Verfolgt auf Schritt und Tritt
Ihr Ex belästigt Stefanie Beck über Jahre. Er beobachtet sie, schickt Tausende Briefe und Mails. Es gibt Zeiten, da wagt sie sich nur mit einem Messer aus dem Haus. Die Geschichte der 49-Jährigen ist kein Einzelfall. Wie Stalking-Opfer leiden
Ihr Ex beobachtet Stefanie Beck über Jahre. Sie traut sich kaum noch aus dem Haus. Die Geschichte ist kein Einzelfall. Wie StalkingOpfer leiden.
Landkreis Augsburg
Der Weg zu ihrem Auto ist für Stefanie Beck* jedes Mal der Horror. Meist sieht sie es schon von Weitem: Er war wieder da. Unter dem Scheibenwischer klemmt schon wieder ein Brief. Ein A-4-Papier, mit großen krakeligen Buchstaben beschrieben, sodass es jeder lesen kann. „Ich liebe dich“, steht da. Oder: „Komm zu mir zurück.“Es sind immer die gleichen Sätze: „Mein Schatz.“„Du bist mein Leben.“Die Zettel sind von ihrem Ex, der sie einfach nicht in Ruhe lassen will. Ein Stalker. Der jetzt, drei Jahre später, endlich verurteilt worden ist.
Stalking hat nichts zu tun mit dem romantischen Bild, dass ein Mensch um die Liebe eines anderen wirbt. Im Gegenteil: Stalking ist eine Form von Gewalt. Von Stalking, juristisch Nachstellung, ist die Rede, wenn jemand eine Person wiederholt verfolgt oder belästigt.
Stefanie Beck hat genau das erlebt. Egal ob sie ihr Auto versteckt und zehn Minuten von der Haustür entfernt parkt oder sich sogar einen neuen Wagen kauft: Er findet sie immer. Beinahe jeden Tag hängt ein Brief mit einer Rose an der Windschutzscheibe. Manchmal liegen gleich mehrere Rosen dabei. Manchmal kommt er sogar mehrmals am Tag. Und das ist nicht alles. Die Briefe und Ausdrucke seiner Nachrichten füllen mehrere Schuhkartons. Bald geht die 49-Jährige aus dem Landkreis Augsburg morgens mit Magenschmerzen aus dem Haus. Da ist immer die Ungewissheit: Was hat er heute wieder gemacht? Sie bekommt Magenprobleme, eine Essstörung, muss oft krank von der Arbeit zu Hause bleiben.
Adolf Prändl ist Außenstellenleiter der Opferschutzorganisation Weißer Ring für die Stadt und den Landkreis Augsburg und betreut jedes Jahr etwa zehn Stalking-Opfer. Auch Stefanie Beck begleitet er seit Jahren. Beim Stalking gehe es in der Regel um psychische Gewalt, weiß er. „Physische Gewalt ist selten.“Doch der „Psychoterror“, so nennt es Prändl, ist genauso schlimm. Die Opfer haben das Gefühl, die Kontrolle über das eigene Leben zu verlieren. Viele lebten mit einer gravierenden Angst, erzählt der Experte. „Sie ziehen sich zurück, sperren sich zu Hause ein.“Und sie bekommen massive körperliche Probleme: Magenund Kopfschmerzen, Schwindel, Schlafstörungen. „Es sind typische Anzeichen eines Traumas.“
Die Statistik des Weißen Rings besagt: Vor allem Frauen sind von Stalking betroffen. Vier von fünf Tätern sind Männer, meist kommen sie aus dem privaten Umfeld. Fast die Hälfte der Stalker sind Ex-Partner. Prändl beschreibt den typischen Ablauf: Er ist mit der Trennung nicht einverstanden, schickt Briefe, WhatsApp-Nachrichten, SMS. Dann versucht er persönlich Kontakt aufzunehmen, steht auf einmal vor der Haustür oder am Arbeitsplatz.
So ähnlich ist es auch Stefanie Beck ergangen. Ende 2013 trennt sie sich von ihrem damaligen Freund. Zunächst scheint alles in Ordnung, manchmal treffen sie sich sogar noch. Doch als sie 2015 einen neuen Mann kennenlernt, ändert sich alles. „Er schrieb mir: Du weißt, warum sich dein Neuer hat scheiden lassen? Und wie viele Schulden er hat?“Detaillierte Erläuterungen inklusive. „Da habe ich zum ersten Mal Angst bekommen“, erzählt sie. „So etwas findet man ja nicht über eine kurze Internetrecherche heraus.“
Ihr neuer Freund hält die Nachstellungen nicht lange aus, trennt sich. Für Stefanie Beck geht die Belästigung weiter. Sie bekommt jeden Tag Hunderte SMS. Zunächst reagiert sie darauf, versucht ihn zu besänftigen. Mittlerweile weiß sie, dass das genau der falsche Weg war. Sie hat erkannt, dass er gut manipulieren kann. Doch anfangs hat sie Mitleid, ein schlechtes Gewissen. Er droht sogar mit Selbstmord.
Heute weiß sie: „Es ist der größte Fehler, auf die Nachrichten überhaupt einzugehen.“Allerdings: „Die Schwelle zu erkennen, wann es umkippt, ist schwierig.“Was ist noch Eifersucht, was ist schon Stalking? Das empfindet jeder individuell, sagt Adolf Prändl. „Die Grenze, ab wann sich jemand belästigt fühlt, ist unterschiedlich hoch.“
Stefanie Beck nerven die Anrufe und Nachrichten bald so, dass sie die Handynummer wechselt. Doch dann bekommt sie E-Mails an den Arbeitsplatz und noch mehr Zettel am Auto. Und er steckt jeden Tag Briefe in den Briefkasten ihrer Wohnung. Er füllt den Briefkasten randvoll mit Süßigkeiten und Gutscheinen. Von den Nachbarn bleibt das nicht unbemerkt. Und er kon- taktiert auch ihre zwei Kinder – die nicht von ihm sind – und ihre Freunde.
Adolf Prändl weiß, dass Stalker sehr raffiniert vorgehen. Er betreut eine Frau, die schon die vierte Handynummer hat – der Täter findet sie nach kurzer Zeit immer wieder heraus. „Da steckt eine unheimliche kriminelle Energie dahinter“, sagt er. Stefanie Beck hat Opfer kennengelernt, die in eine andere Stadt gezogen sind, einen neuen Namen angenommen haben. Für sie kommt das nicht infrage. „Er hat schon genug Einfluss auf mein Leben.“
Irgendwann geht Stefanie Beck doch zur Polizei – eine Überwindung. Die vermittelt sie an den Weißen Ring. So lernt sie Adolf Prändl kennen, mit dem sie die weiteren Schritte abstimmt. „Wir beraten nur“, betont er. „Aber vielen hilft es, wenn ihnen jemand zuhört, sie sich ernst genommen fühlen. Bei Angehörigen ist das oft nicht der Fall.“Die Ehrenamtlichen begleiten auch zu Anwalt, Polizei, Gericht. Und der Weiße Ring kann finanziell unterstützen, zahlt zum Beispiel die anwaltliche Erstberatung und zwei Gespräche beim Traumatherapeuten.
Alleine etwas gegen den Stalker zu unternehmen sei schwierig, sagt Prändl. „Es ist auf jeden Fall sinnvoll, sich Hilfe zu holen.“Bei Straftaten könne man bei der Polizei Anzeige erstatten: bei Sachbeschädigung, Hausfriedensbruch, Körperverletzung oder Verleumdung zum Beispiel. Vor Gericht können Opfer mithilfe eines Anwalts ein Annäherungsverbot erwirken. „Das geht recht schnell und in vielen Fällen hilft es auch.“
Wichtig dafür sei, dass die Betroffenen Tagebuch führen: die Vorfälle stichpunktartig dokumentieren, Zeugen benennen, WhatsAppNachrichten und Mails speichern. „Viele sind so frustriert, dass sie alles löschen“, weiß Prändl. „So kann man aber nichts beweisen. Am besten ausdrucken, dann hat man es sicher.“
So macht es auch Stefanie Beck. Sie schreibt Tagebuch. Und sie nimmt sich eine Anwältin und geht zur Polizei. Dort gibt es eine Beauftragte für Stalking-Opfer. Nach ein paar Monaten, Anfang 2017, erreichen sie das erste Kontaktverbot. Doch der Stalker findet einen neuen Weg: Er überweist ihr Geld – und schreibt seine Nachrichten in den Verwendungszweck. „Ich liebe dich.“„Du bist mein Leben.“Wieder die gleichen Sätze. Er gibt nicht auf. Und sie merkt, wie sehr er über ihr Leben Bescheid weiß: Er nennt Infos aus der Post, weiß, dass sie beim Zahnarzt war und wo mit ihrer besten Freundin unterwegs. Eine unheimliche Vorstellung. „Ich hatte oft Panik“, sagt Beck. „Es gab Zeiten, da bin ich nicht ohne Cuttermesser in der Tasche aus dem Haus.“Ab sofort zeigt sie jeden Vorfall an. Sie fühlt sich endlich verstanden und für voll genommen, erwirkt ein weiteres Kontaktverbot. Doch er hört nicht auf. „Man fühlt sich verlassen vom Staat“, sagt sie. Weil es so lange dauert, bis was passiert. Weil sie erst so viele Beweise sammeln muss. Aber heute weiß sie: „Es muss sein und es ist es wert, durchzuhalten.“
Stalking steht seit 2007 unter Strafe. Lange waren die Hürden aber hoch: Bestraft werden konnte der Täter nur, wenn nachgewiesen werden konnte, dass er eine „gravierende Veränderung der äußeren Lebensumstände erzwungen hatte.“Das Opfer musste also zum Beispiel erst umziehen oder den Job wechseln. 2016 wurde der Opferschutz dann deutlich verbessert. Jetzt reicht es für eine Bestrafung aus, „dass die Handlung des Täters objektiv dazu geeignet ist, beim Betroffenen eine gravierende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung herbeizuführen.“Ungefähr 20 Stalking-Fälle zählt das Polizeipräsidium Schwaben Nord jedes Jahr im Landkreis Augsburg. Tätern drohen bis zu drei Jahre Haft.
Auch Becks Stalker wurde nun endlich der Prozess gemacht. Sie ist als Nebenklägerin dabei. Das ist hart für sie, aber wichtig. Mit dem Urteil ist die 49-Jährige zufrieden: Er hat eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und vier Monaten bekommen. Als Auflage muss er 3500 Euro an eine gemeinnützige Einrichtung zahlen und hat ein Kontaktverbot zu Stefanie Beck und ihren Kindern. „Mir war wichtig, dass er bestraft wird“, sagt sie mit fester Stimme. „Er hat mir so viel Zeit genommen, die ich mit meinen Kindern hätte verbringen können.“
Jetzt, nach der Verurteilung, sei ihre Angst nicht mehr so schlimm.
Der Täter weiß alles über sie – eine unheimliche Vorstellung
Wenn sie unterwegs ist, sieht sie sich oft um
„Aber ein komisches Gefühl bleibt.“Wenn sie unterwegs ist, sieht sie sich noch oft um. Ist jemand hinter ihr? Ist sein Auto in der Nähe? In der Wohnung hat sie die Stoffrollos dauerhaft unten – niemand soll sehen, wo sie sich gerade aufhält. Ob der Horror nun wirklich vorbei ist? Stefanie Beck ist skeptisch. Seit dem Urteil hat sie nichts mehr von ihrem Stalker gehört. Sie hofft, dass das so bleibt und er kapiert, dass es nie mehr ein Zusammensein geben wird.
Adolf Prändl weiß allerdings aus Erfahrung, dass es in manchen Fällen nach einer Pause wieder losgeht. Wichtig ist für ihn nicht nur, dass die Täter bestraft werden, sondern auch, dass die Opfer Hilfe bekommen. Doch da gibt es „ein Riesenproblem“, sagt Prändl: Im Raum Augsburg sei es extrem schwierig, einen Traumatherapeuten mit Kassenzulassung zu finden. Viele warten monatelang auf einen Termin. Oft nähmen sie bis dahin Mittel, um die Situation besser zu ertragen – Tabletten, Alkohol oder andere Betäubungsmittel. „Nach einiger Zeit haben die Opfer dann gleich zwei Probleme: eine Tablettensucht und ein unverarbeitetes Trauma.“Stefanie Beck dagegen geht es wieder gut: „Durch Familie, Freunde und eine neue Beziehung kann ich wieder nach vorne sehen.“