Bamf Skandal: Stunden der Wahrheit
Im Innenausschuss stehen Bundesinnenminister Horst Seehofer und Behördenchefin Jutta Cordt den Abgeordneten Rede und Antwort. Opposition und SPD erhöhen den Druck
Berlin
Horst Seehofer kommt wenige Minuten zu spät. Kurz nach 15 Uhr steigt er aus dem Aufzug vor dem Raum 2300 des Paul-LöbeHauses des Bundestags, einer kühnmodernen Konstruktion aus Beton und Glas, die solide wirkt und doch transparent. Gleich muss er sich mit Vorwürfen auseinandersetzen, nach denen es zumindest in Bremen bei Asylverfahren jahrelang weder solide noch transparent zugegangen ist. Auf dem Spiel steht nichts weniger als das Vertrauen der Bürger in den Rechtsstaat. Die Sonne knallt unbarmherzig durch die Scheiben des Dachs, für die Traube der schwitzenden Journalisten hat der Bundesinnenminister nur ein wortloses Nicken übrig. Dann schließen sich hinter dem durchaus gelassen wirkenden CSU-Chef die Türen für die Öffentlichkeit – die Sondersitzung des Innenausschusses des Bundestags zum Bremer Asylskandal kann beginnen. Sie wird lange dauern, ein Zeitlimit gibt es nicht, denn nicht nur die Opposition hat viele Fragen an Seehofer und an Jutta Cordt, die Chefin des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf), deren Stuhl durch die Affäre wackelt. Auch die SPD, Partner der Union in der Regierung, verlangt Aufklärung über die Vorgänge in der Bremer Bamf-Außenstelle.
Dort sollen mindestens 1200 Bewerber zwischen 2013 und 2016 zu Unrecht Asyl bekommen haben. Gegen Ulrike B., die ehemalige Leiterin der Behörde, und weitere Personen, darunter Anwälte und Übersetzer, wird ermittelt.
Als schon die Sonne über der Hauptstadt sinkt, dauern die Gespräche an. Von einem Teilnehmer heißt es, Horst Seehofer habe beklagt, dass die Ministerebene über die Vorgänge in Bremen nur unzureichend informiert worden sei. Der Innenminister sei unzufrieden mit der Rechts- und Fachaufsicht sowohl im Bamf als auch im eigenen Im Ausschuss sei dies als Kritik an Seehofers Vorgänger Thomas de Maizière (CDU), aber auch am Kanzleramt verstanden worden. Zuvor habe Bamf-Chefin Jutta Cordt langatmig Fakten referiert, die zum allergrößten Teil längst bekannt gewesen seien. Weitere Einblicke in die Sichtweise des Innenministeriums auf die BamfAffäre liefert ein Papier, das die flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen, Luise Amtsberg, kurz vor der Sitzung präsentiert. Das Haus von Seehofer hat darin Antworten auf die rund 60 Fragen gegeben, die die Grünen zur Affäre gestellt hatten. Darin rechtfertigt das Innenministerium etwa die Löschung von Daten beim Bamf als „regelkonform“. Josefa Schmid, die als zeitweilige Leiterin der Bremer AußenMinisterium. stelle die Missstände unter ihrer Vorgängerin Ulrike B. abstellen sollte, hatte die Datenlöschung in einem Bericht massiv kritisiert.
Schmid hatte mehrfach Berichte über die Vorgänge in Bremen an die Bamf-Zentrale und ans Innenministerium geschickt. Die Beamtin aus Bayern, so heißt es in dem Bericht des Innenministeriums, „hatte keinen Auftrag, einen Bericht über die von ihr gewonnenen Erkenntnisse zu erstellen“. Schmid wurde kürzlich aus Bremen nach Bayern zurückversetzt. Das Ministerium bekräftigt, dass Horst Seehofer erst am
19. April von den Vorgängen erfuhr. Sein Parlamentarischer Staatssekretär Stephan Mayer (CSU) wurde demnach bereits am 4. April von Josefa Schmid in Kenntnis gesetzt. Obwohl Seehofer zwei Tage später die Nürnberger Bamf-Zentrale besuchte, hat Mayer ihn nicht informiert – er habe die Vorwürfe zunächst inhaltlich prüfen wollen.
Gefragt haben die Grünen auch danach, wie viel Geld das Bamf seit
2015 an Unternehmensberatungen bezahlt hat – und wofür. Mehr als 50 Millionen Euro, so die Antwort, etwa für „Prozess- und Gesamtoptimierung“.
Mit dem Antwortschreiben ist die Affäre für die Grünen nicht erledigt. Sie regen eine weitere Sondersitzungen des Innenausschusses an. Darauf einigen sich die Abgeordneten, bevor sie kurz vor Einbruch der Dunkelheit dann doch auseinandergehen. Dabei sollen dann wohl auch Seehofers Vorgänger Thomas de Maizière (CDU) und der frühere Bamf-Chef Frank-Jürgen Weise aussagen.
Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss, wie ihn FDP und AfD verlangen, ist noch nicht vom Tisch. Stephan Thomae, der stellvertretende FDP-Fraktionschef, sagt zu unserer Zeitung: „Wenn die Grünen jetzt eine Sondersitzung nach der anderen abhalten wollen, können wir auch gleich einen Untersuchungsausschuss einsetzen.“