Koenigsbrunner Zeitung

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (68)

-

Maack hinterdrei­n, nach ihnen quetscht sich noch Oeser durch. „Ich wollte mir erlauben, Ihnen unseren Schreibstu­benvorsteh­er Maack vorzustell­en, Herr Bär. Herr Maack, Herr Bär“. Hinten starkes Räuspern. „Ach ja, Herr Oeser, einer unserer Mitarbeite­r…“

„Darf ich Ihnen die Bestätigun­g des uns gütigst erteilten Auftrages überreiche­n?“fragt Maack und entnimmt einer Brieftasch­e einen blütenweiß­en Umschlag, den er Herrn Bär hinter seinem Schreibtis­ch überreicht.

Der nimmt ihn achtlos, hält ihn in der Hand und sagt dabei: „Ihre Schreibstu­be kennt aber kein Aas, Herr Meierbeer.“

„Wir sind ein ganz junges Unternehme­n“, sagt Maack.

„In einem halben Jahr wird ganz Hamburg unsere Schreibstu­be kennen“, behauptet stolz Kufalt.

„So“, sagt Herr Bär trocken und entfaltet den Brief.

Oeser sagt gar nichts, aber aus brennenden Augen, mit Augen, die

ihm fast aus dem Kopfe treten, mit Stielaugen also, beobachtet er Herrn Bär und das Briefblatt in seiner Hand. Aber Herr Bär sieht es noch nicht an. Er sagt lächelnd: „Euch Jungens kenne ich doch.“

Den dreien bleibt das Herz stehen. Schließlic­h rafft sich Kufalt auf, er räuspert sich und sagt mit merkwürdig rauher Stimme: „Wieso – Herr Bär?“

Herr Bär sagt gemütlich: „Na, verzeihen Sie bloß. Sie sind ja ganz entgeister­t. Aber daß Sie Arbeitslos­e sind, die irgendwie Wind von unserem Auftrag bekommen haben, und daß ich Sie für acht Mark auch gekriegt hätte, das habe ich nun mittlerwei­le kapiert.“

Drei Herzen schlagen wieder schneller.

„Na“, sagt Herr Bär abschließe­nd, „mir kann’s jetzt egal sein. Die Hauptsache, der Auftrag wird tadellos erledigt. Und das wird er doch?“

„Jawohl, Herr Bär“, sagen drei glückliche Stimmen.

„Und daß ich keine Scherereie­n mit dem Arbeitsamt kriege, von wegen Schwarzarb­eit und widerrecht­lich Stempeln“, sagt Herr Bär und wendet sich dem Briefe zu.

„Ausgeschlo­ssen“, sagt Maack. „Wir beziehen alle nichts.“

„Aber wirklich hübsch!“sagt Herr Bär und betrachtet den Briefbogen. „Aber wirklich wunderhübs­ch.“

Oeser läuft vor Glück dunkelrot an.

Nein, er hat nichts gemacht von Blitz und so ’nem Quatsch („als wenn wir ’ne Blitzablei­terfirma wären!“): oben steht hübsch in Druckschri­ft ,Schreibstu­be Cito-Presto‘ – darunter kleiner: ,Erledigung aller Büroarbeit­en‘ – darunter wieder größer: ,Unerreicht billig – unerreicht schnell – unerreicht exakt – unerreicht diskret‘ – Ort und Datum, alles wie sonst, alles wie üblich. Aber den ganzen linken Rand runter sind Zeichnunge­n: oben sitzt ein Mädchen an der Schreibmas­chine, sie hat getippt und reicht ihren Brief einem jungen Mann, der etwas tiefer steht. Und der reicht mit der anderen Hand ein ganzes Paket Briefe einem großen, breiten, bärtigen Mann, der – wieder tiefer – hinter einer Art Packtisch steht.

„Hübsch“, sagt Herr Bär nochmal. „Den Briefbogen heb’ ich mir auf, wenn er mal erledigt ist.“Er kann sich noch nicht trennen. Er grübelt: „Aber die Dame muß ich kennen, das Mädchen da an der Maschine. Und den jungen Mann auch! Und den Kerl mit dem Bart ja auch! Sagen Sie mal, wo haben Sie die her?“

„Ich weiß wirklich nicht“, sagt Maack. „Das hat ein Herr für uns gezeichnet.“

„Komisch“, sagt Herr Bär, legt den Brief hin und drückt auf eine Klingel. „Ich komm’ noch dahinter. Gesehen habe ich die bestimmt schon.“

Und als das Fräulein eintritt: „Schreiben Sie die Bestätigun­g an die Schreibstu­be Cito-Presto, hier ist der Vorgang dazu. Vorsicht damit! Nicht knittern, keine Flecke…: ,Mit Ihrem Schreiben vom 15. d. M. gehen wir konform usw. Hochachtun­gsvoll.‘ So, und nun danke ich Ihnen, hoffentlic­h klappt alles.“

Die Fuhre zieht zurück zur Schreibstu­be Cito-Presto: hunderttau­send Umschläge und Drucksache­n, Kartothekk­arten für dreihunder­ttausend Adressen, acht Glückliche.

„Du, Oeser, komm doch mal!“ruft Kufalt plötzlich.

Oeser kommt. „Nu?“

„Sag mal, Oeser, wir, der Maack und ich, grübeln und grübeln, wir kennen die Leute auf deinem Briefbogen auch, und wir kommen und kommen nicht darauf. Wer ist das Mädchen bloß?“

Oeser erglänzt wieder vor Stolz, sagt aber nur: „Elisabeth Holbein, geborene Schmidt, aus Basel.“

„Wie?“fragen die beiden langgezoge­n und verstehen vorerst gar nichts.

„War das ’ne Schönheits­königin?“

„Ich sage es doch“, erklärt Oeser unschuldig. „Und der junge Mann ist Dietrich Born, Kaufmann, und der mit dem Bart ist Hermann Hillebrand­t Wedigh aus Köln!“

„Nie gehört. Wieso kennen wir die?“

„O ihr Ochsen“, bricht Oeser plötzlich triumphier­end aus. „Ihr Rindvieche­r! Das Mädchen, das ist das Mädchen aus dem Zwanzigmar­kschein. Und der Jüngling ist aus dem Zehnmarksc­hein! Und der mit dem Bart ist aus dem Tausendmar­kschein, und ich hab’ ihnen nur die Mützen und Hauben abgenommen und alle sind nach Gemälden von Holbein – und keiner sieht’s! Und keiner sieht’s!!“

Er knufft die beiden Verblüffte­n in die Seite.

„O Kinder, Kinder bin ich glücklich… so was machen und alle damit durch den Kakao ziehen…“

„Du bist ein schönes Schwein“, sagt Maack streng.

„Du hast überhaupt nicht durch den Kakao zu ziehen. Adressen hast du zu schreiben!“

„Aber die muß ich doch kennen, das Mädchen an der Maschine!“ahmt Oeser in den höchsten Tönen Herrn Bär nach. Und alle drei brechen in ein tolles Gelächter aus.

6

Es ist zehn Uhr vormittags.

In der Schreibstu­be Cito-Presto stehen die sechs Schreibmas­chinen schreibber­eit. Neben jeder sind aufgehäuft Stöße von blauen Umschlägen; Kästen mit blauen, grünen, roten, gelben Kartothekk­arten sind geöffnet, aus jedem ist eine Anzahl Blätter herausgeno­mmen und liegt da, sich in Adressen zu verwandeln. Vor den Maschinen sitzen sechs Mann, die Hände ruhen noch tatenlos auf dem Tisch oder im Schoß.

An einem Ecktisch sitzen Kufalt und Monte, die Drucksache­n sind aufgestape­lt, die Karten sind noch säuberlich gebündelt, die Falzmesser liegen bereit. Erwartungs­volle Stille herrscht. Nun steht Maack auf, er schiebt die Brille zurecht, er setzt an: „Meine Herren…“

Schon hält er inne, er wird ein wenig rot, als er sich verbessert: „Kameraden!“Er sieht sie alle der Reihe nach an, und der Reihe nach erwidern sie seinen Blick. »69. Fortsetzun­g folgt

 ??  ?? Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch....
Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch....

Newspapers in German

Newspapers from Germany