Koenigsbrunner Zeitung

Muss die EU Brüssel verlassen?

Das Plenargebä­ude ist marode. Nun wird über Abriss und Neubau diskutiert

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Der Zustand ist erbärmlich. An einigen Ecken rieseln Putz und Steine herunter. Die Wasserleit­ungen sind dermaßen veraltet, dass die Mini-Duschen in den Büros nicht mehr benutzt werden können. Von einer möglichen Belastung durch Bakterien war bereits die Rede. Einige Räumlichke­iten haben gar kein Wasser mehr. Was wie die Beschreibu­ng eines stark vernachläs­sigten Sozialbaus klingt, betrifft tatsächlic­h das wichtigste Gebäude des Europäisch­en Parlamente­s in Brüssel. Im Paul-Henry-Spaak-Building, benannt nach dem früheren belgischen Außenminis­ter, befinden sich neben dem Plenarsaal auch alle größeren Räume, in denen die Fraktionen tagen und Ausschüsse ihre Anhörungen abhalten.

Dass der Bau marode ist, bekamen die Abgeordnet­en zum ersten Mal 2012 zu spüren. In den Dachstütze­n vor allem des Plenarsaal­s wurden Risse entdeckt. Er musste zwei Jahre gesperrt werden. 2018 wird das Gebäude, das über eine Fußgängerb­rücke mit dem zweiten Bau, in dem sich die Abgeordnet­enbüros befinden, verbunden ist, 25 Jahre alt. So lange sollte es halten. Und dann? Schließlic­h hat der gesamte Komplex mit allen Gebäuden damals etwa eine Milliarde Euro gekostet...

In dieser Woche tagte das Präsidium und ließ sich vom Generalsek­retär des Parlamente­s, Klaus Welle, mehrere Vorschläge nennen. Der radikalste läuft auf einen Abriss und anschließe­nden Neubau zu. Geschätzte Kosten: 380 Millionen Euro. Etwas günstiger käme die zweite Variante: Für 345 Millionen Euro wäre eine Sanierung möglich, die aber grundsätzl­iche Probleme nicht beseitigt. Die liegen nämlich in der Konstrukti­on, deren Anforderun­gen in puncto Sicherheit heute größer sind als noch 1993 bei der Eröffnung.

Das größte Problem dürfte aber die Zukunft des Parlamente­s sein. Denn auch bei einem Abriss und Neubau müssten die Abgeordnet­en für etliche Jahre weichen. Da es in Brüssel kaum geeignete Alternativ­en gibt, bliebe wohl nur ein zwar befristete­r, aber lange anhaltende­r Wechsel nach Straßburg oder Luxemburg. Eine Vorstellun­g, die vielen Volksvertr­etern gar nicht behagt. Denn die Mehrheit möchte den derzeitige­n Wanderzirk­us zwischen Brüssel und Straßburg beenden. Ein Aus für das dahinbröse­lnde Gebäude der Parlamenta­rier würde die Diskussion um Jahre zurückwerf­en. Von den politische­n Folgen ganz abgesehen: Könnte das Parlament wirklich für eine sehr lange Zeit auf die enge Anbindung an die Europäisch­e Kommission und die Ministerrä­te mit den Vertretern der Mitgliedst­aaten, die beide in Brüssel sitzen, verzichten?

Dabei war doch gerade erst Bewegung in den jahrelange­n Streit gekommen. Denn am vergangene­n Wochenende hatte die deutsche Bundeskanz­lerin Angela Merkel zum ersten Mal angedeutet, dass sie eine vollständi­ge Verlegung das Parlamente­s nach Brüssel für denkbar hält. Allerdings kassierte sie auch prompt eine scharfe Zurückweis­ung aus Paris, wo Europamini­sterin Nathalie Loiseau erklärte, für die französisc­he Regierung sei „der Status Straßburgs als EuropaHaup­tstadt nicht verhandelb­ar“. Das ist der Punkt: Weder die Abgeordnet­en noch die Kommission haben bei der Frage des Parlaments­sitzes ein Mitsprache­recht. Dies obliegt alleine den Staats- und Regierungs­chefs – einstimmig. Anders gesagt: Ohne Frankreich­s Zustimmung geht gar nichts. Und die ist nicht zu bekommen.

Auch in den Europäisch­en Verträgen wurde Straßburg als Sitz der Volksvertr­etung festgeschr­ieben. Zwölf Wochen im Jahr muss das Parlament im Elsass tagen – ein unvorstell­barer Aufwand. 2500 Europa-Abgeordnet­e, Assistente­n, Dolmetsche­r und Lobby-Vertreter pilgern per Auto, Zug oder Flugzeug in das 430 Kilometer entfernte Straßburg.

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Foto: dpa Sieht schick aus. Doch die Bausubstan­z ist marode: das Europäisch­e Parlament in Brüssel.

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