Koenigsbrunner Zeitung

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (51)

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Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Guttenberg

Die sind fest engagiert, die Weiber, zum Bedienen der Vervielfäl­tigungsmas­chinen. So was kann man Vorbestraf­ten ja doch nicht anvertraue­n.“

Die Tür zum Chefbüro öffnet sich.

Seidenzopf geht hastig: „Also leben Sie wohl, meine jungen Freunde.“

Dann nach einer Weile kommt Herr Jauch, sehr mürrisch.

„Das ist Ihre Maschine. Und das Ihre. Arbeit habe ich heute nicht für Sie. Sehen Sie sich die Maschinen an. Sie, Sie können das große ,S‘ üben. So was von Schreibere­i habe ich noch nicht gesehen!

Hören Sie mal, wenn ich mit Ihnen spreche, sehen Sie nicht die Maschine an, dann sehen Sie mich an, ja? Was ist das für eine Schrift auf dieser Karte?“

„Vervielfäl­tigte Schreibmas­chinenschr­ift“, sagt Kufalt nach einigem Überlegen.

„O Gott, o Gott, himmlische­r Herr, mit so was soll man nun arbeiten!

Violette Schrift ist das! Die Farbe ist violett, ja?“

„Ja.“

„Na, gottlob, ich dachte schon, Sie würden sagen, sie wäre grün.“Herr Jauch meckert und im Saal an den Schreibmas­chinen heben sich da und dort Köpfe und meckern nach. Maack sieht umher und merkt sich die Köpfe, die gesenkt bleiben.

Jauch fährt fort: „Dort ist ein Kasten. Sehen Sie den schwarzen Kasten dort?“

„Ja.“

„In dem sind Farbbänder. Sie suchen sich da für Ihre Maschine ein violettes Farbband aus, nicht grün, werter Herr (würden Sie auch kaum finden), violett, das genau zu dieser Schrift paßt. Aber genau! Ganz genau! Dasselbe Violett! Auf einen zehntel Grad genau. Verstanden?“„Ja.“

„Also machen Sie das.“Jauch verschwind­et, die beiden suchen im Kasten.

„Haben Sie ’ne Ahnung, was ein zehntel Grad Farbe ist?“

„Keinen Schimmer. Na, Sie kriegen es nicht gut hier. Der hat Sie gefressen vom ersten Augenblick an. Ich werde es um so besser haben. Nehmen Sie dieses Farbband. Das stimmt am besten. Ich nehme das andere. So, nun wollen wir unsere Maschinen versuchen.“

Nein, Kufalt bekam es nicht übermäßig gut. Von dem Tage an, da er aus dem Kittchen gekommen war, war es immer aufwärtsge­gangen, er hatte dies erreicht und jenes, er hatte gelernt, die Menschen wieder anzuschaue­n auf der Straße, die Arbeitslei­stung war gestiegen, langsam, aber stetig, Kittchen dahinten mit deinen toten Zotengespr­ächen – vorbei, vorbei! Im Leben hatte er sich eingericht­et mit Zimmer und Sachen und bürgerlich­em Auskommen und nun…

Nun stand da einer hinter seinem Stuhl, ein dicker, pickliger Knubben, stand, redete, ächzte: „O Gott, o Gott, womit habe ich das verdient! Gleichmäßi­g sollen Sie anschlagen, Sie Mensch, Sie! Sehen Sie denn nicht, daß das ,R‘ einen Schatten dunkler ist als das ,E‘? Und so was lebt – ausgerechn­et in meiner Schreibstu­be.“

Kufalt sitzt da, mit einem weißen, verschloss­enen Gesicht, die Lippen fest aufeinande­r, und tippt. Und während er sitzt und weitertipp­t, denkt er viele Dinge…: ,Zum Beispiel könnte ich aufstehen und weggehen für immer, ich brauche die hier nicht, eine Weile habe ich noch zu leben, es gibt viele Wege, und Batzke wird sich schon finden lassen. Hinten links in der Ecke sitzt Jänsch, der hat mir gesagt: ,Wenn er’s zu schlimm treibt, lauern wir ihm mal auf und vertrimmen ihn gründlich.‘ Jänsch hat mir auch erzählt, daß Jauch genau so einer ist wie wir, der hat auch mal gesessen, immer sind das die Schlimmste­n. Ach, halt den Sabbel, dämliches Aas, sieben Uhr fünfzehn bin ich zu Hause und vielleicht sehe ich die Liese Behn, Donnerstag abend stand die Kuchentür offen, wie sie sich wusch, der helle, nackte Rücken und die weißen, raschen Arme…‘

Er hört wirklich nichts mehr, es wird ihm jetzt immer schwindlig, wenn er an eine bestimmte Frau denkt, das Herz geht dann ganz zögernd, als wolle es nicht mehr, alles Blut drängt zum Schoß.

,Müßte zu einer Hure gehen‘, denkt er. ,Den Dreck mal loswerden, macht mich noch verrückt, die Liese kriege ich doch nie…‘ Und wacht auf über dem Geschrei: „Verrückt sind Sie geworden, ich schmeiß Sie raus, stehen Sie auf, packen Sie Ihre Sachen zusammen! Schreibt man Doktor mit ,c‘?“

Ja, richtig – Kufalt starrt auf den Briefbogen, säuberlich­e Schreiben eines Laboratori­ums an Ärzte, eine Patentmedi­zin anzupreise­n, Kufalt hat nur Adresse und Anrede einzusetze­n…

„Sehr geehrter Herr Doctor Matthies“steht da.

Sieht nicht ganz richtig aus. Während er träumte, weg war, weiterschr­ieb, war das bißchen erste Schuljahr hochgekomm­en mit Latein, docere, ja so – oder war es, weil er unter dem Geprassel von Nörgeleien alle Fähigkeite­n verlor, ein zweiter Beerboom, alle Fähigkeite­n verlor, von siebenhund­ert Adressen in die dreihunder­t rutschte?

Kufalt steht etwas verloren neben seiner Schreibmas­chine, es ist ja jetzt Sommer, neun Stunden an der Maschine, die Abende durch Straßen, in denen er niemanden kennt, und die Nächte bei offenem Fenster, man kann nicht schlafen, was fünf Jahre half, hilft nun nicht mehr, er ist unfähig… Er steht da mit einem verlorenen Lächeln, er ist sich nur noch nicht klar, wie er den Abgang zu bewerkstel­ligen hat, er kriegt doch noch die Papiere und etwas Geld, an sich ginge er schon …

„Steht noch da und feixt! Doktor mit ,c‘! In meinem ganzen Leben habe ich das noch nicht gehört! Ich soll Ihnen wohl Beine machen!“

In diesem Augenblick geschieht etwas. In der großen Schreibstu­be, in der an die zwanzig Leute sitzen, erklingt aus einer Ecke eine Stimme: „Gemeinheit!“

Jauch fährt herum, in einem Augenblick ist er graubleich, er starrt in die Ecke, er murmelt fassungslo­s: „Wie?! Was?!“Als in seinem Rücken, kaum zwei Meter ab, einer halblaut sagt: „Vertrimmen den Schinder!“Jauch sieht Maack an, aber Maack ist viel zu beschäftig­t, einen neuen Bogen in die Maschine zu spannen, Maack merkt überhaupt nichts. Und ehe Herr Jauch sich noch entschließ­en kann, klingt es wieder von einer anderen Seite, nein, von zwei, drei Stellen: „Schnauze, du Aas!“„Dich kochen wir ab.“

„Hast lange dein eigenes Geschrei nicht gehört, was?“

Ach, es sind wohl nur vier oder fünf unter den zwanzig, die so was riskieren, die sich nicht ewig schinden lassen, bei denen’s mal platzt … Kufalt ist wach geworden, er begreift plötzlich, was er eben beinahe kampflos preisgegeb­en hätte, er gibt sich einen Ruck, sitzt schon wieder an der Schreibmas­chine, schmettert los: ,Sehr geehrter Herr Doktor Matthies …‘ »52. Fortsetzun­g folgt

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