Abhören unter Freunden
Österreicher ärgern sich über Deutschland
Wien
Angela Merkel ist empört. Seit Wochen gibt es fast täglich neue Enthüllungen über die Machenschaften des amerikanischen Auslandsgeheimdienstes in Deutschland. Sogar das Handy der Kanzlerin sollen die US-Spione eiskalt ausspioniert haben. Ein Riesenskandal, der das deutsch-amerikanische Verhältnis massiv stört und in Merkels Forderung mündet: „Abhören unter Freunden, das geht gar nicht.“Fünf Jahre ist das her. Und nun sagte der österreichische Bundespräsident Alexander Van der Bellen einen ganz ähnlichen Satz – allerdings meinte er damit nicht die Amerikaner, sondern die Deutschen.
Österreichs Staatsoberhaupt und die Regierung von Kanzler Sebastian Kurz fordern von den Deutschen volle Aufklärung über Spionageaktivitäten des Bundesnachrichtendiensts (BND). „Ein Ausspionieren unter befreundeten Staaten ist nicht nur unüblich und unerwünscht, es ist auch nicht akzeptabel“, stellt Van der Bellen klar. Und Kurz bezeichnet das Ausmaß des Spionageverdachts als „ein enormes“. Anlass für den Ärger in Wien sind Berichte über systematische Abhöraktionen des deutschen Auslandsgeheimdiensts in der Alpenrepublik.
Der BND soll zwischen 1999 und 2006 die Telekommunikation von Ministerien, internationalen Organisationen, von islamischen Einrichtungen und auch Wirtschaftsunternehmen in Österreich überwacht haben. Das berichtet unter anderem die Zeitung Der Standard. Demnach wurden insgesamt 2000 Telefon-, Fax- und Handyanschlüsse sowie E-Mail-Adressen ins Visier genommen. Die Daten seien auch mit den USA geteilt worden.
Die Berichte über die Spionageaktivitäten der deutschen Nachbarn lösen in der österreichischen Politik große Unruhe aus. Das Kanzleramt in Wien beruft umgehend ein Krisentreffen mit den Chefs der Geheimdienste und Vertretern der zuständigen Ministerien ein. Bundespräsident und Bundeskanzler wenden sich anschließend in einer ungewöhnlichen gemeinsamen Pressekonferenz an die Öffentlichkeit. Derartige Abhöraktionen würden „auf Dauer das Vertrauen zwischen den Staaten infrage stellen“, sagt Van der Bellen. Der Bundespräsident bezeichnet die Vorwürfe als „ernst“und sagt: „Ich persönlich lege auf meine Privatsphäre großen Wert.“Für diplomatische Reaktionen gegenüber Berlin erklärt er, sei es „ein bisschen früh“.
Heute wäre das Spionieren in dieser Form wohl gar nicht mehr möglich. Mit der BND-Reform wurde die Spionage gegen Bürger und Einrichtungen von EU-Staaten 2016 stark beschränkt. Anlass waren übrigens die Spähaktivitäten der USA gegen Deutschland.
„Ein Ausspionieren unter befreundeten Staaten ist nicht nur unüblich und unerwünscht, es ist auch nicht akzeptabel.“Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen