Zum „Internationalen Tag der Pressefreiheit“
Georg Baselitz malt und sagt, was er denkt. Damit eckt er an. Und damit steht er auch für die Meinungs- und Kunstfreiheit
Vor 25 Jahren legten die Vereinten Nationen den 3. Mai als „Internationalen Tag der Pressefreiheit“fest. Nicht als Feiertag, sondern als jährlichen Anlass zur Überprüfung und des Mahnens. Zu diesem Datum veröffentlicht darum die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ihren Bericht, wie es wirklich um die Freiheit der Presse steht: eine Rangliste mit 180 Staaten, die 2018 wieder von den skandinavischen Ländern als Beste angeführt wird – diesmal steht Norwegen vor Schweden – und an deren Ende Turkmenistan, Eritrea und Nordkorea stehen. Bedenkliche Entwicklungen aber gibt es auch in Europa. Mehr dazu, eine Weltkarte und vor allem eine Betrachtung zu den Problemen in Deutschland lesen Sie im Feuil
leton. Und zum 3. Mai drucken Zeitungen als Zeichen des Zusammenstehens ein für diesen Anlass ausgewähltes Werk eines großen Künstlers auf ihrer ersten Seite. Diesmal ist es „Frau am Abgrund“von Georg Baselitz. Zum Bild, das sich auf ein berühmtes Werk von Caspar David Friedrich (deshalb die Initialen C.D.F. unten rechts) mit dem Titel „Frau mit Raben am Abgrund“bezieht – ein tief melancholisches, urdeutsches Motiv aus der europäischen Kunstgeschichte –, sagt der kürzlich 80 Jahre gewordene Baselitz frei zum jetzigen Anlass assoziiert: „Presse und Kunst gehören nicht in die Obhut des Staates. Wer anderes propagiert, manövriert die freie Gesellschaft ins Verderben.“Ein Porträt lesen Sie auf Seite 2.
Wenn einer heute noch scharfe Ecken und Kanten zeigt unter den Künstlern einer Gesellschaft, die sich vermeintlicher und wirklicher politischer Korrektheit verschrieben hat, dann er: Georg Baselitz, Maler, Grafiker, Bildhauer. Mit seiner Meinung hält er kaum hinter dem Berg – und im Kunstbetrieb war und ist er ein verlässlicher Störfaktor von erheblichem Widerspruchsgeist. Als Hans-Georg Kern 1938 in Deutschbaselitz (Oberlausitz) geboren – Ursprung seines Künstlernamens –, füllt er kernig die Rolle eines Souveräns aus – sowohl in dessen bedenklicher wie in dessen verehrungswürdiger Ausprägung. Mal spricht der Absolutist aus ihm, öfter, erfreulicherweise, der erfrischend kritisch reflektierende Freigeist.
Sicherlich haben Reputation und Popularität geholfen, dass Baselitz jetzt den Ruf zum künstlerischen Botschafter des heutigen Internationalen Tags der Pressefreiheit erhielt – zurzeit rangiert er auf Platz vier der einflussreichsten Künstler weltweit –, aber entscheidend für die Ehre war wohl anderes. Hier lebt ein Haudegen seit Jahren vor, was Presseund Kunst- und Meinungsfreiheit bedeuten; das starke Anecken, die sonderliche Sicht aus der individuellen Perspektive sehr wohl einbegriffen, und zwar nicht aus Geltungssucht heraus, sondern aus persönlicher Überzeugung.
So stellte Baselitz im wörtlichen Sinn eines eigentlich sprachlichen Bildes vieles tatsächlich auf den Kopf. Zunächst, ab 1969, seine Kunst, indem er sie wie das Abbild einer Camera obscura umgekehrt malte („Der Wald auf dem Kopf“, stürzender „Adler“); später dann aber auch so manchen Blick auf die Welt. Zu den gern zitierten barock-wunderlichen Äußerungen des ehemaligen Karlsruher und Berliner Kunsthochschul-Professors gehören die Worte: „Frauen malen nicht so gut. Das ist ein Fakt“(2013).
Solche kategorischen Urteile zu fällen, muss gewiss ebenso zur Presse- und Meinungsfreiheit gehören wie das argumentative Widerlegen in der Folge. Nein, Besonnenheit und Vernunft sind nicht fest verankert im Naturell des künstlerischen Kraftpakets Baselitz – worauf er auch beharrt: „Ich bin unvernünftig und bleibe dabei“, erklärte er noch anlässlich seines 80. Geburtstages. Und: Er misstraue weiterhin denen, „die vorschreiben, was oben und unten, was rechts und links ist“.
Aus diesem Misstrauen heraus kann Baselitz seinen internationalen künstlerischen Erfolg, der – große Ausnahme im Kunstbetrieb! – noch einen Altersqualitätsschub erhielt, durchaus ableiten. Indem er die Welt auf den Kopf stellte, ging er einen Sonderweg zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion – und lenkte den Betrachterblick weg vom Motiv auf die Darstellungsweise.
Nach langen Jahren des Lebens und Arbeitens auf Schloss Derneburg bei Hildesheim, später am Ammersee, wohnt Baselitz heute auch in Salzburg.