Das Wort verwandelt das Herz
Christian Nürnberger hielt die Theaterpredigt
Ist es möglich, nur durchs Erzählen von Geschichten ein blutrünstiges Monster zu zähmen? Der Publizist und Jugendbuchautor Christian Nürnberger hält es für möglich. Seit seiner Kindheit weiß er es, seit seine Mutter ihm aus der Bibel erzählt hat und Jesus („Er muss alles sehen, damit er auf dich aufpassen kann“) sein mächtiger Übervater wurde. Mit solchen positiven Erfahrungen war Nürnberger geradezu die Idealbesetzung für eine Theaterpredigt über „Das Spiel der Schahrazad“, die er am Sonntag von der Kanzel in St. Anna herab hielt. Mit 70, 80 Zuhörern war sein Publikum allerdings kleiner als bisher in dieser Reihe.
Entsetzlich ist der Rahmen für die Märchen aus 1001 Nacht, der in der neuesten Produktion des Theaters Augsburg inszeniert wird. Nacht für Nacht vergewaltigt Sultan Schahriyar schweigend eine Jungfrau und lässt sie dann sofort hinrichten. Er glaubt, so die Ehre seines Vaters zu rächen, dem die Frau untreu wurde. „Da sehen wir, wohin Sprachlosigkeit führt“, deutete Nürnberger das Geschehen. Der Herrscher ist durch Lügen zum Mörder geworden – und keiner klärt ihn auf, denn alle stützen in ihrer Furcht das Wahnsinnssystem. Erst als Schahrazad den Unhold aufsucht, wird gesprochen. Die selbstbewusste junge Frau sei ihm voraus, weil sie viel liest – „während die nicht lesenden Männer glauben, durch Herumreisen die Welt aus eigenen Anschauung zu kennen“.
Theaterprediger Nürnberger gelangte damit zu seinem zweiten großen Thema: der Emanzipation der Frau, für ihn „das größte neuere Ereignis der Weltgeschichte“. „Es ist ein herbei erzähltes Ereignis“, sagte er – genauso wie die Befreiung der israelitischen Sklaven aus Ägyptens Bedrückung. Unkonventionell ironisch und fast ohne den lieben Gott durchmaß der Publizist auf der Kanzel 3000 Jahre Weltgeschichte und Wachsen der Erkenntnis, dass alle Menschen frei und gleich in der Würde seien. Charmant weltlich erzählte Nürnberger die Bibel samt dem Auftreten des Wanderpredigers Jesus, der die Kranken allein durch sein Wort heilt und verkündet, dass auch die Heiden und sogar die Frauen gleich vor Gott sind. Und lustvoll verlängerte Christian Nürnberger diese Reihe um die Bayern und die Franken, um die CSUGranden und die Asylsuchenden.
Bewirken Worte noch immer etwas – wie einstmals Luthers Worte? „Wir müssen die Leute dazu bringen, dass sie wieder lesen und das gute Wort zu ihrem Wort machen“, forderte der Prediger. Bei Kindern gebe es eine ganz einfache Methode: die tägliche Gute-Nacht-Geschichte. Nürnberger nennt sie wertvolles „Hirnfutter“, das Charakter und Persönlichkeit nährt. Hingerissen wie das Publikum waren von dieser Vision auch die beiden Stadtdekane Susanne Kasch und Helmut Haug. Und betört von Sängerin Öykü Sensöz zur Laute von Seref Dalyanoglu.