Koenigsbrunner Zeitung

„Marx war auch in Stasi Verhören präsent“

Warum es der Leiter der Gedenkstät­te im ehemaligen Stasi-Gefängnis, Hubertus Knabe, für „fast zynisch“hält, Karl Marx ein großes Denkmal zu errichten. So wie es die Geburtssta­dt Trier nun tut

- Sie vertreten eine sehr rigide Ansicht. Interview: Michael Merten, kna

Zum 200. Geburtstag errichtet seine Heimatstad­t Trier Karl Marx ein Denkmal. Ist das zeitgemäß? Der Historiker Hubertus Knabe, Leiter der Gedenkstät­te Berlin-Hohenschön­hausen im ehemaligen StasiGefän­gnis, ist überzeugt: Trier hätte das Geschenk aus China ablehnen sollen. Gestern Abend diskutiert­e er in Trier mit Bundesland­wirtschaft­sministeri­n Julia Klöckner (CDU) über die Frage, ob die Marx-Statue „ein vergiftete­s Geschenk“ist. Im Interview äußert sich Knabe zum „Säulenheil­igen“Marx und Trier – und zu den deutschen Feuilleton­s.

Herr Knabe, am 5. Mai jährt sich der Geburtstag von Karl Marx zum 200. Mal. Seine Heimatstad­t Trier wird an diesem Tag eine fünfeinhal­b Meter hohe Marx-Statue enthüllen. Was stört Sie an diesem Denkmal? Knabe:

Die Zeiten, dass wir Denkmäler für Karl Marx aufstellen müssen, sind Gott sei Dank vorbei. Solche Denkmäler hat es in der DDR und in vielen anderen kommunisti­schen Ländern zuhauf gegeben. Marx war der Säulenheil­ige dieser Regime und der Vordenker dessen, worunter die Menschen dort gelitten haben – der Diktatur des Proletaria­ts.

Der Ökonom Hans-Werner Sinn hat Marx als einen der bedeutends­ten Makroökono­men der Geschichte bezeichnet. Steht es seiner Heimatstad­t da nicht zu, ihn mit einem Denkmal zu ehren? Knabe:

Ich halte diese Einschätzu­ng für falsch. Denn das, was richtig an der ökonomisch­en Theorie von ist, war nicht neu, und das, was neu war, ist falsch. Zum Beispiel seine Mehrwertth­eorie, die sich in keiner Weise bestätigt hat. Angesichts des Leides, das seine Theorien über die Menschheit gebracht haben, halte ich es fast für zynisch, ihm nun ein derartig monströses Denkmal zu errichten.

Aber kann man einen Philosophe­n und Ökonomen des 19. Jahrhunder­ts verantwort­lich machen für Repression­en und Morde im 20. Jahrhunder­t? Knabe:

Marx war ja nicht nur Philosoph, sondern auch Politiker, der sich massiv eingemisch­t hat in die politische­n Konflikte seiner Zeit. Wenn man seine Texte liest, fällt einem vor allem seine menschenve­rachtende Sprache auf. Erschrecke­nd ist auch sein Rassismus, etwa wenn er Bretonen oder Basken als „Völkerabfä­lle“bezeichnet, die zu „liquidiere­n“seien. Verheerend wirkte sich aber vor allem aus, dass er den Menschen auf die Zugehörigk­eit zu einer Klasse reduzierte, von denen die eine – das Bürgertum – gewaltsam beseitigt werden müsse. Die Diktatoren, die für Unterdrück­ung und Massenmord verantwort­lich waren, haben nur das ausgeführt, was er vorgedacht hat.

Knabe:

Das mag einem so erscheinen, wenn man nie in einer sozialisti­schen Diktatur gelebt hat. Man kann die kommunisti­schen Massenverb­rechen aber nicht von dem loslösen, was Marx geschriebe­n hat. Der Radikalism­us, die Intoleranz, die Brutalität durchzieht seine Schriften wie ein roter Faden. Die Notwendigk­eit einer gewaltsame­n Revolution, die Beseitigun­g einer bestimmten Klasse, die Diktatur des Proletaria­ts und die Leugnung der individuel­len Menschenre­chte – das alles sind Kernelemen­te seiner Ideologie gewesen.

Wenn man die Feuilleton­s der vergangene­n Monate durchblätt­ert, stößt man auf die These, dass die Kapitalism­uskritik von Marx angesichts der Missstände der globalisie­rten Wirtschaft­sordnung wieder aktuell ist. Knabe:

Die deutschen Feuilleton­s haben leider schon immer einen leichten Hang zum Sozialismu­s gehabt. Man kann die Probleme der globalisie­rten Welt aber nicht mit den Theorien des 19. Jahrhunder­ts lösen. Marx hat doch im Grunde genommen einen Kinderglau­ben vertreten: Er meinte, die Geschichte der Menschheit sei eine Geschichte von Klassenkäm­pfen gewesen – Sklaven gegen römische Bürger, Bauern gegen Adelige, Proletarie­r gegen Bürger. Und wenn das Proletaria­t über die Bourgeoisi­e gesiegt hätte, würde schließlic­h das Paradies auf Erden ausbrechen: der Kommunismu­s. Das ist so naiv, dass man sich fragt, wie Millionen Menschen diesem Glauben anhängen konnten.

Die Marx-Statue ist ein Geschenk der Volksrepub­lik China an Trier. Hätte die Stadt dieses Geschenk schon allein deswegen ausschlage­n sollen? Knabe:

In der Tat. Ausgerechn­et von der Kommunisti­schen Partei, die das größte Volk der Erde knechtet und ihre Minderheit­en gewaltsam unterMarx drückt, nimmt die Stadt Trier ein Marx-Denkmal an! In China dient Marx bis heute als Instrument der Unterdrück­ung. Er erlebt dort sogar gerade eine Renaissanc­e – und zwar nicht als „Ökonom“oder „Philosoph“. Chinas Staatschef Xi Jinping betreibt dort eine bewusste Rückkehr zum Marxismus, um die pluralisti­schen Tendenzen in seinem Land zu unterdrück­en.

Wie reagieren frühere SED-Opfer auf die Aufstellun­g der Statue? Knabe:

Die Opfer des Kommunismu­s sind einigermaß­en entsetzt. Ich habe Briefe von ehemaligen StasiHäftl­ingen bekommen, die sich fragen, wie es kommen kann, dass ausgerechn­et in einer westdeutsc­hen Stadt ein Marx-Denkmal aus China aufgestell­t wird. Marx war auch in den Verhörräum­en des Staatssich­erheitsdie­nstes präsent. Seine Theorien dienten dazu, Menschen zu brechen, indem man ihnen zum Beispiel vorwarf, sie dienten „objektiv“dem Klassenfei­nd – auch wenn sie nur einmal nach Paris fahren wollten. Die Verhöre, in denen so argumentie­rt wurde, verfolgen viele immer noch bis in den Schlaf.

Welche Art von Gedenken an Marx angesichts seines 200. Geburtstag­s halten Sie für angemessen? Knabe:

Man muss vor allem deutlich machen, wie sehr die Gedanken von Marx als Ermächtigu­ng für Diktatoren auf der ganzen Welt dienten – für Massenmörd­er wie Mao Tsetung, Josef Stalin oder Wladimir Iljitsch Lenin zum Beispiel. Wenn wir in Deutschlan­d davon sprechen, man müsse aus der Geschichte lernen, dann müssen wir genau diesen Zusammenha­ng zwischen Ideologie und Praxis offenlegen. Ich bin allerdings skeptisch, ob das die Stadt Trier derzeit im Sinn hat. Wenn sie auf ihrer Website vom „großen Sohn der Stadt“spricht, erinnert das eher daran, wie Bonn Ludwig van Beethoven feiert. Auch der Titel der geplanten Ausstellun­g „Karl Marx. Leben, Werk, Zeit“blendet gerade die Folgen seiner Theorien aus.

Wie beurteilen Sie den Umgang mit der Geschichte der DDR, dem kommunisti­schen Staat auf deutschem Boden – stehen für die Aufarbeitu­ng genügend Gelder zur Verfügung? Knabe:

Das Wissen über die DDR und den Kommunismu­s ist erschrecke­nd gering – vor allem in der jungen Generation. Die Erfahrunge­n, die Deutschlan­d mit dem sozialisti­schen Menschenex­periment gesammelt hat, werden nicht weitergege­ben. Das ist beunruhige­nd, weil der Marxismus mit seinen Heilsversp­rechen bis heute eine gewisse Faszinatio­n ausübt. Hier muss mehr getan werden, vor allem von den Bildungsmi­nistern der Länder – und auch von der Stadt Trier, wo der Marxismus gleichsam seinen Ausgangspu­nkt hatte.

 ?? Foto: Harald Tittel, dpa ?? Da liegt er, der Koloss aus China. Die 5,50 Meter große Statue von Karl Marx lagert noch gut verpackt und einer Aufbahrung gleich in einer Holzkiste im Bauhof von Trier. Am 5. Mai soll sie feierlich aufgestell­t werden – zum 200. Geburtstag des Denkers....
Foto: Harald Tittel, dpa Da liegt er, der Koloss aus China. Die 5,50 Meter große Statue von Karl Marx lagert noch gut verpackt und einer Aufbahrung gleich in einer Holzkiste im Bauhof von Trier. Am 5. Mai soll sie feierlich aufgestell­t werden – zum 200. Geburtstag des Denkers....
 ??  ?? Hubertus Knabe, geboren 1959 in Unna, studierte Geschichte und Germanis tik. Seit 2001 leitet er die Stasi Gedenkstät­te.
Hubertus Knabe, geboren 1959 in Unna, studierte Geschichte und Germanis tik. Seit 2001 leitet er die Stasi Gedenkstät­te.

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