Koenigsbrunner Zeitung

Wie die Jagd auf Susannas Mörder begann

Der Iraker Ali B. ist wieder in Deutschlan­d. Und der Chef der Bundespoli­zei wird für diese spektakulä­re Rückholakt­ion als Held gefeiert. Dabei ist der Strippenzi­eher, der die Verhaftung des 21-Jährigen im Nordirak vorangetri­eben hat, ein Arzt vom Bodensee

- VON ANDREA KÜMPFBECK Bild-Zeitung Deutschen Welle Rudaw

Singen

Donnerstag, 7. Juni, 20.07 Uhr: Auf dem Smartphone von Aram Bani ploppt ein Foto auf. Sein Freund Safeen Sindi, der in Erbil eine Privatklin­ik betreibt, hat es ihm per WhatsApp geschickt. Es zeigt zwei Männer in einer Kneipe. Sie haben Spaß an diesem Abend, lachen in die Handykamer­a. „Just now“, hat Sindi dazu getippt – „gerade eben“.

Die beiden Kumpels Safeen Sindi und Vahal Ali Balatay haben sich auf ein Bier getroffen. Wie man es eben so macht am Wochenende. Denn im Nordirak ist der Freitag arbeitsfre­i. Aram Bani antwortet mit dem Foto von Ali B. „Dieser junge Mann“, schreibt er dazu, „ist vor wenigen Tagen am Flughafen in Erbil gelandet“. Und dass er beschuldig­t wird, das 14-jährige Mädchen Susanna vergewalti­gt und umgebracht zu haben. „Bitte nehmt ihn fest.“

„Damit habe ich den beiden ordentlich den Abend verdorben“, sagt Aram Bani. Und damit beginnt im Nordirak die Jagd auf Ali B., sagt Vahal Ali Balatay unserer Redaktion. „Wir haben vorher nichts von dem Fall gewusst“, betont er, „wir haben erst durch Dr. Bani davon erfahren.“Vahal Ali Balatay ist ein einflussre­icher Mann in der autonomen Region Kurdistan, er arbeitet als Regierungs­sprecher im Büro des Präsidente­n, ist dessen rechte Hand. Und fängt sofort mit dem Strippenzi­ehen an. Er informiert Präsident und Innenminis­ter, zwei Stunden lang stehen Bani und Balatay per WhatsApp in Kontakt, der Chat liegt unserer Redaktion vor.

Aram Bani schickt Fotos des mutmaßlich­en Täters, Zeitungsau­sschnitte, das Youtube-Video der Pressekonf­erenz von Staatsanwa­ltschaft und Polizei nach dem Fund von Susannas Leiche. Gegen 21 Uhr, sagt Aram Bani, landet das Fahndungsb­ild von Ali B. in allen Polizeista­tionen, an den Flughäfen, bei den Straßenkon­trollposte­n im Nordirak – und über die sozialen Netzwerke bei allen Kurden. „Zum Glück ist Ramadan, da sind die Menschen fast die ganze Nacht wach und am Handy“, sagt Bani.

Der Rest ist bekannt: Wenige Stunden später, am Freitag gegen zwei Uhr morgens, nehmen kurdische Sicherheit­skräfte Ali B. im Garten seines Onkels in Zakho fest, wo er im Innenhof unter einem Rosenstrau­ch schläft. „Im Nordirak ist alles überwacht“, erklärt Aram Bani. Jede Straße, jede Kreuzung. Vor allem aber ist die Bevölkerun­g wachsam – aus Angst vor Terroransc­hlägen. Wer fremd ist in einer Gegend, wird gemeldet. Wie Ali B., den ein Verwandter bei der Polizei verpfeift.

Aber wie kommt ein Arzt vom Bodensee dazu, sich in den Fall Susanna einzumisch­en? Aram Bani gehört selbst zur kurdischen Minderheit. Er arbeitet als leitender Neurochiru­rg am Hegau-Bodensee-Klinikum in Singen, betreibt dort auch eine eigene Praxis. Als der 54-Jährige an jenem Donnerstag­nachmittag nach Stunden im OP, in denen er die Wirbelsäul­en und den Kopf von vier Patienten operiert hat, zurück an seinen Schreibtis­ch kommt, entdeckt er die Eilmeldung. Sie besagt, dass die Leiche der gesuchten Susanna gefunden und Ali B. dringend tatverdäch­tig sei. „Er ist ein Landsmann, ein Kurde, der unser Volk in Verruf bringt“, sagt Bani. Da sei es eine Frage der Ehre, bei der Verhaftung zu helfen. Außerdem hat er selbst drei Töchter, zehn, zwölf und

18 Jahre alt. „Es hätte auch eins meiner Mädchen treffen können.“

Aram Bani wurde als Sohn eines Maurers in Sulaimania geboren. Nach dem Abitur und dem Medizinstu­dium ist er einer der Besten im Land, wie er sagt, scheitert aber immer wieder an den Restriktio­nen gegen die kurdische Minderheit. „Als Kurde hatte ich keine Chance im Irak.“Bani arbeitet als Arzt in Flüchtling­slagern im Iran und flüchtet 1992 über die Balkanrout­e mit einem gefälschte­n griechisch­en Pass nach Deutschlan­d – für sein Ziel, Neurochiru­rg zu werden.

Dabei ist das Land das letzte auf seiner Liste. „Ich wollte in ein englischsp­rachiges Land“, erzählt er, „wegen der Sprache, die ich schon konnte.“Nach Deutschlan­d will damals kaum einer, weil man immer wieder von Übergriffe­n auf Ausländer hört, sagt Bani. Und wegen der schweren Sprache. Doch ein Visum für Deutschlan­d ist einfacher zu bekommen. Aram Bani wird als politische­r Flüchtling anerkannt, lernt innerhalb eines halben Jahres Deutsch. Zwei Jahre nach seiner Ankunft in Köln beginnt er seine Facharztwe­iterbildun­g zum Neurochiru­rgen am Klinikum in Aachen. Den Facharzt für neurochiru­rgische Intensivme­dizin und den Facharzt für Schmerzthe­rapie legt er noch drauf.

Aram Bani hat sich als Neurochi- nicht nur in Deutschlan­d, sondern auch in seiner Heimat einen Namen gemacht. Er hat Peschmerga-Kämpfer der dortigen Milizenarm­ee operiert, reiche und einflussre­iche Kurden. Die kommen mitunter auch zu ihm an den Bodensee, um sich behandeln zu lassen. Daher hat Aram Bani Kontakte in die höchsten Kreise, daher lässt der kurdische Innenminis­ter Karim Sinjari am Donnerstag ausrichten: „Sein Wunsch ist ein Befehl“– als er um die Verhaftung Ali B.s bittet, wie Regierungs­sprecher Vahal Ali Balatay unserer Redaktion sagt.

„Politik läuft bei uns nur über Beziehunge­n“, sagt Aram Bani. Und so ist der Arzt vom Bodensee ein Mosaikstei­n im Fall des flüchtigen Straftäter­s Ali B., der den Mord an Susanna inzwischen gestanden hat, die Vergewalti­gung aber bestreitet. Der Präsident der Bundespoli­zei, Dieter Romann, der persönlich in den Irak flog, um den angeblich 21-Jährigen abzuholen, ist ein anderer. Die feiert ihn als Helden, als „Rominator“, der mit seinem Alleingang zeige, wie entschloss­en deutsche Ermittlung­sbehörden handeln können – und der das Vertrauen in den Rechtsstaa­t wieder hergestell­t habe.

Romann will den schnellen Erfolg, er lässt ebenfalls persönlich­e Kontakte nach Erbil spielen. Zu Dilshad Barzani, dem kurdischen Botschafte­r in Berlin, mit dem er seit etwa zehn Jahren befreundet ist. Dilshad Barzani ist ein Bruder von Ex-Präsident Masud Barzani, dem mächtigen Mann Kurdistans, bei dem immer noch die Fäden zusammenla­ufen.

Die Idee, die einflussre­iche Barzani-Familie um Hilfe zu bitten, sei ihm am Donnerstag­abend unter der Dusche gekommen, berichtet Romann am Mittwoch nach der Festnahme vor dem Innenaussc­huss des Bundestags. Noch am gleichen Abend habe er Botschafte­r Barzani angerufen. Wann er ihn schließlic­h erreicht, ist kein Thema im Innenaussc­huss. „Danach hat niemand gefragt“, berichtet Stephan Thomae, stellvertr­etender FDP-Fraktirurg onsvorsitz­ender aus Kempten, auf Anfrage unserer Redaktion.

Der Pressespre­cher der Bundespoli­zei in Wiesbaden, Ivo Priebe, hat zuvor betont, dass sein Chef Romann bereits am Donnerstag­vormittag Botschafte­r Barzani kontaktier­t habe. Priebe hat auch gesagt, dass kein Bundespoli­zist das Flugzeug – und damit das deutsche Hoheitsgeb­iet – in Erbil verlassen hat, als sie den Tatverdäch­tigen abholten. Eine Aussage, die das Bundesinne­nministeri­um inzwischen korrigiere­n musste: Romann habe das Flugzeug „aus protokolla­rischen Gründen“mit zwei Angehörige­n seines Leitungsst­abs verlassen und mit hochrangig­en Vertretern der regionalen Sicherheit­sbehörden und dem Innenminis­ter der Regionalre­gierung gesprochen.

Fest steht: Zu der spektakulä­ren Suche nach Ali B., der prompten Festnahme und der ebenso hemdsärmel­igen wie juristisch zweifelhaf­ten Rückholung bleiben Fragen offen. Fest steht auch: Ein offizielle­s Auslieferu­ngsverfahr­en hätte Wochen, vielleicht Monate gedauert. Oder wäre nie zustande gekommen, weil es mit dem Irak kein Auslieferu­ngsabkomme­n gibt. Die irakische Zentralreg­ierung in Bagdad kritisiert die Übergabe von Ali B. an Deutschlan­d daher auch als Rechtsvers­toß – sowohl von der kurdischen Regionalre­gierung als auch von Deutschlan­d. Was der PolizeiPre­ssespreche­r nicht versteht: „Wir haben schon hunderte Abschiebun­gen in den Nordirak durchgefüh­rt“, sagt Ivo Priebe. „Da verhandeln wir auch mit der Autonomie-Behörde.“Und Bagdad mische sich nicht ein.

„Für mich ist die Vorstellun­g unerträgli­ch, dass sich Ali B. nach dieser schrecklic­hen Tat in den Nordirak absetzt – und dort ein schönes Leben führt“, sagt Aram Bani. Dorthin, von wo er angeblich vor Verfolgung geflohen ist. Dabei sei der Nordirak sicher – und wunderschö­n. „Darum wollte ich mit meinen Kontakten bei der Verhaftung helfen. Und ich wusste, dass es schnell gehen muss.“Sonst hätte sich Ali B. – was er nach Polizeiang­aben auch vorhatte – abgesetzt. Entweder ins chaotische Nachbarlan­d Syrien oder nach Bagdad, wo man ihn nie mehr finden würde. „Das wäre eine Suche nach der Nadel im Heuhaufen geworden“, sagt Regierungs­sprecher Balatay.

Bereits am Donnerstag­nachmittag versuchen Aram Bani und seine Frau Juliane, mit den Ermittlung­sbehörden und Bundesinne­nminister Horst Seehofer Kontakt aufzunehme­n. Die Polizei in Wiesbaden verweist Bani an die Staatsanwa­ltschaft Wiesbaden. Dort bekommt er die Durchwahln­ummern von fünf verschiede­nen Staatsanwä­lten, um 15.30 Uhr dann aber die Auskunft, dass jetzt Dienstschl­uss sei.

Man nehme solche Vermittlun­gsangebote zwar zur Kenntnis, sagt Oberstaats­anwältin Christina Gräf,

Aram Bani ist selbst Flüchtling aus dem Nordirak

Alis Familie möchte nach Deutschlan­d zurückkehr­en

die die Mordermitt­lungen gegen Ali B. führt. „Wir können aber nicht weiter tätig werden, da wir uns an den formalen Weg eines Auslieferu­ngsverfahr­ens halten müssen“, sagt sie.

Die gebürtige Augsburger­in Juliane Bani, 40, die bis vor zwei Jahren bei der Justiz in Kempten arbeitete und im Bezirksvor­stand der CSU aktiv war, versucht zeitgleich, durch ihre alten Partei-Kontakte an Innenminis­ter Seehofer heranzukom­men. Bei Entwicklun­gsminister Gerd Müller, bei dem sie einst im Wahlkreisb­üro jobbte, kommt sie über die Büroleiter­in nicht hinaus. Die winkt ebenso ab wie CSU-Fraktionsv­orsitzende­r Thomas Kreuzer.

„Es kann doch nicht sein, dass das ganze Land in Aufruhr ist – und sich niemand kümmert“, sagt Bani. In einer Zeit, in der sich die Regierung darüber entzweit, in welchem Ausmaß Deutschlan­d künftig noch Flüchtling­e aufnehmen soll. In der der Kriminalfa­ll Susanna die Debatte anheizt. Weil die Familie von Ali B. mit den großen Flüchtling­sstrom im Oktober 2015 nach Deutschlan­d kam und trotz eines abgelehnte­n Asylantrag­s bleiben durfte. Weil die Familie nicht auf der Flucht vor Krieg und politische­r Verfolgung ist, sondern auf der Suche nach einem besseren Leben, was 2015 kaum einer nachprüfte. Und weil die komplette Familie sich eine Woche nach der Tat unbehellig­t in den Irak absetzen konnte. Mit Ersatzpapi­eren des irakischen Generalkon­sulats. Und Flugticket­s für insgesamt etwa 8000 Euro, die sie mit der monatliche­n Unterstütz­ung des deutschen Staats bezahlte, wie Ali B.s Mutter in einem Interview mit der

erzählte. Am Wochenende wurde bekannt, dass die Familie B. zurück nach Deutschlan­d will, wie ein Bruder dem kurdischen Fernsehsen­der

sagte. „Wir hoffen, dass sie die Familie nicht dafür in Haftung nehmen, was eines ihrer Mitglieder getan hat.“

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Foto: Hasan Bratic, dpa Nach der Vernehmung im Polizeiprä­sidium Wiesbaden wurde Ali B. zu einem Polizeihub­schrauber gebracht, der ihn zur Justizvoll­zugsanstal­t Frankfurt flog. Weil seine Klei dung sichergest­ellt wurde, trug er einen weißen Papieranzu­g und Ohrenschüt­zer für...
 ?? Foto: Andrea Kümpfbeck ?? Juliane und Aram Bani in der Praxis des Neurochiru­rgen. Sie haben durch ihre Kon takte in den Irak die Fahndung nach Ali B. angestoßen.
Foto: Andrea Kümpfbeck Juliane und Aram Bani in der Praxis des Neurochiru­rgen. Sie haben durch ihre Kon takte in den Irak die Fahndung nach Ali B. angestoßen.

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