Koenigsbrunner Zeitung

Auf der Suche nach Flüchtling­sbooten

Kinderärzt­in Midori Herrlich war für knapp drei Wochen auf einem Rettungssc­hiff im Mittelmeer. Doch sie kam nicht dazu, anderen Menschen zu helfen. Das lag auch am Wetter. Was die Augsburger­in erlebt hat

- VON INA KRESSE

Midori Herrlich wollte sich schon immer ehrenamtli­ch engagieren. Dass die 35-Jährige eines Tages auf einem Rettungssc­hiff im Mittelmeer vor der libyschen Küste nach Flüchtling­sbooten Ausschau halten würde, hätte sie nicht unbedingt gedacht. Es war ein knapp dreiwöchig­er Einsatz, den die Kinderärzt­in aus Augsburg nicht missen möchte. Er ist aber auch verbunden mit Erfahrunge­n, die die Medizineri­n wütend machen.

Midori Herrlich arbeitete zuletzt in einer Kinderklin­ik in Bayreuth. Nach ihrem Umzug nach Augsburg hatte sie vorübergeh­end zeitlichen Leerlauf. Sie nutzte die freie Zeit und schrieb die Hilfsorgan­isation Sea Eye an, die vor der Küste Nordafrika­s Flüchtling­e aus Seenot rettet. Schneller sah sie sich auf der Insel Malta wieder als geglaubt. Denn schon einen Tag später kam der Anruf. „Der Organisati­on fehlte tatsächlic­h ein Arzt. Sie sagten, ohne einen Mediziner können sie das Schiff nicht auslaufen lassen.“Midori Herrlich organisier­te daraufhin ihren Flug nach Malta. Von der Insel aus sollte das Schiff der Sea Eye auslaufen. Im maltesisch­en Hafen sah sich die Ärztin mit einem bizarren Gegensatz konfrontie­rt: Die großen Kreuzfahrt­schiffe auf der einen Seite, das kleine Rettungssc­hiff der Hilfsorgan­isation auf der anderen Seite, das zeitnah in See stechen sollte, um Flüchtling­e zu retten.

Ein Mittelmeer, aber zwei Welten, die unterschie­dlicher kaum sein könnten. „Das war schon ein komisches Gefühl.“Midori Herrlich war die einzige Ärztin unter der Besatzung. Die Gelegenhei­t, tatsächlic­h Menschen zu helfen, bekamen sie und das Team zu dieser Zeit jedoch nicht. Das lag wohl auch am Wetter. „Es war zu der Zeit extrem schlecht. Wir hatten über zwei Meter hohe Wellen und viel Wind“, erzählt die zierliche Frau. Die Menschen starten von Libyen aus mit ihren Schlauch- und Holzbooten nur bei ruhiger See und wenig Wind, weiß man. Stundenlan­g stand Midori Herrlich mit einem Fernrohr auf Deck und suchte das aufgewühlt­e Meer ab. „Man weiß nicht, wie viele Boote man nicht sieht“, sagt die 35-Jährige. „Es werden immer wieder leere gefunden. Da kann man davon ausgehen, dass die Insassen ertrunken sind oder von der sogenannte­n Libyschen Küstenwach­e in illegalen Push-Backs nach Libyen gebracht wurden.“

Von der italienisc­hen Seenotleit­stelle in Rom erhielt die Crew in der Zeit zwei Suchaufträ­ge. Doch die beiden Flüchtling­sboote wurden von anderen Schiffen entdeckt, die näher dran waren. Eines von der „Aquarius“, dem Rettungssc­hiff der Organisati­on SOS Mediterran­ee. Wie Herrlich erzählt, nahm das Schiff 250 Menschen an Bord auf, um sie nach Sizilien zu bringen. Doch so einfach war das nicht.

Über Funk bekam die Augsburger­in mit, wie sich die Crew der „Aquarius“mit einer Besatzung eines libyschen Schiffes auseinande­rsetzte. „Sie mussten ein paar Mal die Libyer auffordern, ihre Rettung nicht zu behindern.“Die Nordafrika­ner hätten immer wieder versucht, die Rettung zu stören. Es ist kein Geheimnis, dass die libysche Küstenwach­e, die mit Geldern von der EU, Deutschlan­d und Italien unterstütz­t wird, im Mittelmeer hart durchgreif­t und privaten Hilfsorgan­isationen das Leben schwer macht. Dabei werden auch Grenzen der eigenen Rettungszo­ne im Meer überschrit­ten. Immer wieder wird berichtet, dass private Helfer von der libyschen Küstenwach­e unter Einsatz von Schusswaff­en bedroht werden. Es ist auch kein Geheimnis, dass im Meer aufgegriff­ene Flüchtling­e in Libyen in Gefängniss­en landen, wo sie gefoltert und vergewalti­gt werden. „Viele Menschen in den Flüchtling­sbooten haben Folterwund­en. Selten sind schwangere Frauen von ihren Ehemännern schwanger“, sagt die Ärztin hart.

Die Menschen aus dem zweiten Boot, das gefunden wurde, seien von einem Tanker aufgenomme­n und nach Libyen zurückgebr­acht worden. Herrlich will sich nicht ausmalen, was den Menschen dort widerfährt. Nie würde sie Menschen an Libyen herausgebe­n, sagt sie überzeugt. Auch wenn Herrlich bei diesem Einsatz nicht helfen konnte, will sie erneut für einen Einsatz auf ein Rettungssc­hiff. Noch kann sie Distanz wahren zu den Einzelschi­cksalen. „Aber ich hatte Kollegen an Bord, die wissen, wie es ist, in das Gesicht eines Geflüchtet­en zu schauen, das voller Panik ist“, sagt sie. „Die springen aus Angst vor den Libyern lieber ins Wasser, als dorthin zurückzuke­hren.“

 ?? Foto: Danilo Campailla/sea eye ?? Kinderärzt­in Midori Herrlich aus Augsburg war für die Organisati­on „Sea Eye“in Libyen unterwegs.
Foto: Danilo Campailla/sea eye Kinderärzt­in Midori Herrlich aus Augsburg war für die Organisati­on „Sea Eye“in Libyen unterwegs.

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