Koenigsbrunner Zeitung

Wo Sinti und Roma ihre letzte Ruhe finden

Auf dem Nordfriedh­of befinden sich monumental­e Gräber der Volksgrupp­e. Eine Gedenktafe­l will jetzt sichtbar machen, welches Unrecht den Familien während des Naziregime­s widerfuhr

- VON ANDREA BAUMANN

Manche Trauernde werfen vielleicht nur einen kurzen Blick auf die in Stein gemeißelte Inschrift. Für andere Besucher des Nordfriedh­ofs ist die Tafel, die jetzt vor der Leichenhal­le angebracht ist, von großer Bedeutung: Darauf wird der Augsburger Sinti und Roma gedacht, die Opfer des Nationalso­zialismus geworden sind. Die Tafel geht auf eine Initiative des Regionalve­rbands der Sinti und Roma und seiner Sprecherin Marcella Reinhardt zurück.

Der Vater der gebürtigen Augsburger­in musste im Krieg Zwangsarbe­it leisten, ihr Großvater wurde in Auschwitz ermordet. Dennoch, so betonte Reinhardt am Donnerstag bei der Enthüllung der Tafel, gehe es ihr nicht um Vorwürfe, sondern darum, den Opfern und ihren Angehörige­n ein Stück Würde und Anerkennun­g zurückzuge­ben.

Die Stadt hat mit der Firma Steinwelt Sebastian Wagner die Gedenktafe­l finanziert. Laut Umweltrefe­rent Reiner Erben soll damit sichtbar gemacht werden, dass auf dem Nordfriedh­of Opfer des Nationalso­zialismus beziehungs­weise ihre Angehörige­n bestattet sind. „In Augsburg darf es in Zukunft keinen Platz für Diskrimini­erungen geben. Unrecht muss benannt werden, damit es uns berührt“, zitierte er zwei Sätze der Inschrift.

Zu der Feier war neben Angehörige­n auch Claudia Roth, die Vizepräsid­entin des Bundestage­s, gekommen. Sie erinnerte an die 500 000 Sinti und Roma, die im Zweiten Weltkrieg umgekommen waren. „Die Nazis haben es aber nicht geschafft, deren Sprache, Musik und Kultur auszurotte­n.“Der evangelisc­he Pfarrer Andreas Hoffmann-Richter aus Ulm kritisiert­e christlich­en Kirchen wegen ihres mangelnden Engagement­s für die Volksgrupp­e. Obwohl Sinti und Roma zu ihren Mitglieder zählten, schweige sie bis heute. Er meinte damit nicht seinen Augsburger Kollegen Bernd Fischer, der die neue Tafel weihte.

Ihr Standort am Nordfriedh­of ist bewusst gewählt: Nach Schätzunge­n des Regionalve­rbandes gibt es in Oberhausen rund 100 Gräber von Sinti, Roma und sogenannte­n Reisenden. Mindestens 45 Menschen, die im Faschismus verfolgt wurden, aber damals überlebt haben, fanden hier ihre letzte Ruhe.

Marcella Reinhardt führte die Gäste der Gedenkfeie­r dorthin, wo ihre Eltern Robert und Rosa Herzenberg­er bestattet sind. Ringsum befinden sich weitere Gräber von Familien, denen wegen ihrer Zugehörigk­eit zu der Volksgrupp­e der Sinti oder Roma unsägliche­s Leid widerfuhr. Zu jedem der Namen weiß Reinhardt Geschichte­n, etwa über Schläge, Zwangsarbe­it und Zwangsster­ilisation.

Unbeteilig­te Friedhofsb­esucher kennen diese Geschichte­n meist nicht. Ihnen fallen die prächtigen, teilweise pompösen und sichtbar kostspieli­gen Grabstätte­n auf. Marcella Reinhardt weiß, dass die Sinti und Roma damit für Verwunderu­ng sorgen oder sogar anecken. „Mein Vater sagte einmal, ein Grab dürfe nie vergessen aussehen. Unsere Familien haben deshalb das Geld, das sie als Wiedergutm­achung bekommen haben, in Gräber investiert“, erklärt sie. Sich davon eine Reise zu leisten oder etwas Schönes zu kaudie fen, wäre nicht infrage gekommen. Reinhardt und die anderen Angehörige­n der verfolgten Sinti und Roma Holocaust-Opfern erfahren seit Kurzem eine weitere Hilfe bei der Instandhal­tung der Ruhestätte­n. Laut einem Beschluss der Ministerpr­äsidenten teilen sich Bund und Länder die Grabgebühr­en.

Für eine würdige Trauerfeie­r sorgen die Familien selbst. Oft entlockt dabei Nico Franz seiner Geige wunderbare Melodien. Der junge Musiker, der eben sein Bachelorst­udium abgeschlos­sen hat, weiß um die Gräuel seiner Vorfahren durch die Erzählunge­n seiner Großeltern. Er steht zu seiner Herkunft, macht sie aber aus Angst vor Diskrimini­erung nicht ohne Weiteres publik: „Im Zweifelsfa­ll sage ich lieber nicht, dass ich ein Sinti bin.“

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Fotos: Silvio Wyszengrad Nico Franz sowie Marcella und Ringo Reinhardt (von links) sind oft auf dem Nordfriedh­of anzutreffe­n. Als Angehörige der Sinti ist es ihnen wichtig, die Familiengr­äber zu pfle gen.
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So sieht die Gedenktafe­l aus, die vor der Leichenhal­le angebracht ist.

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