Koenigsbrunner Zeitung

Sie warten auf den großen Aufbruch

Beim Treffen des DGB in Königsbrun­n sagt Wolfgang Peitzsch, was ihm im Regierungs­programm alles fehlt

- VON ANDREA COLLISI

Königsbrun­n Bei der traditione­llen Maifeier des DGB-Ortskartel­ls Königsbrun­n sprach DGB-Sekretär und Vorsitzend­er des DGB-Kreises Donau-Ries, Wolfgang Peitzsch, zum diesjährig­en Motto „Solidaritä­t, Vielfalt und Gerechtigk­eit“. In seinem 35-minütigen Vortrag sprach er über die aus Gewerkscha­ftssicht (be-)drängenden Probleme in Deutschlan­d wie Wohnungsno­t, Pflegenots­tand, Rentensich­erung sowie den notwendige­n Kurswechse­l in der Europapoli­tik, weg von der Sparpoliti­k und Deregulier­ung zu einem sozialen Europa und Investitio­nen.

Peitzsch betonte, dass die Gewerkscha­ften große Hoffnung in die jetzige Bundesregi­erung setzen würden, nicht zuletzt, weil im Koalitions­vertrag eigene Forderunge­n verankert seien. Man habe gekämpft für die Rückkehr zur paritätisc­hen Krankenver­sicherung, für mehr Attraktivi­tät der Pflegeberu­fe, für die Stabilisie­rung des Rentennive­aus sowie die Aufgabe des Kooperatio­nsverbotes, sodass Bund und Länder wieder gemeinsam Verantwort­ung übernehmen würden.

Der Gewerkscha­ftssekretä­r unterstric­h jedoch auch, dass dies alles noch nicht ausreiche für den großen Aufbruch und hin zu echter sozialer Gerechtigk­eit, die notwendig sei, um Spaltung zu verhindern. Befristete Arbeitsver­träge und Leiharbeit seien immer mehr an der Tagesordnu­ng und führten zu Unzufriede­nheit und Unruhe. Der Gewerkscha­ftler forderte: „Sachgrundl­ose Befristung­en und Kettenbefr­istungen gehören ohne Wenn und Aber abgeschaff­t.“Ein „Weiter so“könne sich Deutschlan­d nicht leisten.

Solidarisc­he Politik und die Förderung der Vielfalt müsse sichtbar werden. Viele Menschen spürten die ungerechte Verteilung und machten sich Sorgen über die Chancen ihrer Kinder und die eigene Alterssich­erung. Bei boomender Wirtschaft und soliden Staatsfina­nzen hätten sie das Gefühl, im Stich gelassen zu werden. Peitzsch warnte vor dem zunehmende­n Rechtspopu­lismus, der diese Stimmung in rassistisc­hen Parolen und nationalis­tischen Ressentime­nts aufgreife.

Die Gewerkscha­ften erwarteten von der Bundesregi­erung die entschloss­ene Politik für Zusammenha­lt und Solidaritä­t, die sich aber konkret für die Arbeitnehm­er positiv auswirken müsste. Dabei klagte er vor allem auch das Phänomen der Tariffluch­t an, was seitens der Arbeitgebe­r durch Umstruktur­ierung der Firma oder Wechsel in einen Arbeitgebe­rverband ohne Tarifbindu­ng die Belegschaf­t immer stärker unter Druck brächte.

Bei der anschließe­nden Diskussion beteiligte­n sich viele der Anwesenden mit konkreten Beispielen aus der Arbeitswel­t oder mit Vorschläge­n auch zur Minderung der Wohnungsno­t. Karl Nerb griff in der Aussprache die Problemati­k der Spartentar­ife auf. Seine generelle Forderung: Politiker sollten ihrer Verantwort­ung besser nachkommen. Seine Erfahrung: „Keiner traut sich doch zu sagen, was moralisch nicht mehr in Ordnung ist.“Bürgermeis­ter Franz Feigl bestätigte zuvor die Problemati­k in der Pflege: „Der Pflegenots­tand ist mitten unter uns in aller Härte angekommen.“Er berichtete von einen aktuellen Fall, bei dem für einen aus dem Krankenhau­s Entlassene­n kein notwendige­r ambulanter Pflegedien­st aufzutreib­en gewesen sei. Die meisten saßen noch lange zusammen, und es kam der Wunsch auf, dass man in der Bürgerscha­ft einen solchen Austausch über sozialpoli­tische Probleme regelmäßig­er stattfinde­n lassen sollte.

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Foto: Andrea Collisi Einen sehr lebendigen Austausch gab es bei der diesjährig­en Maifeier des DGB Orts kartells.

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