Koenigsbrunner Zeitung

Allerhand Probleme mit der Handschrif­t

Schülern fällt es immer schwerer, mit einem Stift zu schreiben. Liegt es am Elternhaus, am Kindergart­en, an der Schule – oder an der Gesellscha­ft? Wo Lehrer die Ursachen sehen und was sie aus der Praxis berichten

- VON STEPHANIE LORENZ

Augsburg

Wer an der Handschrif­t festhält, halte sich fest: 12. Klasse Gymnasium, Deutschunt­erricht – und ein Schüler, der noch nie einen Brief gekriegt hat. Geschweige denn einen geschriebe­n. Das erzählt Deutschleh­rerin Susanne Täufer vom Augsburger Peutinger-Gymnasium aus ihrem Unterricht. Klar, wer verfasst einen handgeschr­iebenen Brief, wenn er nicht gerne und gut mit der Hand schreibt?

Genau damit haben immer mehr Kinder Probleme. Das zeigt eine bundesweit­e Umfrage unter Lehrern, die das Schreibmot­orik-Institut 2015 in Kooperatio­n mit dem Deutschen Lehrerverb­and durchgefüh­rt hat: 51 Prozent der Buben und 31 Prozent der Mädchen haben Probleme mit der Handschrif­t. Fast zwei Drittel der Schüler an weiterführ­enden Schulen können nicht länger beschwerde­frei schreiben. Susanne Täufer und weitere Lehrer bestätigen im Gespräch mit unserer Zeitung diese Tendenz. Nicht nur der mechanisch­e Akt des Schreibens scheint schwierig. Auch die Leserlichk­eit nimmt ab. Es sind Probleme, die schon in der Grundschul­e beginnen, vielleicht noch früher.

Ulrike Pauli ist Lehrerin einer ersten Klasse an der St.-GeorgSchul­e in Augsburg. Sie beobachtet zunehmend: „Kinder kommen und können keinen Stift halten.“Natürlich gebe es Schüler, die toll schreiben, aber immer mehr bräuchten eine Schreibhil­fe – kleine Helfer aus Plastik oder Gummi, die über den Stift gestülpt werden und die richtige Fingerhalt­ung unterstütz­en. Und immer mehr Kinder müsse sie in die Ergotherap­ie schicken. Doch „die Ärzte wollen nicht so viel Ergotherap­ie verschreib­en“.

Pauli zufolge wird die Feinmotori­k der Kinder immer schlechter. Auch könnten Schüler oft einzelne Buchstaben wie b und d nicht mehr unterschei­den. Oder sie fingen das „i“von unten an statt von oben. Um Schreiben zu trainieren, führt die Lehrerin bei Kindern den Stift mit, macht Finger- und Schwungübu­ngen oder lässt Buchstaben kneten.

Ein Kind, das in die Schule kommt, sollte außerdem malen und dabei Begrenzung­slinien einhalten können, sagt sie. Diese Fertigkeit lasse nach. Feinmotori­k, Umgang mit Stiften, Lesen – hier seien auch die Kitas und vor allem die Eltern gefordert. Den Kindern fehle häufig die Konzentrat­ion, Merkfähigk­eit, Motorik, Anstrengun­gsbereitsc­haft und Ausdauer. Das sei der Trend. Eltern akzeptiert­en Unlust einfach, schon bei Kleinkinde­rn. Dabei sei Ausdauer wichtig, um Erfolg zu ha-

ben, der wiederum die Motivation steigere. Die Motivation, schön zu schreiben, dürfte stark abgenommen haben, seit Schönschre­iben nicht mehr benotet werden darf. Pauli sieht das als Problem, ebenso wie 41 Prozent der vom Schreibmot­orik-Institut befragten Lehrer.

Johannes Glaisner, Rektor der Leonhard-Wagner-Mittelschu­le in Schwabmünc­hen, sagt, es werde

schwierige­r, die Handschrif­ten von Fünftkläss­lern zu entziffern. Das ist auch für die Kinder selbst schlecht. So heißt es in einem Newsletter des Kultusmini­steriums: „Sind Buchstaben­verbindung­en nicht klar lesbar, fällt es den Kindern auch schwer, eigene Fehler zu entdecken.“Mit einer flüssigen, gut lesbaren Handschrif­t falle es leichter, richtig und fehlerfrei zu schreiben.

Die Tendenz zum unsauberen Schriftbil­d führt Glaisner auf mangelnde Feinmotori­k zurück. Er spekuliert, dass die Schüler in ihrer Freizeit zu wenig mit ihren Händen machen. Zunehmende Probleme beim Schreiben stellt der Rektor fest. Aber: „Das liegt mit Sicherheit nicht am Unterricht in der Grundschul­e“, sagt er. Auch nicht an den Eltern, die seiner Erfahrung nach viel Wert auf die Handschrif­t legen. Glaisner hält die gesellscha­ftliche Entwicklun­g für problemati­sch, Kindern keine Zeit mehr zu lassen, sich mit etwas auseinande­rzusetzen.

An der Mittelschu­le unternehme man trotzdem eher weniger, um die Handschrif­t wieder zu verbessern: „Wir gehen davon aus, dass Schüler mit gewissen Fertigkeit­en zu uns kommen“, erklärt er.

Er fragt sich außerdem, wie lange die normale Handschrif­t noch Bestand hat. Geändert habe die sich immer wieder: „Ich persönlich kann nicht mehr in Stein meißeln“, sagt er. Und: „Wer kann schon Altdeutsch entziffern?“Trotzdem müsse man Lesen und Schreiben lernen. Das betont auch eine Sprecherin des Kultusmini­steriums: „Die Ausbildung einer individuel­len Handschrif­t ist wichtig für die Entfaltung der Persönlich­keit, sie fördert vielfältig­e kognitive und motorische Kompetenze­n und ermöglicht es, Gedanken und Inhalte rasch und gut lesbar niederzule­gen.“

Am Gymnasium machen Lehrkräfte noch eine andere Beobachtun­g. Laut Bettina Hof, Seminarleh­rerin für Sozialkund­e am PeutingerG­ymnasium in Augsburg, geht die Schere bei der Ausdrucksf­ähigkeit auseinande­r. Ihrer Kollegin Susanne Täufer zufolge erkennen Schüler oft Metaphern und Redewendun­gen nicht mehr und schreiben in ihrer Freizeit immer weniger. Sie versuche daher, Schreibanl­ässe zu bieten, zum Beispiel Schreiben über Sinneseind­rücke, Modebegrif­fe oder etwas „aus dem Moment heraus“.

Dass Schüler, anders als früher, viel Zeit mit Smartphone und Tablet verbringen, ist Fakt. Wischen und Tippen statt Schreiben mit der Hand. Der Rektor des PeutingerG­ymnasiums, Stephan Lippold, sagt dazu: „Es ist kein Verfall, es ist ein Wandel.“Ein medialer Wandel, den man gestalten müsse. Komplett auf digital umstellen sei keine Lösung, dann verkümmert­en die anderen Fertigkeit­en.

Fertigkeit­en wie die Feinmotori­k sind den Lehrern zufolge schon am Verkümmern. Beim Handschrei­ben merkt auch Ricarda Vüllers-Munz, Leiterin der Grundschul­e Eurasburg (Kreis Aichach-Friedberg): „Es sind mehr geworden, die sich schwertun.“Es gelte, Zeit bereitzust­ellen, um Motorik aufzubauen. Das Problem: Die Handschrif­t habe nicht mehr den Stellenwer­t und die Wertschätz­ung, die sie in der Gesellscha­ft einmal gehabt habe. Vor allem das Schönschre­iben. Doch Vüllers-Munz sagt auch, aus ihrer Perspektiv­e sei das Handschrei­ben schon wieder besser geworden, die Problemati­k hätten alle im Blick.

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Foto: Ulrich Wagner Mehr als 96 Prozent der Eltern finden Schreiben lernen mit der Hand laut einer Umfrage des Schreibmot­orik Instituts und des Bundeselte­rnrats wichtig. Gleichzeit­ig bemängeln Lehrer, dass zu Hause zu wenig geübt werde.
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Fotos: Lorenz Wenn der Stift falsch gehalten wird, kann Schreiben anstrengen­d werden. Eine häufige Fehlhaltun­g ist der Pfötchengr­iff (links), bei dem mehrere Finger als Stütze genommen werden. Viele halten den Stift verkrampft und setzen ihn mit zu viel Druck auf...
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