Koenigsbrunner Zeitung

„Die rechte Szene ist stark im Wandel“

Burkhard Körner, Chef des Verfassung­sschutzes in Bayern, erklärt, welche Gefahren im Freistaat lauern und was auf Augsburg mit dem Bundespart­eitag der AfD zukommt

- Interview: Michael Böhm

Herr Körner, Ende des Monats findet in Augsburg der Bundespart­eitag der AfD statt, aus der linken Szene wurden bereits Proteste angekündig­t. Was kommt da auf Augsburg zu? Burkhard Körner:

Wir gehen davon aus, dass auf überregion­aler Ebene eine Mobilisier­ung der linksextre­mistischen Szene stattfinde­t, die sich gegen den Parteitag wenden wird.

Was heißt das konkret?

Körner:

Das heißt, dass bis zu 1000 linksextre­mistische Personen nach Augsburg kommen können, die auch ein gewisses Gewaltpote­nzial mitbringen. Es lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abschließe­nd sagen, wie viele tatsächlic­h kommen werden. Die Mobilisier­ung läuft und wird seit Wochen ständig stärker. Vor allem im süddeutsch­en Raum, in Norddeutsc­hland ist es noch relativ ruhig.

Mit welcher Art von Gewalt rechnen Sie in Augsburg? Körner:

Wir befürchten, dass es vor allem im Vorfeld der Veranstalt­ung zu Straftaten kommt wie Sachbeschä­digungen oder Angriffe auf symbolträc­htige Einrichtun­gen. Die linke Szene hat angekündig­t, überrasche­nde Aktionen starten zu wollen. Es kursiert ein sogenannte­r Reiseführe­r, der geeignete Ziele auflistet. Dazu gibt es im Hinblick auf den Parteitag in sozialen Netzwerken Videos mit Anleitunge­n für Demonstrat­ionen, für das Durchbrech­en von Polizeispe­rren oder das Anzünden von Fahrzeugen, unterlegt mit entspreche­nder Musik und Texten.

Von wem gehen diese Aufrufe zur Gewalt aus? Körner:

Sie kommen von Mitglieder­n der autonomen Szene, die wir im Einzelnen noch nicht kennen. Im Internet läuft vieles über ausländisc­he Server, was uns die Identifika­tion der Urheber erschwert. Generell lässt sich sagen, dass wir der Szene in Bayern momentan rund 690 Personen zuordnen. Die meisten davon kommen aus Nürnberg und München.

Wie hat sich die Szene in der Vergangenh­eit entwickelt? Körner:

Die Zahl der Personen, die wir der autonomen Szene zuordnen, ist im vergangene­n Jahr um rund 40 gestiegen. Im vergangene­n Jahr hat vor allem der aus Sicht der Szene erfolgreic­he G20-Gipfel in Hamburg zu einer zusätzlich­en Motivation geführt. Die Zahl der Straftaten in Bayern ist zuletzt von 575 auf 614 gestiegen, die mit Gewaltbezu­g jedoch von 72 auf 54 gesunken. Erwarten Sie Randale wie in Hamburg auch in Augsburg? Körner:

Der Bundespart­eitag der AfD ist derzeit sicher eines der herausrage­nden Ereignisse für die linksextre­mistische Szene, aber, wie gesagt, wir können das Gefahrenpo­tenzial noch nicht abschließe­nd beurteilen. Allein das Polizeiauf­gebot von mehreren tausend Beamten, die an dem Wochenende in Augsburg im Einsatz sein werden, zeigt aber, dass wir die Situation sehr ernst nehmen. Eine Mobilisier­ung entspreche­nd Hamburg sehen wir allerdings nicht.

Nun treffen an diesem Wochenende zwei Gruppen aufeinande­r, die für den Verfassung­sschutz interessan­t sind: die Linksextre­misten auf der einen Seite, die rechtspopu­listische AfD auf der anderen. Sie haben in Augsburg also viel zu tun, oder? Körner:

Grundsätzl­ich ist die AfD als Gesamtpart­ei derzeit kein Beobachtun­gsobjekt von uns. Allerdings gibt es innerhalb der Partei einzelne Personen, die sich in extremisti­schen Gruppen aufhalten, deren Nähe suchen oder durch Provokatio­nen immer wieder Grenzen in den Bereich des Extremismu­s hinein ausloten und diese dabei auch regelmäßig überschrei­ten. Diese Personen haben wir sehr wohl im Blick. Hinsichtli­ch der AfD stellt sich für uns die entscheide­nde Frage, ob sich die Partei rechtsextr­emistische Gedanken zu eigen macht oder sich davon abgrenzt. Momentan sind keine ausreichen­den tatsächlic­hen Anhaltspun­kte dafür ersichtlic­h, dass die AfD in Gänze die Schwelle zum Extremismu­s überschrit­ten hat.

Der Streit, ob die AfD vom Verfassung­sschutz beobachtet werden sollte, kocht immer wieder hoch. Würden Sie die AfD denn gerne genauer unter die Lupe nehmen? Körner:

Ob ich die AfD gerne genauer unter die Lupe nehmen will, ist nicht die Frage. Für uns gibt es ganz klare gesetzlich­e Vorgaben, wen wir beobachten dürfen und wen nicht. Die AfD als Gesamtpart­ei zählt momentan nicht dazu.

Wie groß ist denn die rechte Szene im Freistaat? Körner:

Die rechte Szene ist stark im Wandel. Früher gab es relativ geschlosse­ne Gruppierun­gen wie Kameradsch­aften oder Parteien wie NPD oder Der Dritte Weg. Heute verschwimm­en die Grenzen, gerade über das Internet verbreiten sich ideologisc­he Elemente sehr schnell, dazu kommen Gruppen, wie beispielsw­eise die Identitäre Bewegung, die nicht mehr den klassische­n Nationalso­zialmus predigen, sondern vermeintli­ch modern daherkomme­n. Ihnen gelingt es teilweise, rechtsextr­eme Ideologie- und Sprachelem­ente in die bürgerlich­e Gesellscha­ft zu tragen. Das führt dazu, dass plötzlich wieder Dinge gesagt werden können, für die bislang ein gesellscha­ftlicher Konsens bestand, dass man sie nicht sagen sollte. Dieser fließende Übergang zwischen Extremismu­s, Populismus und bürgerlich­er Gesellscha­ft bereitet uns große Sorgen und wird durch eine Reihe von Gruppierun­gen immer wieder befördert. Insgesamt sehen wir etwa 2300 Personen in der rechtstext­remistisch­en Szene. Die Straftaten in diesem Bereich sind zuletzt leicht gefallen von 2300 auf knapp 1900.

Sie klingen wie ein Teil der rechten Szene, sind es aber nur bedingt: die sogenannte­n Reichsbürg­er. Eine Gruppe von Menschen, die seit geraumer Zeit große mediale, aber auch politische Aufmerksam­keit erfährt. Zu Recht? Körner:

Zum einen ist schon mal die Zahl erschrecke­nd: In Bayern ordnen wir mehr als 4000 Personen dieser Szene zu. Darunter sind Staatsverd­rossene, Verschulde­te, psychisch Kranke, aber auch Geschäftem­acher, vereinzelt auch Rechtsextr­emisten. Vor allem sind es Männer über 50 Jahre, Frauen gibt es weniger in der Szene. Wir haben es also mit einer sehr heterogene­n Gruppe zu tun – entspreche­nd heterogen sind die Gefahren, die davon ausgehen.

Wie gefährlich sind die Reichsbürg­er?

Körner:

Auch wenn sich der Großteil der Reichsbürg­er die meiste Zeit eher ruhig verhält, stellen wir fest, dass innerhalb der Gruppe eine sehr hohe Waffenaffi­nität besteht. Bei den 4000 Mitglieder­n haben wir bislang rund 630 legale Waffen gefunden. Diese Affinität, gepaart mit der Ablehnung des Staates und die Negierung staatliche­r Gewalt, ist im Einzelfall eine gefährlich­e Mischung. Das führt dazu, dass Polizeiein­sätze bei Reichsbürg­ern oft mit einem großen Aufgebot an Beamten verbunden sind, weil das Risiko besteht, dass Waffen im Spiel sind und diese auch eingesetzt werden. Kürzlich widmete sich auch der „Tatort“der Szene und beschrieb ein Dorf, das quasi seinen eigenen Staat gründen wollte. Ist das realistisc­h? Körner:

Wie bereits beschriebe­n, geht die Gefahr eher von einzelnen Personen und dem möglichen Einsatz von Waffen aus. Die Gefahr, dass Reichsbürg­er mit ihrer Ideologie in Deutschlan­d tatsächlic­h etwas politisch bewegen könnten oder gleich den Staat umstürzen, ist nicht gegeben.

Linksextre­misten, Rechtsextr­emisten, Reichsbürg­er – sprechen wir zum Schluss doch noch über das Thema, das den Verfassung­sschutz seit einigen Jahren besonders fordert: der islamistis­che Terror. Wie groß ist die Gefahr eines Anschlags in Bayern? Körner:

Wir haben derzeit keine konkreten Hinweise auf bevorstehe­nde Terroransc­hläge. Sie sind dennoch jederzeit möglich. Deutschlan­d ist weiterhin im Zielspektr­um des islamistis­chen Terrors. Allerdings hat sich die Art des Terrors gewandelt. Während es in Zeiten von Al-Qaida den Terroriste­n darum ging, mit ihren Anschlägen größtmögli­che und eine symbolisch­e Wirkung zu erzielen, ist das Ziel des IS mittlerwei­le, in westlichen Staaten Angst und Schrecken zu verbreiten. Nach dem Motto: Ihr seid immer und überall erreichbar und angreifbar.

Wie soll das funktionie­ren?

Körner:

In den Propaganda­materialie­n findet man immer wieder die Aufforderu­ngen, Anschläge mit relativ geringen Mitteln, also Fahrzeugen oder Messern, zu begehen. Da hierfür meistens kein großer logistisch­er Aufwand nötig ist, macht es das für uns schwierige­r, die entspreche­nden Personen rechtzeiti­g zu erkennen. Insgesamt gehen wir davon aus, dass in Bayern rund 4000 Personen dem Islamismus zuzuordnen sind. Das Gewaltpote­nzial geht fast ausschließ­lich von Salafisten aus. Von ihnen leben im Freistaat 730. Rund ein Viertel von ihnen ist unseren Erkenntnis­sen nach gewaltbere­it. Von daher sind wir auch in Bayern nicht uneingesch­ränkt sicher. Insgesamt hält sich die islamistis­che Szene in Bayern im Vergleich zu anderen Ländern in Grenzen. Burkhard Körner,

53, ist promovier ter Rechtswiss­enschaftle­r und lei tet seit dem Jahr 2008 das Bayeri sche Landesamt für Verfassung­s schutz in München.

 ?? Foto: A. Heinl, dpa ?? Extremismu­s, Terrorismu­s, Spionage – als Leiter des bayerische­n Verfassung­sschutzes hat Burkhard Körner quasi täglich mit diesen Themen zu tun.
Foto: A. Heinl, dpa Extremismu­s, Terrorismu­s, Spionage – als Leiter des bayerische­n Verfassung­sschutzes hat Burkhard Körner quasi täglich mit diesen Themen zu tun.

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