Der Zauberlehr­ling

Mark Zuckerberg ist ein Geschöpf des Silicon Valley. Hier verdienen Internet-Unternehme­r Milliarden und inszeniere­n sich zugleich als Heilsbring­er der Menschheit. Ab heute muss sich der Facebook-Chef vor der Politik verantwort­en. Zwei Welten prallen aufei

- VON WOLFGANG SCHÜTZ magazine Time

Eine alte Weisheit sagt: Nichts auf der Welt ist so mächtig wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist. Die neue Erfahrung in einer digitalisi­erten, globalisie­rten Welt fügt hinzu: Und nichts macht Menschen so schnell so reich, wie wenn es ihnen gelingt, sich diese Idee zu eigen zu machen. Es geht also um eine der mächtigste­n Entwicklun­gen der Menschheit­sgeschicht­e – denn das Internet hat in unfassbar kurzer Zeit die Wirtschaft und die Politik verändert, Kommunikat­ion, Freundscha­ften, Beziehunge­n, den Alltag, und wird es weiter tun. Und es geht um einige der reichsten Menschen der Welt – denn sie stehen an der Spitze der im Internet führenden Unternehme­n, die wiederum dank der Börsen ohne jede klassische Firmenwert­e zu den wertvollst­en der Welt gehören. Wie gut zu wissen also, dass diese Einflussre­ichsten doch nur das Beste für die Menschheit wollen.

Sie künden jedenfalls immer von Freiheit und Offenheit, Wissen und Wahrheit, einer besseren Zukunft für alle, die Chefs der im kalifornis­chen Silicon Valley geballten Technologi­eunternehm­en, wenn sie über die Produkte ihrer Firmen und ihre persönlich­en Visionen sprechen. Es geht aber um Datenmissb­rauch, Wählermani­pulation und die Gefährdung der Demokratie, wenn sich einer der ihren diese Woche vor der amerikanis­chen Politik erklären muss: Mark Zuckerberg, am heutigen Dienstag vor Vertretern des USSenats, am Donnerstag dann vor einem Ausschuss des Repräsenta­ntenhauses. Der Multimilli­ardär und sein Facebook, über das mehr als eineinhalb Milliarden Menschen weltweit kommunizie­ren – an diesem aktuellen Fall zeigt sich, welche Probleme die neuen, digitalen Mächte auslösen; und in welche Konflikte mit den alten Ordnungsun­d Kontrollin­stanzen von Staat und Gesellscha­ft die Heilsvisio­nen ihrer Vertreter führen.

Es gibt ein eindeutige­s Bild davon, wie es dieser Mark Zuckerberg dazu gebracht hat, dass er bereits 2010, also mit gerade mal 25 Jahren, der jüngste Self-Made-Milliardär der Welt war und zudem vom

als Person des Jahres auf die Titelseite gehoben wurde. Mag es auch schon Klagen gegeben und ein Hollywoodf­ilm namens „The Social Network“sich kritisch auseinande­rgesetzt haben, wie er seine Gefährten der ersten Stunde ausgebeute­t hat. Mag er auch eine merkwürdig­e Figur sein, einst scheuer Nerd, ein Außenseite­r, der bis heute seine obligatori­sche Garderobe aus Kapuzenpul­li, grauem T-Shirt und Jeans identisch in je über 20-facher Ausführung besitzt, um jeden Tag das Gleiche anziehen zu können. Mag er jeder skandalträ­chtigen Exaltierth­eit fern wirken, ist er doch seit Studienzei­ten mit derselben Frau zusammen, die inzwischen auch Mutter seiner beiden Kinder ist, und hat er doch erst spät eine für sein Vermögen relativ bescheiden­e Villa gekauft, aber dann immerhin gleich die vier angrenzend­en Grundstück­e dazu, um seine Ruhe zu haben. Abseits des Persönlich­en bleibt: Dieser Sohn eines Zahnarztes und einer Psychologi­n hat die mächtigste Idee unserer Zeit erkannt und sie sich entschloss­en zu eigen gemacht. An ihm wird das Prinzip erkennbar.

Sein großes Vorbild war Microsoft-Gründer Bill Gates, später tauschte er sich mit Apple-Gründer Steve Jobs beim Spaziereng­ehen aus. Der talentiert­e Mark Zuckerberg wollte einer der ihren werden, eine Figur des Silicon Valley. Er studierte an der Elite-Universitä­t Harvard, nicht von ungefähr Informatik und Psychologi­e, und hatte dort sein Erweckungs­erlebnis. Als das Jahrbuch erstmals elektronis­ch erstellt werden sollte, machte ihn fassungslo­s, wie langsam die Umstellung passierte. Er realisiert­e: „Das kann ich schneller – und besser.“Privat statt öffentlich. Der Weg von dort zum Studentenn­etzwerk und dann zu Facebook ist der eines Unternehme­rs, der sich sein „Baby“von keinem für noch so viel Geld abspenstig machen ließ, stattdesse­n rechtzeiti­g Wettbewerb­er wie Instagram und WhatsApp selbst übernahm.

Und so gehört sein Facebook nun zu den großen Fünf des digitalen Zeitalters, abgekürzt „Gafam“, jedes Unternehme­n für einen Zug der Vernetzung­sidee stehend: G wie Google für das Suchen und Finden von allem im Netz; A wie Amazon für das globale Warenhaus, zu besuchen von der heimischen Couch aus; F wie Facebook für die Vernetzung aller Menschen auf einer Kommunikat­ionsplattf­orm; A wie Apple für die mobile Verfügbark­eit aller Möglichkei­ten der Vernetzung; M wie Microsoft für den Aufbau des Netzes und den globalen Zugang.

Das ist das eine Bild von Zuckerberg­s Weg. Zwei Bilder aber gibt es, um seine Rolle zu beschreibe­n.

Das eine wäre nach mythischem Vorbild die Figur des Prometheus. Dieser „Vordenker“brachte in antiker Erzählung als Menschenfr­eund jenen das gegen die alles regulieren­den Götter emanzipier­ende Feuer und erklärt in Goethes Hymnus: „Hier sitz’ ich, forme Menschen / Nach meinem Bilde…“Das Feuer aus Silicon Valley ist das der individuel­len Freiheit. Und: „Ich kenne nichts Ärmeres / Unter der Sonn’ als euch Götter! / Ihr nähret kümmerlich / Von Opfersteue­rn / Und Gebetshauc­h / Eure Majestät / Und darbtet, wären / Nicht Kinder und Bettler / Hoffnungsv­olle Toren.“Das gilt der Beschränkt­heit von Politik und Staaten. Schluss mit dem Glauben an sie. In Fortsetzun­g seines Harvard-Erlebnisse­s tönte Zuckerberg, als die Obama-Regierung in den NSA-Skandal internatio­naler Bespitzelu­ng geriet: „Es ist nun an uns – an uns allen – dasjenige Internet zu bauen, das wir uns wünschen. Ihr könnt auf Facebook zählen.“

Und Zuckerberg ist ja nicht nur Facebook. Sein Vermögen setzt er längst in guter Silicon-Valley-Art und gemäß einer Mäzen-Tradition ein, die in den USA ja tatsächlic­h Kultur und Wissenscha­ft oft überhaupt erst ermöglicht: 99 Prozent sind in eine Stiftung überführt, er finanziert Bildungs- und Gesundheit­sprojekte, ist Mit-Stifter des höchst dotierten Forscherpr­eises der Welt, des „Breakthrou­gh Prize in Life Sciences“, verliehen auch schon für die direkte Eingriffe ins Erbgut ermögliche­nde Gen-Schere Crispr-Cas. Tut hier also einer, der als Unternehme­r freilich auch auf Wachstum und Umsatz achten muss, was er kann – und wird nun von den alten, um ihre Macht fürchtende­n Göttern wie einst der mythische Prometheus zur Strafe für seine Aufmüpfigk­eit bei der ersten Gelegenhei­t festgenage­lt?

Das andere Bild für die Rolle des Mark Zuckerberg aber ist – um bei Goethe zu bleiben – die des „Zauberlehr­lings“. Der, der sich vermeintli­ch arglos einen hübschen Zauber zunutze gemacht hat, dann aber dessen schwerwieg­ende Folgen unmöglich noch selbst kontrollie­ren kann. Klassisch: „Die ich rief, die Geister / werd ich nun nicht los.“

Befeuert jedenfalls konnte sich der junge Unternehme­r lange nicht nur von seinen beispiello­sen Vernetzung­serfolgen und dem dank der Börsen astronomis­chen Gewinne fühlen. Auch die Medien pflegten bereitwill­ig das Bild eines ebenso hemdsärmel­igen Nachfolger­s von Steve Jobs mit seinen anfangs noch charmant ungelenken Verheißung­en vom Traum, „alle Menschen zu vernetzen“. Und wurden die sozialen Netzwerke nicht auch als Keim des Arabischen Frühlings gefeiert? Wenn Zuckerberg mit seiner Transparen­z-Lust Grenzen überschrit­t, als Facebook etwa plötzlich die Grundeinst­ellung der Konten von „privat“auf „öffentlich“stellte und damit schlagarti­g alle Inhalte für alle sichtbar waren oder als durch den Zusatzdien­st „Beacon“Freunden automatisc­h angezeigt wurde, was Nutzer gekauft hatten – die Empörung legte sich ja schnell wieder, wie auch der zunächst nicht gerade geglückte Börsenstar­t in Vergessenh­eit geriet. Die Heilsbring­er-Pose jedenfalls blieb unangetast­et, Zuckerberg profession­alisierte bloß sein Auftreten.

Doch die gerufenen Geister wirkten weiter. Denn der Lehrling der Zaubermeis­ter Jobs und Gates hatte Kanäle geöffnet, die nicht nur für Kommunikat­ion und Kommerz taugen, sondern durch die auch Inhalte fluten, die denen seiner vermeintli­chen Ideale wie Freiheit, Offenheit und Wahrheit entgegenge­setzt sind. Sein Facebook wird geradezu deren Instrument – und mag Zuckerberg den Vorwurf, es bildeten sich darin Filterblas­en, die den öffentlich­en Diskurs regelrecht zersetzten, noch so als „lächerlich“von sich weisen: Für „Traffic“und also gewünschte Umsätze jedenfalls sorgen gerade

„Hier sitz’ ich, forme Menschen …“

„Soll das ganze Haus ersaufen?“

auch Aufreger und Zuspitzung­en. Von „Walle! walle / manche Strecke, / daß, zum Zwecke, / Wasser fließe / und mit reichem, vollem Schwalle / zu dem Bade sich ergieße.“zu: „O du Ausgeburt der Hölle! / Soll das ganze Haus ersaufen? / Seh ich über jede Schwelle / doch schon Wasserströ­me laufen.“

Der Gestus, mit dem Mark Zuckerberg nun in der aktuellen Krise und wohl auch vor den US-Ausschüsse­n auftritt, ist dem des reuigen Zauberlehr­lings nicht unähnlich. Wenn er etwa die Datenschut­zrichtlini­en der doch bislang als Gegner des Fortschrit­ts ausgemacht­en EU jetzt lobt, wirkt es, als hieße der Überforder­te den rettenden alten Meister willkommen, der einen Bannspruch kennt: die Politik. Ist die entfesselt­e neue Macht zu groß für ihre größten Profiteure? Kann womöglich nur noch wirken, was im Anschluss an den aus den USA stammenden und dann auch von Hollywood verfilmten Bestseller „The Circle“des Autors Dave Eggers diskutiert wurde? Muss die politische Räume und Intimsphär­en zersetzend­e Macht des Silicon Valley etwa durch Zerschlagu­ng der Internetri­esen gestoppt werden? Dorther wirkt ja auch der Verlautbar­ungswettla­uf auf Twitter von Milliardär­en wie Jack Dorsey oder die transhuman­istischen Visionen des Tesla-Milliardär­s Elon Musk.

In Prometheus wie Zauberlehr­ling scheint auf, dass die Vereinnahm­ung der Zukunft durch Technologi­eunternehm­en zum staatliche­n, zum internatio­nal demokratis­chen Verteidigu­ngsfall geworden ist. Und im Kern des Konflikts steht der Freiheitsb­egriff. Das Internet, diese mächtige Idee, zielte ja bereits bei den frühen Visionären als Revolution gegen „elitäre“Institutio­nen wie Politik und Staat – hierarchie­frei, basisdemok­ratisch. Die, die sich die Idee zu eigen gemacht haben, aber formen eine neue, wirtschaft­liche Elite. Und in derer Freiheit geht es nicht um den Bürger, sondern um den Kunden, den sie durch unbegrenzt­e Möglichkei­ten locken. Der Rest ist Angebot und Nachfrage, sind Gesetze des Wachstums. Und das Prinzip: Die Menschen sind halt so. Es spricht den Unternehme­r frei. Die Schäden reguliert die Politik? Für eine bessere Zukunft sorgen ohnehin die Reichen?

Man könnte das asoziale Marktwirts­chaft nennen.

 ?? Archivfoto: Imago ?? Weit überlebens­groß: Aus einem sozialen Außenseite­r wurde durch ein soziales Netzwerk der Milliardär Mark Zuckerberg, hier bei einer Präsentati­on.
Archivfoto: Imago Weit überlebens­groß: Aus einem sozialen Außenseite­r wurde durch ein soziales Netzwerk der Milliardär Mark Zuckerberg, hier bei einer Präsentati­on.

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