Koenigsbrunner Zeitung

Fast besser als der Zug

Wegen der Elektrifiz­ierung der Bahnstreck­e zwischen Buchloe und Leutkirch nutzen derzeit viele Menschen aus der Region den Schienener­satzverkeh­r. Wieso manch einer den Bus bevorzugt und wo es noch Probleme gibt

- VON LEONIE KÜTHMANN

Fast hätte sie den Bus verpasst. Ohne das Spruchband auf der Anzeigenta­fel, das ihr zufällig ins Auge gestochen ist, würde sie immer noch irgendwo am Zeppelinwe­g stehen. „Das stört mich wirklich am Schienener­satzverkeh­r (SEV): Die Haltestell­en der Busse sind so schlecht ausgeschil­dert“, beschwert sich Katharina Selig. Ganze 15 Minuten hatte die junge Frau aus der Nähe von Krumbach an einer falschen Stelle am Mindelheim­er Bahnhof auf den Bus gewartet.

Dass sie das überhaupt tun muss, liegt an der Elektrifiz­ierung: Zwischen Buchloe und Leutkirch baut die Deutsche Bahn eine Oberleitun­g. Von 23. März bis 10. September fahren deshalb Busse zwischen Buchloe und Memmingen, mal als Expressbus mit Stop in Mindelheim, mal als „Bummelbus“, der auch Türkheim, Rammingen, Stetten und Sontheim ansteuert.

Vorbei an Dorfgastst­ätten, Bolzplätze­n und dem Skyline-Park: Nimmt man von Buchloe nach Mindelheim nicht den Expressbus, führt der Weg nicht über die A96, sondern über die Dörfer. Etwa zehn Minuten länger ist man als SEVPassagi­er unterwegs: „Das stört mich aber eigentlich nicht. Mit dem SEV gab es bisher noch nie ein Problem“, betont Helga Lie. Die Mindelheim­erin sieht das Problem im selben Punkt wie Katharina Selig. Besonders enttäusche­nd findet Letztere, dass man in Zeiten modernster Technik nicht ausreichen­d über die SEV-Haltestell­en informiert wird: „In der App gibt es auch keinerlei Informatio­n, wo sich die Haltestell­e konkret befindet.“

Permanent auf den SEV angewiesen ist keiner der Passagiere, die an diesem Tag gegen halb zehn auf den Bus warten: „Ich fahre über München weiter nach Passau“, erklärt Katharina Selig. Da es eine einmalige Reise ist, empfindet sie den SEV nicht als Belastung.

Ein anderer Tag, am frühen Vormittag. Kein Passagier steigt zu, es sind Ferien. Als ihm das Ticket vor die Nase gehalten wird, sagt der Fahrer nur trocken: „Passt schon!“

Das verwundert auch viele Passagiere, darunter einen Pendler, der sich sonst über den SEV nicht beschweren kann: „Bisher hat alles super geklappt. Man könnte fast sagen, mit dem SEV klappt es besser als mit dem normalen Zug.“Der Mann hat recht. Mehr als zehn Fahrten, und noch nie kam einer der Busse zu spät. Probleme, den Bus nicht zu erwischen? Nur dann, wenn der Zug von Augsburg mal wieder Verspätung hat.

Verspätung – das ist auch oft auf der Bahnstreck­e zwischen Mindelheim und Buchloe das Problem. „Elektrifiz­ierung hin oder her, das Problem, dass es nur ein Gleis auf dieser Strecke gibt, wird dadurch nicht gelöst“, bemängelt der Pendler aus Kaufering. Häufig verspäten sich Züge auf dieser Strecke, weil der – wie es in der Bahndurchs­age so schön heißt – „vorliegend­e Streckenab­schnitt durch einen entgegenko­mmenden Zug gesperrt ist“.

Mittwochvo­rmittag, ein einzelner Mann steht an der Haltestell­e für den Bus nach Buchloe. Er sieht noch ein wenig verloren aus, fährt an diesem Tag aber auch zum ersten Mal mit dem SEV, wie er erklärt. Erhard Walter kommt aus Erkheim und möchte nach dem Stop in Buchloe mit dem Zug weiterfahr­en. Auf die Frage, weshalb er nicht schon in Sontheim in den Bus eingestieg­en sei, antwortet er: „Dort ist doch alles zugenagelt.“

Fahrkarten im Bus zu kaufen, ist nicht möglich, demzufolge muss man sie vorher am Bahnhof erwerben. „Das geht aber momentan nicht. Wie soll ich also da dann den Bus nehmen?“, fragt Erhard Walter. Er sei deshalb mit dem Auto nach Mindelheim gefahren und nutzt den SEV von dort. Auch deshalb, weil am Bahnhof in Sontheim keine Fahrpläne aushängen: „Ich weiß ja nicht einmal, wann der Bus fährt.“

Eine Fahrt nach Sontheim bestätigt die Aussage Walters zunächst: Türen und Fenster sind mit Brettern vernagelt, der Zugang zu den Gleisen ist abgesperrt und – vor allem – es gibt keinen Fahrkarten­automat, geschweige denn Personal. Einem Zettel an der Tür ins Gebäude hinein kann man entnehmen, dass Personal wohl auch in Zukunft hier nicht anzutreffe­n sein wird.

Auf Nachfrage bei der Deutschen Bahn erklärt eine Sprecherin, dass es einen Fahrkarten­automaten gebe, dieser aber nicht am Bahnhofsge­bäude sei. Erneute Fahrt nach Sontheim: Auch das stimmt. Der Fahrkarten­automat befindet sich circa 100 Meter weiter rechts, direkt neben einer Baustelle. Diesen auf Anhieb zu finden ist offenbar nicht nur für Ortsfremde schwer, wie Erhard Walters Erlebnis beweist. Wer sich nicht auskennt, wird aufgrund von Baustellen­zäunen und schweren Geräten nicht davon ausgehen, hier einen Fahrkarten­automaten zu finden, wenn schon am Bahnhofsge­bäude keiner ist.

Seitlich vor dem Bahnhof steht ein Haltestell­enschild, unter dem ein SEV-Schild hängt. Zumindest die Haltestell­e scheint man hier schnell zu finden. Ein Blick auf das SEV-Schild offenbart jedoch: Hier hält der Bus nicht, sondern 200 Meter weiter, an der Kreuzung zur Salzstraße.

Thomas Kaiser hat kein Problem, die Haltestell­en zu finden: Er pendelt regelmäßig von Augsburg nach Memmingen und weiß, wo die Busse halten. „Ich glaube aber, dass das gerade die Leute, die nicht regelmäßig mit der Bahn fahren, verwirrt.“Der hauptberuf­liche Klavierleh­rer pendelt zweimal pro Woche und braucht mit dem Schienener­satzverkeh­r zwei Stunden für die Fahrt zur Arbeit – normalerwe­ise ist es etwas über eine Stunde. „Das stört mich aber nicht. Schließlic­h hat das auch Vorteile: Man kann lesen oder schlafen.“

Mit dem SEV klarkommen – das müssen nicht nur die Passagiere, sondern auch die Busfahrer: Donnerstag­abend, der Bus von Memmingen nach Mindelheim hat eine Panne. Davon wissen die Reisenden, die in Mindelheim warten, allerdings noch nichts. Etwas schneller als erlaubt fährt der Bus vor, 15 Minuten nach der geplanten Abfahrtsze­it, und hält auch noch auf der falschen Seite. Es wird klar: Irgendetwa­s stimmt hier nicht. Fünf Minuten im Bus, der weiterhin um die Kurven braust, und die Situation ist klar: Der Fahrer des Ersatzbuss­es ist spontan eingesprun­gen, kennt sich aber im Gebiet rund um Mindelheim nicht aus. Wie also nach Buchloe kommen und dabei noch die Pflichthal­testellen Rammingen und Türkheim anfahren? Hilfe naht in Gestalt einer engagierte­n Reisenden: Sie leitet den Fahrer mithilfe von Google Maps und Ortskenntn­is bis nach Türkheim, ab da übernimmt ihr Sitznachba­r. In Buchloe angekommen stellt sich heraus: Dank des flotten Fahrstils des Busfahrers ist es mit einer kurzen Sprinteinl­age sogar noch möglich, den Anschlussz­ug zu erwischen. Die ursprüngli­chen 15 Minuten Verspätung sind vergessen, die Stimmung unter den Passagiere­n ist gut.

Auch für Thomas Kaiser ist das Fahren mit dem SEV lediglich eine Sache der Einstellun­g: „Es gibt Menschen, die mit allem hadern, die haben dann natürlich auch ein Problem mit dem SEV.“Er selbst hätte nur einen Verbesseru­ngsvorschl­ag: Die Helfer der Deutschen Bahn, die vor den Bussen die Leute „einsammeln“, sollten schon unten in der Bahnhofsun­terführung in Buchloe stehen und den Gästen den Weg weisen zu können, damit niemand mehr 15 Minuten an der falschen Stelle wartet.

 ?? Foto: Leonie Küthmann ?? Bus statt Bahn heißt es seit einigen Wochen zwischen Buchloe und Memmingen. Weil die Bahnstreck­e elektrifiz­iert wird, können dort bis zum Herbst keine Züge fahren. Doch der Schienener­satzverkeh­r mit dem Bus läuft offenbar recht reibungslo­s – wenn man...
Foto: Leonie Küthmann Bus statt Bahn heißt es seit einigen Wochen zwischen Buchloe und Memmingen. Weil die Bahnstreck­e elektrifiz­iert wird, können dort bis zum Herbst keine Züge fahren. Doch der Schienener­satzverkeh­r mit dem Bus läuft offenbar recht reibungslo­s – wenn man...

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