Abgründe deutscher Seele
Thea Dorn mahnt mit Thomas Mann
Als sie Ende 1918 gedruckt erschienen, waren ihm seine „Betrachtungen eines Unpolitischen“peinlich. Thomas Mann befand sich nämlich bereits auf dem Weg zu seiner persönlichen Wende vom heroisch-genialischen Geist des 19. Jahrhunderts zum überzeugten Republikaner, der 1921 vehement den völkischen „Hakenkreuz-Unfug“der Nationalsozialisten bekämpfte.
Thea Dorn, die Schriftstellerin und Publizistin, nahm im vierten Zauberberg-Vortrag der Universität genau diesen Übergang in den Blick. In der Deutschtümelei unserer Tage erweist sich Manns Auseinandersetzung als hochaktuell und wegweisend. So groß war der Andrang von rund 200 Hörern, dass eilends zusätzliche Stühle in den Rokokosaal im Fronhof gekarrt wurden.
Unmittelbar nieder schlugen sich Manns Betrachtungen im „Zauberberg“in den literarischen Streitgesprächen zwischen Settembrini („der Windbeutel“) als Vertreter der Renaissance und Aufklärung und dem Jesuiten Naphta als Inbegriff des tiefgründigen Mystikers, aber auch des triebhaften Wüstlings. Beide streiten um „die deutsche Seele“, die sich zerrissen zwischen den Gegensätzen vorfindet und nicht weiß, welchem Geist sie folgen soll. Mann führt dieses „Prinzipiengezanke“in die „große Konfusion“und lässt die Kontrahenten als Erzieher Deutschlands immer mehr verzwergen zu „Schwätzerchen“.
Denn mächtig erhebt sich der Tod, mit dem umzugehen und dem gegenüber Freiheit zu erlangen ist. Mann leuchtet die Abgründe deutscher Kultur aus, ihre Sehnsucht nach dem erlösenden Nichts, ihren Hang zu Unterordnung und irrationaler Berauschung. Unbedingt, folgert Thea Dorn aus dem „Zauberberg“, müsse der Deutsche tapfer in diese Abgründe blicken („Wir sollten uns nicht einseitig auf der Seite des Guten wähnen“). Aber er sollte wissen, dass diese Neigungen auf einer anderen, quasi religiösen Ebene spielen. „Thomas Mann hat erkannt, dass all das Dunkle, Irrationale, wovon er erzählt, unpolitisch bleiben muss“, sagte Thea Dorn. Kunst und Kultur gerieten in schwerste Bedrängnis, wenn sie politisch würden. Kritisch sieht sie deshalb ein „Heimatministerium“, das sich bereits dem Namen nach in Seelensphären begibt. Thomas Mann entschied sich, der kosmopolitische Zivilisationsliterat zu sein.