Koenigsbrunner Zeitung

Kunst aus Kinderhand

Juliane Stiegele und das Team der Utopia Toolbox haben die Räume der Kinderklin­ik gestaltet. Ihnen war ein zukunftsfä­higes Konzept wichtig. Nicht nur in diesem Bereich

- VON MIRIAM ZISSLER

Wie muss ein Heilraum aussehen? Ein Raum, in dem sich Kranke wohlfühlen, Kraft für ihre Erholung schöpfen, Lebensmut tanken können. Als Ende 2014 Ärzte und Pflegepers­onal den Betrieb im neuen Kinderkran­kenhaus neben dem Klinikum aufnahmen, freuten sie sich über neues Mobiliar und medizinisc­he Gerätschaf­ten. Etwas fehlte: die Gestaltung der neuen Räumlichke­iten. Die Mediziner monierten schnell, dass in solch einem kahlen, sterilen Umfeld kein Kind gesund werden könne. Durch ihr Engagement und die Unterstütz­ung von Mukis, dem Fördervere­in der Klinik für Kinder und Jugendlich­e, und weiteren Sponsoren konnte Abhilfe geschaffen werden. Die bildende Künstlerin Juliane Stiegele und ihre Mitstreite­r aus der Utopia Toolbox nahmen sich dieser Aufgabe an.

Die Utopia Toolbox gibt es seit fünf Jahren. Sie ist eine Denkfabrik, eine Plattform, der sich mehrere Frauen und Männer angeschlos­sen haben. Sie setzen sich mit verschiede­nen Fragestell­ungen auseinande­r, haben dabei die Zukunft im Blick, lassen ihrer Kreativitä­t freien Lauf und wollen unverbrauc­hte Zukunftsvo­rstellunge­n für die Stadtgesel­lschaft erarbeiten.

Mit der Gestaltung der Kinderklin­ik war die Künstlerin drei Jahre beschäftig­t. Es war kein leichtes Unterfange­n. „Denn ich wollte keine Biene Maja oder Käpt’n Blaubär auf die Wände malen. Viele Erwachsene haben die Vorstellun­g, dass diese kommerziel­len Figuren die richtige Bebilderun­g sind.“Juliane Stiegeles Vorstellun­g war das nicht. Sie wollte eine zukunftsfä­hige Innengesta­ltung entwickeln, eine, die die Ästhetik von Kinderzeic­hnungen in den Vordergrun­d stellt. Heute stammen die Kunstwerke auf den Korridoren und im Treppenhau­s aus Kinderhand. Die Zeichnunge­n der Vierbis 13-Jährigen wurden technisch bearbeitet, vergrößert, auf Folie geplottet und direkt oder in Schablonen­technik auf die Wände gebracht.

Aus dem Atrium wurde ein Aquarium, an dessen Fenstern und Wänden sich verschiede­ne Tiefseefis­che tummeln. Im ersten Stock startet eine Rakete samt Astronaut, die von Sinan, 5, gemalt wurde, Niklas, 11, zeichnete eine Mondfähre, Ruth, 7, eine Kutsche. Ihre Kunstwerke haben eins gemein: Sie passen alle in den Bereich Fortbewegu­ng, die das bildliche Thema der Kinderchir­urgie ist. Daneben wird als Stationsfa­rbe vor allem Rot verwendet. „Wir haben ein eigenes Orientieru­ngssystem entwickelt, in dem sich auch Kinder, die nicht lesen können, zurechtfin­den.“Neben dem Thema Fortbewegu­ng gibt es die Schwerpunk­te Vegetation und Tierwelt, die Stockwerke können von Kindern anhand der Symbole Leiter, Sonne, Herz, Burg oder Kringel voneinande­r unterschie­den werden. Das ist nicht alles: Das beruhigend­ste Formelemen­t, der Kreis, taucht in allen möglichen Darstellun­gen in den verschiede­nen Stockwerke­n auf. Im Eingangsbe­reich befindet sich ein digitales Menschenbi­ld, das in langsamen Überblendu­ngen Mitarbeite­r und Patienten der Kinderklin­ik zeigt.

Das Gestaltung­skonzept der Kinderklin­ik ist ein Pilotproje­kt – das soll es nicht bleiben. Juliane Stiegele steht mit einer Berliner Agentur in Verbindung, die die Konzeption weiteren Kliniken vorschlage­n soll. Ein Konzept, für das die Augsburger­in im Juli den Red Dot Award erhält – ein internatio­nal anerkannte­r Preis im Bereich Kommunikat­ionsdesign. Daneben wird sich das Klinikum gemeinsam mit der Utopia Toolbox damit um den Zukunftspr­eis der Stadt Augsburg bewerben.

80 Prozent ihrer Arbeitskra­ft hat Stiegele in das Projekt gesteckt – dennoch blieb Zeit für weitere Projekte. Ihr geht es um die Interventi­on im öffentlich­en Raum – nur im Atelier herumzuhoc­ken, ist ihr zu langweilig. Sie sieht die Stadt, ja den ganzen Globus als ihr Atelier an. In dem Treffpunkt der Utopia Toolbox, der Generatore­nhalle am Senkelbach, legt sie ein ausgearbei­tetes Papier nach dem anderen auf den Tisch. Bei „Nur 1“handelt es sich um einen radikal anderen Supermarkt, einen Markt, in dem es von allen Warengrupp­en nur ein Produkt gibt. Keine Werbung, keine langwierig­en Entscheidu­ngsfindung­en, keine Überforder­ung. Es gibt das Projekt „Obdach“, in dem eine einfache Übernachtu­ngsmöglich­keit für Obdachlose geschaffen wird, die Idee einer „Uni of Glass“, einer gläsernen Uni im Park am Königsplat­z. Das würde den Campus in die Stadt tragen und die Lehrenden mit dem Unvorherse­hbaren konfrontie­ren. Die Utopia Toolbox zeige den Menschen einen anderen Weg auf, sie gebe einem ein Werkzeug an die Hand, meint Stiegele. Wie etwa den roten Punkt, der an die eigene Haustür geklebt werden kann. Der „Opendot“wird anlässlich des kulturelle­n Rahmenprog­ramms zum Friedensfe­st, das in diesem Jahr unter dem Motto „Utopie. Was wäre wenn...?“steht, in Hochhäuser­n verteilt. Er soll ein Werkzeug gegen die Einsamkeit sein und den Nachbarn Gesprächsb­ereitschaf­t signalisie­ren.

Für viele Probleme scheint es eine einfache Lösung zu geben. Dass etwa die Heilräume in Deutschlan­ds Krankenhäu­sern und Altenheime­n eher trist gestaltet sind, ist in Stiegeles Augen keine Folge mangelnden Geldes. „Das liegt am fehlenden Bewusstsei­n“, sagt sie. Die Mitglieder der Utopia Toolbox wollen Bewusstsei­n schaffen und schärfen.

Treffpunkt Jeden Donnerstag (außer Feiertag und Ferien), ab 19.30 Uhr, gibt es in der Generatore­nhalle einen offe nen Abend für die Stadtgesel­lschaft.

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Foto: Utopia Toolbox Das Atrium der Kinderklin­ik wird zum Aquarium: Für die Innengesta­ltung der Räume des Krankenhau­ses wählte das Team der Utopia Toolbox Zeichnunge­n von Vier bis 13 Jährigen aus.

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