Sie warten auf den großen Aufbruch
Beim Treffen des DGB in Königsbrunn sagt Wolfgang Peitzsch, was ihm im Regierungsprogramm alles fehlt
Königsbrunn Bei der traditionellen Maifeier des DGB-Ortskartells Königsbrunn sprach DGB-Sekretär und Vorsitzender des DGB-Kreises Donau-Ries, Wolfgang Peitzsch, zum diesjährigen Motto „Solidarität, Vielfalt und Gerechtigkeit“. In seinem 35-minütigen Vortrag sprach er über die aus Gewerkschaftssicht (be-)drängenden Probleme in Deutschland wie Wohnungsnot, Pflegenotstand, Rentensicherung sowie den notwendigen Kurswechsel in der Europapolitik, weg von der Sparpolitik und Deregulierung zu einem sozialen Europa und Investitionen.
Peitzsch betonte, dass die Gewerkschaften große Hoffnung in die jetzige Bundesregierung setzen würden, nicht zuletzt, weil im Koalitionsvertrag eigene Forderungen verankert seien. Man habe gekämpft für die Rückkehr zur paritätischen Krankenversicherung, für mehr Attraktivität der Pflegeberufe, für die Stabilisierung des Rentenniveaus sowie die Aufgabe des Kooperationsverbotes, sodass Bund und Länder wieder gemeinsam Verantwortung übernehmen würden.
Der Gewerkschaftssekretär unterstrich jedoch auch, dass dies alles noch nicht ausreiche für den großen Aufbruch und hin zu echter sozialer Gerechtigkeit, die notwendig sei, um Spaltung zu verhindern. Befristete Arbeitsverträge und Leiharbeit seien immer mehr an der Tagesordnung und führten zu Unzufriedenheit und Unruhe. Der Gewerkschaftler forderte: „Sachgrundlose Befristungen und Kettenbefristungen gehören ohne Wenn und Aber abgeschafft.“Ein „Weiter so“könne sich Deutschland nicht leisten.
Solidarische Politik und die Förderung der Vielfalt müsse sichtbar werden. Viele Menschen spürten die ungerechte Verteilung und machten sich Sorgen über die Chancen ihrer Kinder und die eigene Alterssicherung. Bei boomender Wirtschaft und soliden Staatsfinanzen hätten sie das Gefühl, im Stich gelassen zu werden. Peitzsch warnte vor dem zunehmenden Rechtspopulismus, der diese Stimmung in rassistischen Parolen und nationalistischen Ressentiments aufgreife.
Die Gewerkschaften erwarteten von der Bundesregierung die entschlossene Politik für Zusammenhalt und Solidarität, die sich aber konkret für die Arbeitnehmer positiv auswirken müsste. Dabei klagte er vor allem auch das Phänomen der Tarifflucht an, was seitens der Arbeitgeber durch Umstrukturierung der Firma oder Wechsel in einen Arbeitgeberverband ohne Tarifbindung die Belegschaft immer stärker unter Druck brächte.
Bei der anschließenden Diskussion beteiligten sich viele der Anwesenden mit konkreten Beispielen aus der Arbeitswelt oder mit Vorschlägen auch zur Minderung der Wohnungsnot. Karl Nerb griff in der Aussprache die Problematik der Spartentarife auf. Seine generelle Forderung: Politiker sollten ihrer Verantwortung besser nachkommen. Seine Erfahrung: „Keiner traut sich doch zu sagen, was moralisch nicht mehr in Ordnung ist.“Bürgermeister Franz Feigl bestätigte zuvor die Problematik in der Pflege: „Der Pflegenotstand ist mitten unter uns in aller Härte angekommen.“Er berichtete von einen aktuellen Fall, bei dem für einen aus dem Krankenhaus Entlassenen kein notwendiger ambulanter Pflegedienst aufzutreiben gewesen sei. Die meisten saßen noch lange zusammen, und es kam der Wunsch auf, dass man in der Bürgerschaft einen solchen Austausch über sozialpolitische Probleme regelmäßiger stattfinden lassen sollte.