Koenigsbrunner Zeitung

Ein Spielball Russlands

Seit 1500 Tagen sitzt der Regisseur und Kreml-Gegner Oleg Senzow in Haft. Während die Welt auf die WM sieht, droht er damit, sich zu Tode zu hungern

- Christian Gall

Eigentlich lief für Oleg Senzow alles gut. Mit zwei Uni-Abschlüsse­n in der Tasche, in Wirtschaft­swissensch­aften und Filmregie, machte er sich spätestens

2012 einen Namen in der KinoWelt. Auf dem Internatio­nalen Filmfestiv­al in Rotterdam debütierte der Regisseur mit dem Streifen „Gamer“, einer Geschichte über einen videospiel­süchtigen Jungen. Doch ein Jahr darauf schlug er all das in den Wind. Er kehrte in seine Heimat, die Ukraine, zurück und stellte sich Russland in den Weg. Das kostete ihn seine Freiheit. Und nun vielleicht auch sein Leben. Seit mehr als einem Monat befindet er sich im Hungerstre­ik, das Ende der Fußball-WM in Russland wird er womöglich nicht mehr miterleben.

Im Jahr 2013 hielt den heute

41-Jährigen nichts mehr im Filmgeschä­ft. Er zog nach Kiew, um sich dort den Maidan-Protesten gegen die Regierung anzuschlie­ßen. Danach reiste er auf die Krim, als Russland die Finger nach der Halbinsel ausstreckt­e – Senzow wurde in der Krim-Stadt Simferopol geboren. Zusammen mit Gleichgesi­nnten versorgte er Soldaten in ukrainisch­en Kasernen mit Lebensmitt­eln, nachdem diese von russischen Spezialein­heiten blockiert worden waren. So geriet er in den Fokus des Geheimdien­stes Russlands und wurde am 11. Mai 2014 festgenomm­en.

Es folgte ein Gerichtspr­ozess, an dessen Ende Senzow wegen Terrorismu­s zu 20 Jahren Arbeitslag­er verurteilt wurde. 2016 wurde er nach Labytnangi verlegt, in eine Strafkolon­ie für

Schwerte kriminelle am Polarkreis. Jährliche Durchschni­ttstempera­tur: minus sechs Grad.

Seine Verhaftung und Verurteilu­ng lösten weltweit Proteste aus. Die Europäisch­e Filmakadem­ie und Amnesty Internatio­nal verlangen seine Freilassun­g und bezeichnen ihn als politische­n Gefangenen. Zuletzt sprach auch Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron den Fall gegenüber Putin an – der daraufhin die Unabhängig­keit seiner russischen Justiz beschwor.

Vor Beginn der Fußball-Weltmeiste­rschaft trat Senzow nun in einen Hungerstre­ik. Den Zeitpunkt wähl- er mit Kalkül, um möglichst viel Aufmerksam­keit zu erzielen – schon Monate zuvor aß er immer weniger, um die Aktion vorzuberei­ten. Sein Plan ging auf: In mehr als 80 Städten in 25 Ländern zeigten Menschen mit Aktionen ihre Solidaritä­t für den Regisseur.

Seinen Streik will er erst beenden, wenn alle politische­n Gefangenen der Ukraine aus russischer Haft entlassen werden. Neben Senzow sind das 60 weitere Personen. Allerdings ist unklar, wie lange er das durchhält. Seiner Schwester Natalia Kaplan zufolge, neben seinem Anwalt seine wichtigste Bezugspers­on, musste er inzwischen auf eine Krankensta­tion verlegt werden. „Aufgeben will er nicht, sterben will er nicht, doch von seinen Bedingunge­n für das Ende des Hungerstre­iks abrücken will er auch nicht“, sagte sie.

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Foto: dpa Oleg Senzow im August 2015.

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