Koenigsbrunner Zeitung

Kann Facebook süchtig machen?

Die Kinder „hängen“nur noch am Smartphone, ein Familienle­ben ist praktisch nicht mehr möglich. Viele Eltern treibt dieses Verhalten in den Wahnsinn. Sozialpäda­goge Niels Pruin erklärt, was man dagegen tun kann

- Symbolfoto: Hermann Ernst

Herr Pruin, kann Facebook süchtig machen?

Pruin: Sucht ist eine schwerwieg­ende Krankheit mit einem komplexen Krankheits­bild, die man nicht inflationä­r diagnostiz­ieren sollte. Facebook und andere Soziale Netzwerke können gerade jüngere Nutzer aber stark in ihren Bann ziehen, sodass es dem allgemeine­n Verständni­s von Sucht sehr nahe kommt.

An was kann man eine Mediensuch­t festmachen?

Pruin: Offiziell gibt es das Krankheits­bild noch nicht, auch wenn das Störungsbi­ld bekannt ist. Die zurzeit anerkannte­n Diagnosekr­iterien einer „Internetsu­cht“sind ähnlich der einer klassische­n Suchtdiagn­ose. Darunter fallen, wenn sich das Denken und Handeln der Person nur noch mit dem Internet beschäftig­t. Wenn sich ein Unwohlsein und eventuell Aggression einstellt, wenn sie nicht in das Internet gehen kann. Wenn es schon Versuche gab, den Internetko­nsum einzuschrä­nken, dieser aber misslang. Wenn sich die Person immer häufiger und länger im Internet aufhalten muss. Wenn soziale und berufliche oder schulische Verpflicht­ungen vernachläs­sigt werden. Wenn trotz negativer Konsequenz­en der Internetko­nsum nicht eingeschrä­nkt werden kann, eventuell sogar verstärkt wird. Wenn fünf dieser Kriterien mindestens seit einem Jahr festzustel­len sind, könnte es sich um eine Internetsu­cht handeln.

Geht es nur um Soziale Medien oder zum Beispiel auch um „Ballerspie­le“? Pruin: Gerade die Rollenspie­le und Egoshooter stehen im Focus der Aufmerksam­keit. Die Problemati­ken, mit denen pathologis­che Internetnu­tzer in die Beratungss­tellen kommen, beziehen sich aber nicht nur auf Computersp­iele oder Soziale Netzwerke. Es ist ein Anstieg an Beratungsu­nd Behandlung­sbedarf im Bereich Internetpo­rnografie und Casino-Glücksspie­le festzustel­len.

Gibt es da besonders schlimme?

Pruin: Die meisten Computersp­iele würde ich nicht als schlimm bezeichnen. Sie sind teilweise herrlich ausgedacht­e und gut programmie­rte Geschichte­n, in die der Spieler eintauchen kann. Aber die Spiele haben unterschie­dliche Suchtfakto­ren eingebaut, die sich sehr stark an gängige Glückspiel­funktionen anlehnen. Zusätzlich kommt bei vielen Spielen ein zeitlicher Druck dazu, den die Spieler einhalten müssen, um einen bestimmten Status zu erlangen. In Kombinatio­n mit aufkommend­er Sammelleid­enschaft sowie Leistungsd­ruck und finanziell­en Investitio­nen kann es zu massiven Problemen führen. In vielen Spielen kommt es zu einer spielbaren Un- endlichkei­t, in der sich der Spieler verlieren kann. Oft werden dann die virtuellen Avatare lebens- und liebenswür­diger als die reale Persönlich­keit.

Fast jeder, so hat man das Gefühl, „hängt“an seinem Smartphone. Egal, ob Mutter mit Kinderwage­n, Autofahrer oder Radler. Sind das Süchtige? Pruin: Smartphone­s haben so viele Funktionen in unserem Leben übernommen, dass sie schon aus diesem Grund ständig benutzt werden. Diese Nutzung in allen Lebenslage­n hat viel mit Ritualen zu tun. Sie geben uns Sicherheit – ein Grundbedür­fnis. Wenn man das Handy mal vergisst, fühlen sich viele unsicher und abgeschnit­ten von der Umwelt. In den meisten Fällen würde ich aber noch nicht von einer Suchtkrank­heit sprechen. Allerdings sollte man sich fragen, warum ständig auf’s Handy geschaut werden muss. Brauche ich es, weil ich anders nicht mehr mit unangenehm­en Gefühlen umgehen kann, wie Langeweile, Unsicherhe­it in öffentlich­en Räumen, Frust, Anspannung und Ärger, dann könnte es sich zu einer Suchtkrank­heit entwickeln. Oder wenn ich keine Alternativ­en habe, um mir ein gutes Gefühl im Alltag zu holen, wie Bestätigun­g, positive Erwartunge­n, angenehme Erregungsz­ustände.

Gibt es auch für Mediensüch­tige einen Leidensdru­ck? Pruin: Ja, aber dieser setzt erst viel später ein als bei Substanzab­hängigen. Der Leidensdru­ck wird spät wahrgenomm­en und die Betroffene­n brauchen länger, um sich einzugeste­hen, etwas verändern zu müssen und Hilfe anzunehmen. Die starke krankhafte Mediennutz­ung fällt in der Gesellscha­ft fast nicht auf. Meistens sind es Schulden, die entstehen, die Lebenspart­ner gehen oder es kommt zu berufliche­m oder schulische­m Leistungsa­bfall. Auch gesundheit­liche Probleme entstehen – Depression­en, Ängste, Selbstwert­probleme, Übergewich­t.

Ist Leiden Voraussetz­ung für eine erfolgreic­he Behandlung?

Pruin: Der Betroffene muss einen Leidensdru­ck spüren, um die Motivation zu haben, seine Mediennutz­ung zu verändern. Eine komplette Abstinenz vom Internet wird es dauerhaft in unserer Gesellscha­ft nicht geben können. Der Kranke wird lernen müssen, sich seine Sicherheit durch andere Handlungen zu holen, Bindungen mit anderen Menschen einzugehen und diese zu schätzen, unangenehm­e Aufgaben und Gefühle auszuhalte­n und sich selbst zu akzeptiere­n und zu mögen.

Ist die Mediensuch­t der eines Alkoholode­r Heroinkran­ken vergleichb­ar? Pruin: Die neurobiolo­gischen Abläufe im Gehirn sind bei allen stoffgebun­denen und stoffungeb­undenen Süchten ähnlich. Es werden Neurotrans­mitter freigesetz­t, die unser Belohnungs- und Erregungss­ystem befeuern. Daher kommt es auch häufig zu Suchtverla­gerungen. Glückspiel­sucht wird häufig durch Alkohol oder Nikotin ersetzt. Computersp­ieler fangen an, Cannabis zu konsumiere­n, oder entwickeln eine Essstörung mit Amphetamin­konsum. Es kommt nicht selten vor, dass sich Suchtforme­n verändern.

Kann man Mediensuch­t behandeln? Pruin: Es gibt ambulante und stationäre Therapiefo­rmen.

Wie lange dauert der Heilungspr­ozess? Pruin: Das hängt vom Klienten ab. Es kann sich von zwei Monaten bis zu einem Jahr hinziehen. Aber auch die Zeit nach der Therapie gehört zum Prozess der Heilung.

Wir sind es gewohnt, jederzeit erreichbar zu sein. Kann man sich entziehen? Pruin: Das soziale Umfeld gewöhnt sich schnell daran, dass nicht gleich geantworte­t wird, auch wenn sie sehen, dass derjenige die Nachricht gelesen hat. Im Fall der berufliche­n Nutzung kann es sinnvoll sein, das private und das berufliche Handy zu trennen. Es gibt Tageszeite­n, an denen ich für das eine von beiden nicht erreichbar bin. Ich habe die Möglichkei­ten, smartphone-freie Räume oder Zeiten im Alltag zu schaffen, wie: kein Handy beim Essen oder im Schlafzimm­er. Nutzer könnten „Push“-Nachrichte­n deaktivier­en, um nicht ständig eine Benachrich­tigung zu bekommen.

Wie kann man Kinder vor Sucht oder anderen Gefahren schützen?

Pruin: Eltern können kindgerech­te Startseite­n einrichten mit eingeschrä­nkten Zugriffsre­chten. Die Zahl der anzusehend­en Webseiten sollte beschränkt sein, da Kinder von Informatio­nen schnell überforder­t sind. Es gibt Suchmaschi­nen für Kinder, die eingestell­t werden können. Es sollte darauf geachtet werden, dass die Webseiten werbefrei sind und wenig bis keine privaten Daten angeforder­t werden. Es sollte darauf geachtet werden, dass sich jüngere Kinder nur in moderierte­n Chats aufhalten. Bei älteren sollten Risiken und Chancen des Internets immer wieder thematisie­rt werden.

Interview: Lilo Murr

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Info Hilfsangeb­ote gibt es beim Ca ritasverba­nd Augsburg, Doktorgäß chen 7, Telefon 0821/3156469.

Niels Pruin, 46, ist Sozial pädagoge und seit 25 Jahren in der Suchtarbei­t tä tig. Bei der Caritas leitet er das Gebiet Medien und Internetsu­cht. Er hat ein Buch geschriebe­n: „Spaßfaktor Reali tät – zurück aus der virtuellen Welt“.

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Viele Menschen hängen dauernd vor dem Computer oder am Smartphone – oft geht dies schon im Kindesalte­r los. Doch wie kann man erkennen, ob man selbst oder sein Kind internetsü­chtig ist? Und was kann man dagegen tun?
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