Koenigsbrunner Zeitung

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (67)

-

MWilli Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Guttenberg

aack ist keine Spur beleidigt. Er rückt die Brille zurecht, spuckt etwas Tabak aus und sagt: „Und ich will dir sagen, was mit dir ist: du hast hier eine und darum hast du keine Traute.“

„Und du? Und deine Liese?“fragt Kufalt aufgeregt und denkt an das nette Ding mit den grellen Kirschenau­gen und den Korkzieher­locken.

„Ach, die Weiber!“sagt Maack. „Weiber gibt’s überall.“

Er ist still und setzt dann hinzu: „Übrigens hat’s bei meiner geschnappt.“

Kufalt schweigt bestürzt still. Denn das ist schlimm für Maack, da verliert das kleine Lieschen seine Stellung – und was machen die beiden dann zu dreien? Aber – und er denkt immer hastiger – warum hat dann der Maack gerade jetzt seine Stellung in der Schreibstu­be aufgegeben – die war doch wenigstens was Sicheres, so glänzend, wie der schrieb!

Und plötzlich durchschie­ßt ein

Gedanke seinen Kopf, und er sagt aufgeregt: „O Maack, ich weiß es jetzt: du hast uns alle bescheißen wollen um das ganze Geld! Wie du es hast machen wollen, weiß ich noch nicht. Aber du hast’s gewollt und hast abhauen wollen damit!“

„Ein bißchen hätte ich euch schon gelassen“, sagt Maack und grinst.

„Und warum erzählst du es mir jetzt?“fragt Kufalt verblüfft.

„Weil ich es über habe!“schreit der stille, selbstbehe­rrschte Maack plötzlich. „Weil ich es zum Kotzen über habe! Das ganze Leben hier draußen stinkt mich an. Siehste, Kufalt, ich spiele immer den großen Ganoven, aber ich hab’ nur drei Monate abgerissen, noch weniger als der Patzig – und vier Jahre ist das schon her und ich strampele mich ab und arbeite wie ein Vieh und gönne mir nichts – und komme nicht weiter und komme nicht weiter! Sorgen über Sorgen und der Jauch, das Schwein, und der scheinheil­ige Marcetus – alle treten sie rum auf ei- nem, und zweimal hab’ ich ’ne Stellung gehabt und denke: nun geht’s los mit Anständigk­eit und aufwärts. Aber dann erfährt’s doch irgendeine­r und dann geht das los mit den schiefen Gesichtern und den Stichelred­en, und dann sagt einer: sein Gummi ist weg, kann nur der Maack haben, und dem andern fehlt Geld aus der Manteltasc­he – natürlich, der Maack, der Maack, nur der Maack.“

Er ist aufgestand­en und schreit beinahe. Vorübergeh­ende gucken, Kufalt zieht ihn wieder auf die Bank und redet ihm zu.

Der Maack reißt die Brille ab und trocknet sich die Stirn.

„Und dann läßt einen der Chef kommen und sagt: ,Sie sehen selbst, es geht nicht. Ich will Ihnen nichts vorwerfen, aber Sie sehen selbst ein, nicht wahr?‘ Und nun, wo mein Mädchen den dicken Bauch hat, und sie sagt, sie läßt es sich nicht wegmachen, sie freut sich noch, das dämliche Aas, weil es von mir ist, ausgerechn­et von mir…“

Maack schluckt, Kufalt sagt gar nichts.

„Und gestern früh, wo ich die Stellung im Export haben sollte, freue ich mich noch wie ein Stint und denke: alles geht gut, und ich kann mit Lieschen irgendwo unterkriec­hen, und wir können ein Kind haben wie alle anderen …“

Er schluckt wieder. Und dann sagt er noch: „Und wie mir die wieder aus der Nase gegangen ist, bloß weil die Arschkriec­her vorwärtsko­mmen, da hab’ ich gedacht: nun ist mir alles egal, jetzt sehe ich, daß ich schnell ein bißchen Geld ranschaffe, ganz egal wie. Da sorge ich noch ein bißchen fürs Lieschen, daß sie auch was vom Sitzen hat.“

Er hockt da, auf einer Bank im Grünen, zwischen den Bäumen des Zoos leuchtet die Sonne.

„Ich will dir was sagen, Peter“, sagt Kufalt, „jetzt sehen wir im Branchente­lephonbuch nach, was es alles für Schreibmas­chinenfirm­en gibt. Und die klappere ich ganz allein ab, und du sollst sehen: um sieben habe ich meine Schreibmas­chinen …“

Maack schüttelt den Kopf. „Doch! Doch!“protestier­t Kufalt eifrig.

Er lächelt.

„Ich glaube, es ist gar nicht so schwer. Wir haben bloß den Fehler gemacht, daß wir gleich alle sechs auf einmal verlangt haben. Du sollst sehen, wie schön es mit unserer Schreibstu­be klappen wird, und wir werden neue Aufträge bekommen, und du wirst noch mal ganz richtiger Schreibstu­benvorsteh­er mit Gehalt bei uns und kotzt uns alle an, genau wie der Jauch. Und dein Lieschen kriegt ihr Kind, sollste sehen!“

5

Es ist ein strahlende­r Sommermorg­en, gegen neun Uhr, als die ganze Schreibstu­be Cito-Presto auf das Gnutzmanns­che Textilware­nhaus anmarschie­rt. Die Herren Fasse und Monte ziehen einen vom neuen Hauswirt entliehene­n Handwagen, den Herr Oeser nachschieb­t.

Auf dem Bürgerstei­g, etwas vor dem Wagen, gehen die Herren Maack und Kufalt auf gleicher Höhe mit dem Gefährt. Herr Jänsch, der Weisungen wegen Verhaltens im Straßenver­kehr gibt, befindet sich kurz vor den Herren Sager und Deutschman­n. So ziehen sie dahin, kaum ein Wort wird gesprochen, höchstens, daß Jänsch einmal ruft: „Steck den rechten Arm raus, wenn du um die rechte Ecke willst, Mensch, Monte“– also, eine ruhige Sache ist es, aber der Bedeutung dieser Stunde sind sich alle bewußt.

„Knorke, was?“fragt Deutschman­n. Und Herr Sager, dieser listige, überhöflic­he Fuchs, sagt uneingesch­ränkt begeistert über solchen Aufzug: „Oberpiepen­knorke!“

Sie langen an vor dem Textilhaus, und kurz und knapp trifft Herr Schreibstu­benvorsteh­er Maack seine Anordnunge­n:

„Fasse, Monte – jeder an eine Straßeneck­e. Kommt Jauch oder jemand von Presto in Sicht, so pfeift ihr wie verabredet und geht in Deckung!“

„Sager, du hältst dich im Hausflur: ertönt der Pfiff, so stürmst du die Treppe hinauf und warnst uns.“

„Jänsch, Deutschman­n, Oeser, mit uns zum Verladen der Umschläge und des Adressenma­terials.“

„Kufalt, du stellst mich Herrn Bär vor. Wir übergeben ihm gemeinsam die Bestätigun­g.“

„Da will ich dabei sein“, bittet Oeser. „Nur zusehen, Maack.“

„In Ordnung“, sagt Maack. „Los!“

Das Fräulein in der Anmeldung weiß schon Bescheid: „Da stehen die Umschläge. Erst mal hunderttau­send. Die Adressen sind auf den Kartothekk­arten in diesen Kästen – aber daß Sie uns keine Unordnung machen!“

„I wo, Fräulein“, sagt Jänsch. „Wir sind sooo genau!“

„Paßt auf beim Runtertrag­en“, sagt Maack.

„Kartotheka­dressen – schreibt sich prima“, sagt Deutschman­n.

„Konnten wir wohl Herrn Bär sprechen, Fräulein?“bittet Kufalt.

„Einen Augenblick, will mal nachsehen.“Und sie verschwind­et. „Nehmt mich mit“, fleht Oeser. „Wenn’s geht“, sagt Maack. „Herr Bär läßt bitten“, verkündet das rückkehren­de Fräulein. Kufalt voran. »68. Fortsetzun­g folgt

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany