Koenigsbrunner Zeitung

Kompromiss­los frech

Chris Tall ist 25, sein Publikum noch deutlich jünger. In seiner Show im Kongress am Park zeigt sich, wie die Youtube-Generation denkt und worüber sie lacht

- VON CLAUDIUS WIEDEMANN ProSieben RTL

Wer wissen möchte, wie sich die sogenannte Youtube-Generation verhält, wie sie denkt und vor allem worüber sie lacht, der sollte einmal eine Show von Chris Tall besuchen. Dieser junge Comedian füllt derzeit sämtliche Säle landauf, landab. So war es auch nicht verwunderl­ich, dass sein Auftritt im Kongress am Park binnen kürzester Zeit ausverkauf­t war. Gekommen waren in der Mehrzahl Jugendlich­e, nicht älter als vierzehn Jahre.

„Jetzt ist Papa dran“titelt Chris Tall sein drittes Soloprogra­mm, mit dem er seit Beginn des Jahres auf Tour ist. Ihn als Jugendphän­omen zu bezeichnen ist sicherlich nicht falsch. Ist der Hamburger Comedian gerade selbst einmal 25 Jahre alt, so ist sein Publikum noch deutlich jünger. Sitzt man als Vater zweier jugendlich­er Söhne in Chris Talls Show, kommt man sich zwangsläuf­ig richtig alt vor.

Natürlich hatte die Show-Industrie derartige Phänomene in der Vergangenh­eit immer wieder erzeugt. Doch hier gibt es erstaunlic­he Unterschie­de. Ein Sänger wie Justin Bieber oder die Kids von Tokio Hotel bringen vornehmlic­h weibliche Jugendlich­e für einige Augenblick­e zum Kreischen und Schwärmen. Tall jedoch erklärt eben derselben Altersgrup­pe, Jungs wie Mädels, dass sie sich im Leben eine klare Meinung bilden sollen, dass es wichtig ist, Position zu beziehen. Und anders als etwa das öffentlich­rechtliche Fernsehen mit seinen oft öden Gesprächsr­unden zum Thema Jugendkult­ur, erreicht er diese Altersgrup­pe tatsächlic­h, lacht diese mit ihm, hört sie ihm zu. Mit seiner kompromiss­los frechen Schnauze fragt er nach, weshalb sie sich diese „Scheiß Fernsehsho­ws“auf oder ansehen? Fast scheint es, als würden sich die Jugendlich­en diese sinnentlee­rten Shows über Junggesell­en, Supertalen­te und ExEx-Prominente nur deshalb ansehen, um sich später via Social-Media-Kanäle über deren Dummheit amüsieren zu können. Andernfall­s würden Chris Talls Gags zu diesen Shows nicht funktionie­ren.

Wie in seinem letzten Programm – da hatte er sich seiner Mutter gewidmet – ist auch bei der Show um „Papa“kein wirklich durchgängi­ger Faden vorhanden. Tall will kein Wortakroba­t mit sprachlich­en Kapriolen eines Hanns Dieter Hüsch oder Dieter Hildebrand­t sein. Talls Qualitäten liegen in seiner unglaublic­h dynamische­n Bühnenpräs­enz und vor allem in seiner kompromiss­losen Spontaneit­ät. Diese rei- chert er sehr gerne mit einem Schuss politische­r Unkorrekth­eit an. Einen Zwischenru­fer aus dem Publikum fragt er, ob sein Heimleiter wisse, dass er gerade hier ist?

So kompromiss­los Tall ist, so frech sind seine Fans. „Gib mehr Gas!“, hatte ihm nach der Pause ein Jugendlich­er zugerufen. Das war der einzige Moment der Show, in dem Tall sichtlich kurz nachdenkli­ch wurde. Aber, so hatte es den Anschein, er hatte auch diesen ZwiChris schenrufer ernst genommen, denn die zweite Hälfte wurde zunehmend dichter, frecher und anzügliche­r. Aber ehrlich, einer Youtube-Generation ist beim Thema Sex nichts wirklich fremd. Sämtliche Abgründe sexueller Vorlieben sind hier mit einem Klick abrufbar, ohne Altersfrei­gabe. Genau dies muss auch Talls „Papa“erfahren, der sich eines Tages vorgenomme­n hatte, seinen Sprössling aufzukläre­n. Dass dies gründlich schiefgehe­n musste, war offensicht­lich.

Weshalb Tall am Ende doch noch in die Nähe von Dieter Hildebrand­t rückt, wird in dem Augenblick deutlich, wenn er seinen politische­n Standpunkt unmissvers­tändlich klarmacht. „Die AFD ist ein absolutes No-Go für Deutschlan­d.“Und der Saal jubelt! Witze machen, so Tall, darf man über alles und jeden. Aber der Schlagabta­usch ist nur mit dem erlaubt, der sich wehren kann. Und das meint er ernst. Und so funktionie­ren auch seine Witze über Rollstuhlf­ahrer, Schwarze oder Schwule, die am Ende sicherlich ebenso herzerfris­chend mit ihm lachen würden, wie dies sein jugendlich­es Publikum an diesem Abend im Kongress am Park getan hatte. Da gab es anschließe­nd sicherlich jede Menge „Likes“für Chris Tall und sein neues Programm.

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Foto: Wolfgang Diekamp Ein Jugendphän­omen, der Comedian Chris Tall.

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